und seit er zu der hiesigen stillen Gemeinde versetzt war, hatte sich kein Kapitalverbrecher finden lassen, der an der Stelle von Kriegsgefangenen hätte bluten können. Es war theure Zeit gewesen für den Durst der Götter.
"Hochwürdiger Herr," flüsterte eine rabenartige Stimme. Der Priester trat aus dem Schatten näher an den Graben. "Bist du's, Hixi," sagte er, "du darfst herein, Niemand sieht es jetzt." Er schob das Brett herüber, das seinem priesterlichen Fuß als Brücke des Einfassungsgrabens diente, und führte die Alte an der Hand in's Dickicht. Sie erschrack vor einem Baumgerippe, das wirklich Grauen einflößen konnte; es war eine fast abgestorbene Eiche, deren Aeste so wild verkrümmt waren, daß sie wie im Wahnsinn um¬ herzugreifen schienen, und an deren Stamm ein paar Risse und Astlöcher sich so zusammenfanden, daß man eine scheußliche Fratze zu sehen glaubte. Die Rinde war unten am Stamm kohlschwarz. "Das ist der Grippo," sagte gemüthlich der Druide, "das Schwarze kommt von altem Opferblut; ist lang nicht gegossen worden." Aber kaum beruhigt fuhr Hixi auf's Neue zusammen: "Dort, dort -- ein Geist!" rief sie. "Und das ist Selinur," schmunzelte der Druide, "sieh' dir's an!" Es war eine Birke, die sich als Gast zwischen den Eichen befand und deren weiße Rinde ein schwacher Lichtstreifen traf, der sich durch das dichte Laubdach hereinstahl. "Nun sieh' auch dorthin," fügte er hinzu,
und ſeit er zu der hieſigen ſtillen Gemeinde verſetzt war, hatte ſich kein Kapitalverbrecher finden laſſen, der an der Stelle von Kriegsgefangenen hätte bluten können. Es war theure Zeit geweſen für den Durſt der Götter.
„Hochwürdiger Herr,“ flüſterte eine rabenartige Stimme. Der Prieſter trat aus dem Schatten näher an den Graben. „Biſt du's, Hixi,“ ſagte er, „du darfſt herein, Niemand ſieht es jetzt.“ Er ſchob das Brett herüber, das ſeinem prieſterlichen Fuß als Brücke des Einfaſſungsgrabens diente, und führte die Alte an der Hand in's Dickicht. Sie erſchrack vor einem Baumgerippe, das wirklich Grauen einflößen konnte; es war eine faſt abgeſtorbene Eiche, deren Aeſte ſo wild verkrümmt waren, daß ſie wie im Wahnſinn um¬ herzugreifen ſchienen, und an deren Stamm ein paar Riſſe und Aſtlöcher ſich ſo zuſammenfanden, daß man eine ſcheußliche Fratze zu ſehen glaubte. Die Rinde war unten am Stamm kohlſchwarz. „Das iſt der Grippo,“ ſagte gemüthlich der Druide, „das Schwarze kommt von altem Opferblut; iſt lang nicht gegoſſen worden.“ Aber kaum beruhigt fuhr Hixi auf's Neue zuſammen: „Dort, dort — ein Geiſt!“ rief ſie. „Und das iſt Selinur,“ ſchmunzelte der Druide, „ſieh' dir's an!“ Es war eine Birke, die ſich als Gaſt zwiſchen den Eichen befand und deren weiße Rinde ein ſchwacher Lichtſtreifen traf, der ſich durch das dichte Laubdach hereinſtahl. „Nun ſieh' auch dorthin,“ fügte er hinzu,
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und ſeit er zu der hieſigen ſtillen Gemeinde verſetzt war,
hatte ſich kein Kapitalverbrecher finden laſſen, der an
der Stelle von Kriegsgefangenen hätte bluten können.
Es war theure Zeit geweſen für den Durſt der Götter.
„Hochwürdiger Herr,“ flüſterte eine rabenartige
Stimme. Der Prieſter trat aus dem Schatten näher
an den Graben. „Biſt du's, Hixi,“ ſagte er, „du
darfſt herein, Niemand ſieht es jetzt.“ Er ſchob das
Brett herüber, das ſeinem prieſterlichen Fuß als Brücke
des Einfaſſungsgrabens diente, und führte die Alte
an der Hand in's Dickicht. Sie erſchrack vor einem
Baumgerippe, das wirklich Grauen einflößen konnte;
es war eine faſt abgeſtorbene Eiche, deren Aeſte ſo
wild verkrümmt waren, daß ſie wie im Wahnſinn um¬
herzugreifen ſchienen, und an deren Stamm ein paar
Riſſe und Aſtlöcher ſich ſo zuſammenfanden, daß man
eine ſcheußliche Fratze zu ſehen glaubte. Die Rinde
war unten am Stamm kohlſchwarz. „Das iſt der
Grippo,“ ſagte gemüthlich der Druide, „das Schwarze
kommt von altem Opferblut; iſt lang nicht gegoſſen
worden.“ Aber kaum beruhigt fuhr Hixi auf's Neue
zuſammen: „Dort, dort — ein Geiſt!“ rief ſie. „Und
das iſt Selinur,“ ſchmunzelte der Druide, „ſieh' dir's
an!“ Es war eine Birke, die ſich als Gaſt zwiſchen
den Eichen befand und deren weiße Rinde ein ſchwacher
Lichtſtreifen traf, der ſich durch das dichte Laubdach
hereinſtahl. „Nun ſieh' auch dorthin,“ fügte er hinzu,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/326>, abgerufen am 23.12.2024.
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