den Fahrpreis zu spielen schien. In Altorf wollte ich erst kurzen Halt machen und einen Imbiß nehmen. Wie ich da einem Wirthshause zugehe, führt mich der Weg an einem Trödlerkram vorüber, mein Blick fällt durch's niedrige Fenster in die Stube und wen erkenne ich da drin? Meinen A. E., eben eine Brille prüfend, gegen das Fenster haltend; der Trödler, sichtbar zum Kaufe zuredend, stand neben ihm. Ich blickte schnell wieder weg, hatte aber doch Zeit gehabt, zu bemerken, daß es eine Brille von gediegen altmodischer Gestalt war, und mich an die Zwiebel zu erinnern, die mir in Brunnen als redlichere Nachfolgerin einer zertrümmerten Uhr gezeigt worden war. Zugleich meinte ich, so flüchtig mein Blick auch gewesen, doch beobachtet zu haben, daß A. E. mich erkannte und sich umdrehte.
Ich weiß nicht, welche Rührung in diesem Mo¬ mente über mich kam. Während der Anblick doch eigent¬ lich komisch war, fiel mir Alles ein, was mich an den Mann angezogen, ja, ich muß gestehen, mir imponirt, mich sogar in ein gewisses Verhältniß nicht drückender Unselbständigkeit zu ihm gesetzt hatte; seine Schwächen und Grillen flößten mir nicht mehr Unwillen, sondern Theilnahme ein. Es kam mir klarer zum Bewußtsein, was es doch eigentlich war, das diesen Menschen so peinvoll empfindlich, so schaallos gegen die kleinen Uebel des Lebens machte. Ja, ich war jetzt sogar ge¬ neigt, den Ausdruck: Vernunftwuth, den er einmal
den Fahrpreis zu ſpielen ſchien. In Altorf wollte ich erſt kurzen Halt machen und einen Imbiß nehmen. Wie ich da einem Wirthshauſe zugehe, führt mich der Weg an einem Trödlerkram vorüber, mein Blick fällt durch's niedrige Fenſter in die Stube und wen erkenne ich da drin? Meinen A. E., eben eine Brille prüfend, gegen das Fenſter haltend; der Trödler, ſichtbar zum Kaufe zuredend, ſtand neben ihm. Ich blickte ſchnell wieder weg, hatte aber doch Zeit gehabt, zu bemerken, daß es eine Brille von gediegen altmodiſcher Geſtalt war, und mich an die Zwiebel zu erinnern, die mir in Brunnen als redlichere Nachfolgerin einer zertrümmerten Uhr gezeigt worden war. Zugleich meinte ich, ſo flüchtig mein Blick auch geweſen, doch beobachtet zu haben, daß A. E. mich erkannte und ſich umdrehte.
Ich weiß nicht, welche Rührung in dieſem Mo¬ mente über mich kam. Während der Anblick doch eigent¬ lich komiſch war, fiel mir Alles ein, was mich an den Mann angezogen, ja, ich muß geſtehen, mir imponirt, mich ſogar in ein gewiſſes Verhältniß nicht drückender Unſelbſtändigkeit zu ihm geſetzt hatte; ſeine Schwächen und Grillen flößten mir nicht mehr Unwillen, ſondern Theilnahme ein. Es kam mir klarer zum Bewußtſein, was es doch eigentlich war, das dieſen Menſchen ſo peinvoll empfindlich, ſo ſchaallos gegen die kleinen Uebel des Lebens machte. Ja, ich war jetzt ſogar ge¬ neigt, den Ausdruck: Vernunftwuth, den er einmal
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[57/0070]
den Fahrpreis zu ſpielen ſchien. In Altorf wollte ich
erſt kurzen Halt machen und einen Imbiß nehmen. Wie
ich da einem Wirthshauſe zugehe, führt mich der Weg
an einem Trödlerkram vorüber, mein Blick fällt durch's
niedrige Fenſter in die Stube und wen erkenne ich da
drin? Meinen A. E., eben eine Brille prüfend, gegen
das Fenſter haltend; der Trödler, ſichtbar zum Kaufe
zuredend, ſtand neben ihm. Ich blickte ſchnell wieder weg,
hatte aber doch Zeit gehabt, zu bemerken, daß es eine
Brille von gediegen altmodiſcher Geſtalt war, und mich
an die Zwiebel zu erinnern, die mir in Brunnen als
redlichere Nachfolgerin einer zertrümmerten Uhr gezeigt
worden war. Zugleich meinte ich, ſo flüchtig mein
Blick auch geweſen, doch beobachtet zu haben, daß A.
E. mich erkannte und ſich umdrehte.
Ich weiß nicht, welche Rührung in dieſem Mo¬
mente über mich kam. Während der Anblick doch eigent¬
lich komiſch war, fiel mir Alles ein, was mich an den
Mann angezogen, ja, ich muß geſtehen, mir imponirt,
mich ſogar in ein gewiſſes Verhältniß nicht drückender
Unſelbſtändigkeit zu ihm geſetzt hatte; ſeine Schwächen
und Grillen flößten mir nicht mehr Unwillen, ſondern
Theilnahme ein. Es kam mir klarer zum Bewußtſein,
was es doch eigentlich war, das dieſen Menſchen ſo
peinvoll empfindlich, ſo ſchaallos gegen die kleinen
Uebel des Lebens machte. Ja, ich war jetzt ſogar ge¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/70>, abgerufen am 22.12.2024.
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