noch und jetzt begann der Gesang des neuen Hymnus. Zur Begleitung hatte Kullur nur die Pfeifer und Blättler und für einige Stellen das Hirtenhorn bei¬ gezogen. Anfangs schüchtern, dann voller und freier folgte die Gemeinde der führenden Musik, den tragen¬ den Stimmen der Knaben und älteren Männer, denen die Weise noch in Erinnerung war, das Gefühl des Ahnungsvollen in den traumhaft tiefen Worten ergriff sie stärker und stärker und bald schwoll ein Massengesang heran, so mächtig wogend, wie er aus Stimmen der heutigen Menschenwelt nimmermehr zu erzeugen wäre.
Als der Gesang ausgeklungen, trat der Druide vor und begann: "Ich erlaube mir nun, hochgeachtete Gäste und achtbare Gemeinde, euch den bescheidenen Versuch vorzuführen, dessen ich vorgestern Erwähnung zu thun mir die Ehre gab. Der Urheber eines Werkes ist ein parteiischer Zeuge für seinen Werth. Hört an, urtheilt, ich unterwerfe mich eurem Ausspruch! Nur die kurze Bemerkung schicke ich der Produktion noch vorauf, daß mir wohlbewußt ist, wie dieselbe vielleicht etwas länglich erscheinen dürfte. Dieß rührt daher, daß ich glaubte, ein Ganzes zunächst aus zwei Gliedern bilden und bauen zu müssen: das erste mehr lehrhaft, um dem Inhalt unseres heiligen Glaubens klaren, ver¬ ständigen und verständlichen Ausdruck zu geben, das zweite Glied aber echt lyrisch, um dann auch der Empfindung ihr volles Recht zu gönnen, denn das Erste ist, daß die
noch und jetzt begann der Geſang des neuen Hymnus. Zur Begleitung hatte Kullur nur die Pfeifer und Blättler und für einige Stellen das Hirtenhorn bei¬ gezogen. Anfangs ſchüchtern, dann voller und freier folgte die Gemeinde der führenden Muſik, den tragen¬ den Stimmen der Knaben und älteren Männer, denen die Weiſe noch in Erinnerung war, das Gefühl des Ahnungsvollen in den traumhaft tiefen Worten ergriff ſie ſtärker und ſtärker und bald ſchwoll ein Maſſengeſang heran, ſo mächtig wogend, wie er aus Stimmen der heutigen Menſchenwelt nimmermehr zu erzeugen wäre.
Als der Geſang ausgeklungen, trat der Druide vor und begann: „Ich erlaube mir nun, hochgeachtete Gäſte und achtbare Gemeinde, euch den beſcheidenen Verſuch vorzuführen, deſſen ich vorgeſtern Erwähnung zu thun mir die Ehre gab. Der Urheber eines Werkes iſt ein parteiiſcher Zeuge für ſeinen Werth. Hört an, urtheilt, ich unterwerfe mich eurem Ausſpruch! Nur die kurze Bemerkung ſchicke ich der Produktion noch vorauf, daß mir wohlbewußt iſt, wie dieſelbe vielleicht etwas länglich erſcheinen dürfte. Dieß rührt daher, daß ich glaubte, ein Ganzes zunächſt aus zwei Gliedern bilden und bauen zu müſſen: das erſte mehr lehrhaft, um dem Inhalt unſeres heiligen Glaubens klaren, ver¬ ſtändigen und verſtändlichen Ausdruck zu geben, das zweite Glied aber echt lyriſch, um dann auch der Empfindung ihr volles Recht zu gönnen, denn das Erſte iſt, daß die
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noch und jetzt begann der Geſang des neuen Hymnus.
Zur Begleitung hatte Kullur nur die Pfeifer und
Blättler und für einige Stellen das Hirtenhorn bei¬
gezogen. Anfangs ſchüchtern, dann voller und freier
folgte die Gemeinde der führenden Muſik, den tragen¬
den Stimmen der Knaben und älteren Männer, denen
die Weiſe noch in Erinnerung war, das Gefühl des
Ahnungsvollen in den traumhaft tiefen Worten ergriff
ſie ſtärker und ſtärker und bald ſchwoll ein Maſſengeſang
heran, ſo mächtig wogend, wie er aus Stimmen der
heutigen Menſchenwelt nimmermehr zu erzeugen wäre.
Als der Geſang ausgeklungen, trat der Druide
vor und begann: „Ich erlaube mir nun, hochgeachtete
Gäſte und achtbare Gemeinde, euch den beſcheidenen
Verſuch vorzuführen, deſſen ich vorgeſtern Erwähnung
zu thun mir die Ehre gab. Der Urheber eines Werkes
iſt ein parteiiſcher Zeuge für ſeinen Werth. Hört an,
urtheilt, ich unterwerfe mich eurem Ausſpruch! Nur
die kurze Bemerkung ſchicke ich der Produktion noch
vorauf, daß mir wohlbewußt iſt, wie dieſelbe vielleicht
etwas länglich erſcheinen dürfte. Dieß rührt daher, daß
ich glaubte, ein Ganzes zunächſt aus zwei Gliedern
bilden und bauen zu müſſen: das erſte mehr lehrhaft,
um dem Inhalt unſeres heiligen Glaubens klaren, ver¬
ſtändigen und verſtändlichen Ausdruck zu geben, das zweite
Glied aber echt lyriſch, um dann auch der Empfindung
ihr volles Recht zu gönnen, denn das Erſte iſt, daß die
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/338>, abgerufen am 23.12.2024.
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