"Was haben Sie von recht Kranksein gesagt? Nun, das ist ja Geduld werth. Das Moralische ver¬ steht sich immer von selbst."
Er hatte inzwischen seine Reisetasche gepackt, wo¬ bei er, wie ich bemerkte, sehr geschickt zu Werke gieng; es galt, viele Kleinigkeiten in kleinen Raum zusammen¬ zufügen, und er brachte es ganz nett zu Stande; Ungeschicklichkeit, das sah ich, konnte nicht die Ursache des Kriegszustandes sein, in dem er mit dem Bagatell sich befand. Er sagte mir nun, er wolle seine Reise auf der Axenstraße am See zu Fuß fortsetzen. Leicht konnte er sich denken, daß ich wahrscheinlich ebendasselbe vorhabe; der Gedanke eines Zusammenwanderns lag, da wir denn doch schon Bekannte waren, nahe genug, aber es fiel ihm nicht ein, auch nur einen Wink zu geben, der entfernt einer Einladung gleichgesehen hätte. Ich dachte, er erwarte, daß ich mich ihm erst vorstelle, und begann: "Erlauben Sie, es ist doch wohl Zeit, daß ich mich Ihnen --"
Er unterbrach mich: "Bitte, danke, lieber nicht, -- verzeihen Sie, es ist nicht Maske, nicht Ge¬ heimthuerei von mir, gewiß nicht, liebe aber, auf der Reise wenigstens, Alles klar, frei. Name und Stand macht Nebengedanken, führt auf Namen-Etymologie und dergleichen, wir sind eben Jeder ein Ich, eine Person oder, wie Fischart sagt, seelhaftes Lebwesen; wir befinden uns besser so."
„Was haben Sie von recht Krankſein geſagt? Nun, das iſt ja Geduld werth. Das Moraliſche ver¬ ſteht ſich immer von ſelbſt.“
Er hatte inzwiſchen ſeine Reiſetaſche gepackt, wo¬ bei er, wie ich bemerkte, ſehr geſchickt zu Werke gieng; es galt, viele Kleinigkeiten in kleinen Raum zuſammen¬ zufügen, und er brachte es ganz nett zu Stande; Ungeſchicklichkeit, das ſah ich, konnte nicht die Urſache des Kriegszuſtandes ſein, in dem er mit dem Bagatell ſich befand. Er ſagte mir nun, er wolle ſeine Reiſe auf der Axenſtraße am See zu Fuß fortſetzen. Leicht konnte er ſich denken, daß ich wahrſcheinlich ebendaſſelbe vorhabe; der Gedanke eines Zuſammenwanderns lag, da wir denn doch ſchon Bekannte waren, nahe genug, aber es fiel ihm nicht ein, auch nur einen Wink zu geben, der entfernt einer Einladung gleichgeſehen hätte. Ich dachte, er erwarte, daß ich mich ihm erſt vorſtelle, und begann: „Erlauben Sie, es iſt doch wohl Zeit, daß ich mich Ihnen —“
Er unterbrach mich: „Bitte, danke, lieber nicht, — verzeihen Sie, es iſt nicht Maske, nicht Ge¬ heimthuerei von mir, gewiß nicht, liebe aber, auf der Reiſe wenigſtens, Alles klar, frei. Name und Stand macht Nebengedanken, führt auf Namen-Etymologie und dergleichen, wir ſind eben Jeder ein Ich, eine Perſon oder, wie Fiſchart ſagt, ſeelhaftes Lebweſen; wir befinden uns beſſer ſo.“
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„Was haben Sie von recht Krankſein geſagt?
Nun, das iſt ja Geduld werth. Das Moraliſche ver¬
ſteht ſich immer von ſelbſt.“
Er hatte inzwiſchen ſeine Reiſetaſche gepackt, wo¬
bei er, wie ich bemerkte, ſehr geſchickt zu Werke gieng;
es galt, viele Kleinigkeiten in kleinen Raum zuſammen¬
zufügen, und er brachte es ganz nett zu Stande;
Ungeſchicklichkeit, das ſah ich, konnte nicht die Urſache
des Kriegszuſtandes ſein, in dem er mit dem Bagatell
ſich befand. Er ſagte mir nun, er wolle ſeine Reiſe
auf der Axenſtraße am See zu Fuß fortſetzen. Leicht
konnte er ſich denken, daß ich wahrſcheinlich ebendaſſelbe
vorhabe; der Gedanke eines Zuſammenwanderns lag,
da wir denn doch ſchon Bekannte waren, nahe genug,
aber es fiel ihm nicht ein, auch nur einen Wink zu
geben, der entfernt einer Einladung gleichgeſehen hätte.
Ich dachte, er erwarte, daß ich mich ihm erſt vorſtelle,
und begann: „Erlauben Sie, es iſt doch wohl Zeit,
daß ich mich Ihnen —“
Er unterbrach mich: „Bitte, danke, lieber nicht,
— verzeihen Sie, es iſt nicht Maske, nicht Ge¬
heimthuerei von mir, gewiß nicht, liebe aber, auf der
Reiſe wenigſtens, Alles klar, frei. Name und Stand
macht Nebengedanken, führt auf Namen-Etymologie
und dergleichen, wir ſind eben Jeder ein Ich, eine
Perſon oder, wie Fiſchart ſagt, ſeelhaftes Lebweſen;
wir befinden uns beſſer ſo.“
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/41>, abgerufen am 22.12.2024.
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