"Ja, zu vordenkende Naturen, die stets übler durch¬ kommen als die glücklich Blinden, welche einfach zutappen, -- Naturen, denen das Leben so schwer wird, weil ihr Gefühl des Zweckwidrigen ebenso zugeschärft sein muß wie ihr Gefühl des Zweckmäßigen --"
"Prometheus im Kleinen, nicht vom Geier, sondern von Spatzen zerhackt --"
Wir waren im Abendzirkel angekommen. Außer ein paar Herren, deren Namen und Stand ich ver¬ gessen, fand ich den Diakonus Zunger (Tetem), den Oberförster, zwei Aerzte, einen pensionirten Kameral¬ verwalter. Ich wurde natürlich als ein Freund des Verstorbenen vorgestellt. "Eben recht," sagte der Ober¬ förster, "wir sind gerade einmal wieder am Thema."
Der eine der Aeskulape, -- mit Namen Schraz -- der Assessor sagte mir nachher, A. E. habe ihn früher zum Arzte gehabt, dann "wegen sehr dummer Art von Verständigkeit" aufgegeben -- dieser Doktor Schraz hatte behauptet, das verstorbene Mitglied sei ein Ge¬ sprächtyrann gewesen, habe nur sich wollen reden hören. Der Oberförster hatte ihm halb und halb bei¬ gestimmt.
"Das erlaube ich mir zu bekämpfen," sagte Zunger, "und es ist -- verzeihen Sie, meine Herren, -- unge¬ recht von Ihnen, so zu urtheilen. Der Herr Vogt wurde mindestens ebenso ärgerlich, wenn man Andere, als wenn man ihn unterbrach. Erinnern Sie, Herr
„Ja, zu vordenkende Naturen, die ſtets übler durch¬ kommen als die glücklich Blinden, welche einfach zutappen, — Naturen, denen das Leben ſo ſchwer wird, weil ihr Gefühl des Zweckwidrigen ebenſo zugeſchärft ſein muß wie ihr Gefühl des Zweckmäßigen —“
„Prometheus im Kleinen, nicht vom Geier, ſondern von Spatzen zerhackt —“
Wir waren im Abendzirkel angekommen. Außer ein paar Herren, deren Namen und Stand ich ver¬ geſſen, fand ich den Diakonus Zunger (Tetem), den Oberförſter, zwei Aerzte, einen penſionirten Kameral¬ verwalter. Ich wurde natürlich als ein Freund des Verſtorbenen vorgeſtellt. „Eben recht,“ ſagte der Ober¬ förſter, „wir ſind gerade einmal wieder am Thema.“
Der eine der Aeſkulape, — mit Namen Schraz — der Aſſeſſor ſagte mir nachher, A. E. habe ihn früher zum Arzte gehabt, dann „wegen ſehr dummer Art von Verſtändigkeit“ aufgegeben — dieſer Doktor Schraz hatte behauptet, das verſtorbene Mitglied ſei ein Ge¬ ſprächtyrann geweſen, habe nur ſich wollen reden hören. Der Oberförſter hatte ihm halb und halb bei¬ geſtimmt.
„Das erlaube ich mir zu bekämpfen,“ ſagte Zunger, „und es iſt — verzeihen Sie, meine Herren, — unge¬ recht von Ihnen, ſo zu urtheilen. Der Herr Vogt wurde mindeſtens ebenſo ärgerlich, wenn man Andere, als wenn man ihn unterbrach. Erinnern Sie, Herr
<TEI><text><body><pbfacs="#f0107"n="94"/><p>„Ja, zu vordenkende Naturen, die ſtets übler durch¬<lb/>
kommen als die glücklich Blinden, welche einfach zutappen,<lb/>— Naturen, denen das Leben ſo ſchwer wird, weil<lb/>
ihr Gefühl des Zweckwidrigen ebenſo zugeſchärft ſein<lb/>
muß wie ihr Gefühl des Zweckmäßigen —“</p><lb/><p>„Prometheus im Kleinen, nicht vom Geier, ſondern<lb/>
von Spatzen zerhackt —“</p><lb/><p>Wir waren im Abendzirkel angekommen. Außer<lb/>
ein paar Herren, deren Namen und Stand ich ver¬<lb/>
geſſen, fand ich den Diakonus Zunger (Tetem), den<lb/>
Oberförſter, zwei Aerzte, einen penſionirten Kameral¬<lb/>
verwalter. Ich wurde natürlich als ein Freund des<lb/>
Verſtorbenen vorgeſtellt. „Eben recht,“ſagte der Ober¬<lb/>
förſter, „wir ſind gerade einmal wieder am Thema.“</p><lb/><p>Der eine der Aeſkulape, — mit Namen Schraz —<lb/>
der Aſſeſſor ſagte mir nachher, A. E. habe ihn früher<lb/>
zum Arzte gehabt, dann „wegen ſehr dummer Art von<lb/>
Verſtändigkeit“ aufgegeben — dieſer Doktor Schraz<lb/>
hatte behauptet, das verſtorbene Mitglied ſei ein Ge¬<lb/>ſprächtyrann geweſen, habe nur ſich wollen reden<lb/>
hören. Der Oberförſter hatte ihm halb und halb bei¬<lb/>
geſtimmt.</p><lb/><p>„Das erlaube ich mir zu bekämpfen,“ſagte Zunger,<lb/>„und es iſt — verzeihen Sie, meine Herren, — unge¬<lb/>
recht von Ihnen, ſo zu urtheilen. Der Herr Vogt<lb/>
wurde mindeſtens ebenſo ärgerlich, wenn man Andere,<lb/>
als wenn man ihn unterbrach. Erinnern Sie, Herr<lb/></p></body></text></TEI>
[94/0107]
„Ja, zu vordenkende Naturen, die ſtets übler durch¬
kommen als die glücklich Blinden, welche einfach zutappen,
— Naturen, denen das Leben ſo ſchwer wird, weil
ihr Gefühl des Zweckwidrigen ebenſo zugeſchärft ſein
muß wie ihr Gefühl des Zweckmäßigen —“
„Prometheus im Kleinen, nicht vom Geier, ſondern
von Spatzen zerhackt —“
Wir waren im Abendzirkel angekommen. Außer
ein paar Herren, deren Namen und Stand ich ver¬
geſſen, fand ich den Diakonus Zunger (Tetem), den
Oberförſter, zwei Aerzte, einen penſionirten Kameral¬
verwalter. Ich wurde natürlich als ein Freund des
Verſtorbenen vorgeſtellt. „Eben recht,“ ſagte der Ober¬
förſter, „wir ſind gerade einmal wieder am Thema.“
Der eine der Aeſkulape, — mit Namen Schraz —
der Aſſeſſor ſagte mir nachher, A. E. habe ihn früher
zum Arzte gehabt, dann „wegen ſehr dummer Art von
Verſtändigkeit“ aufgegeben — dieſer Doktor Schraz
hatte behauptet, das verſtorbene Mitglied ſei ein Ge¬
ſprächtyrann geweſen, habe nur ſich wollen reden
hören. Der Oberförſter hatte ihm halb und halb bei¬
geſtimmt.
„Das erlaube ich mir zu bekämpfen,“ ſagte Zunger,
„und es iſt — verzeihen Sie, meine Herren, — unge¬
recht von Ihnen, ſo zu urtheilen. Der Herr Vogt
wurde mindeſtens ebenſo ärgerlich, wenn man Andere,
als wenn man ihn unterbrach. Erinnern Sie, Herr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/107>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.