bitte, meine Herren, da hab' ich heut in dem guten alten Buch Simplicissimus von Grimmelshausen etwas gelesen, das hab' ich mir wörtlich gemerkt, mir scheint, es passe hieher: ,Ich glaube, es sei kein Mensch in der Welt, der nicht seinen Sparren habe, denn wir sind ja Alle einerlei Geschöpfe und ich kann bei meinen Bir'n wohl merken, wann andere zeitig sind.'"
Die Herren wurden nachdenklich und still. Mir schien das Citat nicht übel, nur zu wenig. Ich gestehe, daß es mich anwandelte, die Gesellschaft mit der Paradoxie zu erschrecken, der Selige habe mit seinen angeblichen Grillen überhaupt Recht gehabt. Ich that es nicht, ich dachte: für den Hausbrauch ist das Wort des behäbigen Herrn gerade ausreichend, und was den Gescheuteren, den Assessor, betrifft, der wird sein Theil schon von selbst hinzudenken. Das Gespräch verlief und warf sich dann auf andere Gegenstände.
Das sind die Brocken aus jener Abendunterhaltung, die ich mir vor Bettgehen aufzeichnete und die ich dem Leser nicht vorenthalten zu dürfen glaubte. Ich nahm des andern Tages mit dem Vorsatz, von Zeit zu Zeit wiederzukommen, gerührten Abschied von Frau Hedwig und vom Assessor und reiste mit meinem Papierpack nach Hause.
Es ist noch zu erzählen, daß ich vor ein paar Jahren im Herbst die Gotthardstraße und den Schau¬ platz unserer Großthat wieder besucht habe. Den
bitte, meine Herren, da hab' ich heut in dem guten alten Buch Simpliciſſimus von Grimmelshauſen etwas geleſen, das hab' ich mir wörtlich gemerkt, mir ſcheint, es paſſe hieher: ‚Ich glaube, es ſei kein Menſch in der Welt, der nicht ſeinen Sparren habe, denn wir ſind ja Alle einerlei Geſchöpfe und ich kann bei meinen Bir'n wohl merken, wann andere zeitig ſind.'“
Die Herren wurden nachdenklich und ſtill. Mir ſchien das Citat nicht übel, nur zu wenig. Ich geſtehe, daß es mich anwandelte, die Geſellſchaft mit der Paradoxie zu erſchrecken, der Selige habe mit ſeinen angeblichen Grillen überhaupt Recht gehabt. Ich that es nicht, ich dachte: für den Hausbrauch iſt das Wort des behäbigen Herrn gerade ausreichend, und was den Geſcheuteren, den Aſſeſſor, betrifft, der wird ſein Theil ſchon von ſelbſt hinzudenken. Das Geſpräch verlief und warf ſich dann auf andere Gegenſtände.
Das ſind die Brocken aus jener Abendunterhaltung, die ich mir vor Bettgehen aufzeichnete und die ich dem Leſer nicht vorenthalten zu dürfen glaubte. Ich nahm des andern Tages mit dem Vorſatz, von Zeit zu Zeit wiederzukommen, gerührten Abſchied von Frau Hedwig und vom Aſſeſſor und reiſte mit meinem Papierpack nach Hauſe.
Es iſt noch zu erzählen, daß ich vor ein paar Jahren im Herbſt die Gotthardſtraße und den Schau¬ platz unſerer Großthat wieder beſucht habe. Den
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bitte, meine Herren, da hab' ich heut in dem guten
alten Buch Simpliciſſimus von Grimmelshauſen etwas
geleſen, das hab' ich mir wörtlich gemerkt, mir ſcheint,
es paſſe hieher: ‚Ich glaube, es ſei kein Menſch in
der Welt, der nicht ſeinen Sparren habe, denn wir ſind
ja Alle einerlei Geſchöpfe und ich kann bei meinen Bir'n
wohl merken, wann andere zeitig ſind.'“
Die Herren wurden nachdenklich und ſtill. Mir ſchien
das Citat nicht übel, nur zu wenig. Ich geſtehe, daß
es mich anwandelte, die Geſellſchaft mit der Paradoxie
zu erſchrecken, der Selige habe mit ſeinen angeblichen
Grillen überhaupt Recht gehabt. Ich that es nicht,
ich dachte: für den Hausbrauch iſt das Wort des
behäbigen Herrn gerade ausreichend, und was den
Geſcheuteren, den Aſſeſſor, betrifft, der wird ſein Theil
ſchon von ſelbſt hinzudenken. Das Geſpräch verlief
und warf ſich dann auf andere Gegenſtände.
Das ſind die Brocken aus jener Abendunterhaltung,
die ich mir vor Bettgehen aufzeichnete und die ich dem
Leſer nicht vorenthalten zu dürfen glaubte. Ich nahm
des andern Tages mit dem Vorſatz, von Zeit zu Zeit
wiederzukommen, gerührten Abſchied von Frau Hedwig
und vom Aſſeſſor und reiſte mit meinem Papierpack
nach Hauſe.
Es iſt noch zu erzählen, daß ich vor ein paar
Jahren im Herbſt die Gotthardſtraße und den Schau¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/113>, abgerufen am 24.11.2024.
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