denn auch die Frage beantwortet, ob denn der Speis¬ zettel für die bloße Hälfte der Gemeinde nicht zu reich¬ lich sei. Die schönere saß in den geräumigeren Häusern des Dorfes zusammen, unter heiteren Gesprächen auf die willkommenen Abhübe wartend, und zwar an solchen Abenden beim Thee. Chinesischer war das frei¬ lich nicht, vielmehr ein Sud aus Schlüsselblumen-, Holder- und Schlehblüte, der mit Meth ausreichend versüßt wurde. Da war denn der Genuß der schwatzen¬ den Zunge fast gleich hoch geschätzt, wie der schmecken¬ den, das Gespräch fiel schnell auf dankbare Stoffe, wie die halb bekannten, halb geahnten Vorgänge in Odgal's Haus, Sigune, Alpin, der eingethürmte Fremdling, und man kann sich denken, daß schnell genug der Mythus sich beeilte, aus dem Einfachen und dem Dunklen sein buntes und glänzendes Gewebe zu spinnen. In einem dieser Theezirkel erwartete man vergeblich die Nachbarin Sigune. Eine Frau gieng in ihr Haus, sie herbeizuholen, und fand sie mit Packen beschäftigt; sie wickelte eben einige Speisen: Schinken, Wurst, Brod mit einer wohlgepfropften Holzflasche zu einem Päckchen zusammen. "Was machst?" sagte die Nachbarin, "was packst da?" -- "Es ist für Alpin," erwiderte sie, "der morgen weit hin¬ aus in den Wald gehen muß nach einem verlaufenen Rind suchen, auch nach den Wolfsgruben sehen will, ob keiner sich gefangen hat." Auf die Einladung,
denn auch die Frage beantwortet, ob denn der Speis¬ zettel für die bloße Hälfte der Gemeinde nicht zu reich¬ lich ſei. Die ſchönere ſaß in den geräumigeren Häuſern des Dorfes zuſammen, unter heiteren Geſprächen auf die willkommenen Abhübe wartend, und zwar an ſolchen Abenden beim Thee. Chineſiſcher war das frei¬ lich nicht, vielmehr ein Sud aus Schlüſſelblumen-, Holder- und Schlehblüte, der mit Meth ausreichend verſüßt wurde. Da war denn der Genuß der ſchwatzen¬ den Zunge faſt gleich hoch geſchätzt, wie der ſchmecken¬ den, das Geſpräch fiel ſchnell auf dankbare Stoffe, wie die halb bekannten, halb geahnten Vorgänge in Odgal's Haus, Sigune, Alpin, der eingethürmte Fremdling, und man kann ſich denken, daß ſchnell genug der Mythus ſich beeilte, aus dem Einfachen und dem Dunklen ſein buntes und glänzendes Gewebe zu ſpinnen. In einem dieſer Theezirkel erwartete man vergeblich die Nachbarin Sigune. Eine Frau gieng in ihr Haus, ſie herbeizuholen, und fand ſie mit Packen beſchäftigt; ſie wickelte eben einige Speiſen: Schinken, Wurſt, Brod mit einer wohlgepfropften Holzflaſche zu einem Päckchen zuſammen. „Was machſt?“ ſagte die Nachbarin, „was packſt da?“ — „Es iſt für Alpin,“ erwiderte ſie, „der morgen weit hin¬ aus in den Wald gehen muß nach einem verlaufenen Rind ſuchen, auch nach den Wolfsgruben ſehen will, ob keiner ſich gefangen hat.“ Auf die Einladung,
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denn auch die Frage beantwortet, ob denn der Speis¬
zettel für die bloße Hälfte der Gemeinde nicht zu reich¬
lich ſei. Die ſchönere ſaß in den geräumigeren Häuſern
des Dorfes zuſammen, unter heiteren Geſprächen auf
die willkommenen Abhübe wartend, und zwar an
ſolchen Abenden beim Thee. Chineſiſcher war das frei¬
lich nicht, vielmehr ein Sud aus Schlüſſelblumen-,
Holder- und Schlehblüte, der mit Meth ausreichend
verſüßt wurde. Da war denn der Genuß der ſchwatzen¬
den Zunge faſt gleich hoch geſchätzt, wie der ſchmecken¬
den, das Geſpräch fiel ſchnell auf dankbare Stoffe,
wie die halb bekannten, halb geahnten Vorgänge in
Odgal's Haus, Sigune, Alpin, der eingethürmte
Fremdling, und man kann ſich denken, daß ſchnell
genug der Mythus ſich beeilte, aus dem Einfachen
und dem Dunklen ſein buntes und glänzendes Gewebe
zu ſpinnen. In einem dieſer Theezirkel erwartete
man vergeblich die Nachbarin Sigune. Eine Frau
gieng in ihr Haus, ſie herbeizuholen, und fand ſie
mit Packen beſchäftigt; ſie wickelte eben einige Speiſen:
Schinken, Wurſt, Brod mit einer wohlgepfropften
Holzflaſche zu einem Päckchen zuſammen. „Was
machſt?“ ſagte die Nachbarin, „was packſt da?“ —
„Es iſt für Alpin,“ erwiderte ſie, „der morgen weit hin¬
aus in den Wald gehen muß nach einem verlaufenen
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ob keiner ſich gefangen hat.“ Auf die Einladung,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/382>, abgerufen am 23.12.2024.
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