andern nicht, noch in seinen reifsten Werken kommen derart Schnörkel. Zeitgeschmack freilich, aber er hat sichtbar seinen Gefallen daran; der Zug zum Ver¬ salzen, allen phantasiestarken Geistern eigen, verführt ihn dazu. -- Auch Zote war Zeitgeschmack, dennoch begreift man nicht, wie Shakespeare keinen Eckel davor haben konnte. Er steht doch über der Wachtstube.
Habe nebenher leider meinen besondern Spaß am Absurden. Eigenthümlicher Schauer über den Buckel her¬ unter, kitzliches Weh- und Wohlthun, Gänsehautreiz. Was nicht Gänsehaut macht, ist noch nicht recht absurd. Möchte eine Abhandlung darüber schreiben, habe aber den Grundbegriff noch nicht finden können; "Ma߬ verletzung, Grenz- oder Taktverletzung" ganz oberfläch¬ lich. -- Auf die Definition müßte eine Eintheilung folgen. Shakespeare's Absurditäten sind falsche, quer¬ köpfige Bilder, krumme Ideenassociationen überreicher Phantasie. Eine andere Gattung wäre die wohlweise, die bei ihm nicht vorkommt. Derart habe ich mir Einiges ausgeheckt, um für ferneres Nachdenken über das Wesen der Absurdität gute Beispiele bereit zu haben:
Geistreiche Gedanken eines Schulpedanten.
Idee 1. Er hat sich die Lehre gemerkt, daß ein Dichter Alles individualisiren muß. Schlägt daher
Vischer, Auch Einer. II. 23
andern nicht, noch in ſeinen reifſten Werken kommen derart Schnörkel. Zeitgeſchmack freilich, aber er hat ſichtbar ſeinen Gefallen daran; der Zug zum Ver¬ ſalzen, allen phantaſieſtarken Geiſtern eigen, verführt ihn dazu. — Auch Zote war Zeitgeſchmack, dennoch begreift man nicht, wie Shakeſpeare keinen Eckel davor haben konnte. Er ſteht doch über der Wachtſtube.
Habe nebenher leider meinen beſondern Spaß am Abſurden. Eigenthümlicher Schauer über den Buckel her¬ unter, kitzliches Weh- und Wohlthun, Gänſehautreiz. Was nicht Gänſehaut macht, iſt noch nicht recht abſurd. Möchte eine Abhandlung darüber ſchreiben, habe aber den Grundbegriff noch nicht finden können; „Ma߬ verletzung, Grenz- oder Taktverletzung“ ganz oberfläch¬ lich. — Auf die Definition müßte eine Eintheilung folgen. Shakeſpeare's Abſurditäten ſind falſche, quer¬ köpfige Bilder, krumme Ideenaſſociationen überreicher Phantaſie. Eine andere Gattung wäre die wohlweiſe, die bei ihm nicht vorkommt. Derart habe ich mir Einiges ausgeheckt, um für ferneres Nachdenken über das Weſen der Abſurdität gute Beiſpiele bereit zu haben:
Geiſtreiche Gedanken eines Schulpedanten.
Idee 1. Er hat ſich die Lehre gemerkt, daß ein Dichter Alles individualiſiren muß. Schlägt daher
Viſcher, Auch Einer. II. 23
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andern nicht, noch in ſeinen reifſten Werken kommen
derart Schnörkel. Zeitgeſchmack freilich, aber er hat
ſichtbar ſeinen Gefallen daran; der Zug zum Ver¬
ſalzen, allen phantaſieſtarken Geiſtern eigen, verführt
ihn dazu. — Auch Zote war Zeitgeſchmack, dennoch
begreift man nicht, wie Shakeſpeare keinen Eckel davor
haben konnte. Er ſteht doch über der Wachtſtube.
Habe nebenher leider meinen beſondern Spaß am
Abſurden. Eigenthümlicher Schauer über den Buckel her¬
unter, kitzliches Weh- und Wohlthun, Gänſehautreiz.
Was nicht Gänſehaut macht, iſt noch nicht recht abſurd.
Möchte eine Abhandlung darüber ſchreiben, habe aber
den Grundbegriff noch nicht finden können; „Ma߬
verletzung, Grenz- oder Taktverletzung“ ganz oberfläch¬
lich. — Auf die Definition müßte eine Eintheilung
folgen. Shakeſpeare's Abſurditäten ſind falſche, quer¬
köpfige Bilder, krumme Ideenaſſociationen überreicher
Phantaſie. Eine andere Gattung wäre die wohlweiſe,
die bei ihm nicht vorkommt. Derart habe ich mir
Einiges ausgeheckt, um für ferneres Nachdenken über das
Weſen der Abſurdität gute Beiſpiele bereit zu haben:
Geiſtreiche Gedanken eines Schulpedanten.
Idee 1. Er hat ſich die Lehre gemerkt, daß ein
Dichter Alles individualiſiren muß. Schlägt daher
Viſcher, Auch Einer. II. 23
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/366>, abgerufen am 22.11.2024.
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