edlen Stadt. Ja, ich weiß, ich kenne, was Wildes im Menschen ist. O ebnet mich, ihr weichen Linien! Singe mich in Schlaf, mild rauschender Fluß! Lindert mich, ihr Oelbäume, kühlet mich, ihr stillen Cypressen, und hebet mich, ihr schlanken Pinien mit der leichten, rundlich geschwungen übergelegten dunklen Krone!
Da beginnt es, in Siena, da sieht man die traumhaft verschleierten, mandelförmigen Augen. Wie stimmen sie mit der Madonnenanmuth der keusch hageren alten Bilder! Ist es etrurisch, umbrisch? Wer waren diese alten Umbrier? Doch gewiß nicht Kelten, nicht Gallier; -- Iberer? Dunkles, vorgeschichtliches Volk der Eusken? -- Und ihre, ihre Sprache! Lingua Tos¬ cana in bocca Romana; nur in ihrem Mund feiner, ganz leiser, entfernt nicht unschöner Anklang des Eng¬ lischen, -- Stimme einer milden Fee, wenn sie lispelt. --
Gute stimmungsvolle Stadt, nicht nur so reich an Bildern, selbst Bild an Bild! Die gothischen Paläste, burgartig, die Zinnenthürme, sie gemahnen den Deut¬ schen deutsch; plaudernd mit deinen freundlichen, feinen Bewohnern lebt man sich zurück in die alten Zeiten, ich wandle mit dem guten Simone Memmi, dem ehrlichen Ambrogio Lorenzetti über den schönen,
Vischer, Auch Einer. II. 17
edlen Stadt. Ja, ich weiß, ich kenne, was Wildes im Menſchen iſt. O ebnet mich, ihr weichen Linien! Singe mich in Schlaf, mild rauſchender Fluß! Lindert mich, ihr Oelbäume, kühlet mich, ihr ſtillen Cypreſſen, und hebet mich, ihr ſchlanken Pinien mit der leichten, rundlich geſchwungen übergelegten dunklen Krone!
Da beginnt es, in Siena, da ſieht man die traumhaft verſchleierten, mandelförmigen Augen. Wie ſtimmen ſie mit der Madonnenanmuth der keuſch hageren alten Bilder! Iſt es etruriſch, umbriſch? Wer waren dieſe alten Umbrier? Doch gewiß nicht Kelten, nicht Gallier; — Iberer? Dunkles, vorgeſchichtliches Volk der Eusken? — Und ihre, ihre Sprache! Lingua Tos¬ cana in bocca Romana; nur in ihrem Mund feiner, ganz leiſer, entfernt nicht unſchöner Anklang des Eng¬ liſchen, — Stimme einer milden Fee, wenn ſie liſpelt. —
Gute ſtimmungsvolle Stadt, nicht nur ſo reich an Bildern, ſelbſt Bild an Bild! Die gothiſchen Paläſte, burgartig, die Zinnenthürme, ſie gemahnen den Deut¬ ſchen deutſch; plaudernd mit deinen freundlichen, feinen Bewohnern lebt man ſich zurück in die alten Zeiten, ich wandle mit dem guten Simone Memmi, dem ehrlichen Ambrogio Lorenzetti über den ſchönen,
Viſcher, Auch Einer. II. 17
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edlen Stadt. Ja, ich weiß, ich kenne, was Wildes
im Menſchen iſt. O ebnet mich, ihr weichen Linien!
Singe mich in Schlaf, mild rauſchender Fluß! Lindert
mich, ihr Oelbäume, kühlet mich, ihr ſtillen Cypreſſen,
und hebet mich, ihr ſchlanken Pinien mit der leichten,
rundlich geſchwungen übergelegten dunklen Krone!
Da beginnt es, in Siena, da ſieht man die
traumhaft verſchleierten, mandelförmigen Augen. Wie
ſtimmen ſie mit der Madonnenanmuth der keuſch hageren
alten Bilder! Iſt es etruriſch, umbriſch? Wer waren
dieſe alten Umbrier? Doch gewiß nicht Kelten, nicht
Gallier; — Iberer? Dunkles, vorgeſchichtliches Volk
der Eusken? — Und ihre, ihre Sprache! Lingua Tos¬
cana in bocca Romana; nur in ihrem Mund feiner,
ganz leiſer, entfernt nicht unſchöner Anklang des Eng¬
liſchen, — Stimme einer milden Fee, wenn ſie liſpelt. —
Gute ſtimmungsvolle Stadt, nicht nur ſo reich an
Bildern, ſelbſt Bild an Bild! Die gothiſchen Paläſte,
burgartig, die Zinnenthürme, ſie gemahnen den Deut¬
ſchen deutſch; plaudernd mit deinen freundlichen,
feinen Bewohnern lebt man ſich zurück in die alten
Zeiten, ich wandle mit dem guten Simone Memmi,
dem ehrlichen Ambrogio Lorenzetti über den ſchönen,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/270>, abgerufen am 27.11.2024.
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