ich komme Nachts an mein Haus und sehe vor dem¬ selben eine große Versammlung von Männern, schwarz angethan, Trauerflor am Hut und mit brennenden Frackzipfeln. Ich frage verwundert, was das bedeute, und erhalte zur Antwort: Hiemit werde das Leichen¬ begängniß des Herrn A. E. gefeiert und man nenne das einen Frackelzug. Ich war sehr erbaut und be¬ lehrt, bestaunte sehr die tiefsinnige Wortbildung, zündete mir selbst den Frackschoß an und gieng mir selbst sehr andächtig in der Klage mit. Zugleich wie furchtbar eitel!
Eines haben die Pessimisten auch ausgelassen: das Lachen. Sie sind ganz humorlos. Eine Welt, wo so viel gelacht wird, kann so schlecht nicht sein.
Gelacht wird über das Verkehrte, auch das Ruch¬ lose, selbst über die größten Uebel, wenn sie nur irgend¬ wie unter den Gesichtspunkt der Zweckwidrigkeit gerückt werden können. Vorausgesetzt ist das humoristische Lachen freier, reiner und universal blickender Gemüther. Sie lachen im Bewußtsein, daß schließlich das Ver¬ kehrteste der sittlichen Weltordnung nichts anhaben kann, denn eben die so Lachenden sind ihre Schützer, ihre Retter.
Wir sind von Räthseln umgeben. In dieser Lage ist es das einzig Vernünftige, als wahr anzunehmen, was
ich komme Nachts an mein Haus und ſehe vor dem¬ ſelben eine große Verſammlung von Männern, ſchwarz angethan, Trauerflor am Hut und mit brennenden Frackzipfeln. Ich frage verwundert, was das bedeute, und erhalte zur Antwort: Hiemit werde das Leichen¬ begängniß des Herrn A. E. gefeiert und man nenne das einen Frackelzug. Ich war ſehr erbaut und be¬ lehrt, beſtaunte ſehr die tiefſinnige Wortbildung, zündete mir ſelbſt den Frackſchoß an und gieng mir ſelbſt ſehr andächtig in der Klage mit. Zugleich wie furchtbar eitel!
Eines haben die Peſſimiſten auch ausgelaſſen: das Lachen. Sie ſind ganz humorlos. Eine Welt, wo ſo viel gelacht wird, kann ſo ſchlecht nicht ſein.
Gelacht wird über das Verkehrte, auch das Ruch¬ loſe, ſelbſt über die größten Uebel, wenn ſie nur irgend¬ wie unter den Geſichtspunkt der Zweckwidrigkeit gerückt werden können. Vorausgeſetzt iſt das humoriſtiſche Lachen freier, reiner und univerſal blickender Gemüther. Sie lachen im Bewußtſein, daß ſchließlich das Ver¬ kehrteſte der ſittlichen Weltordnung nichts anhaben kann, denn eben die ſo Lachenden ſind ihre Schützer, ihre Retter.
Wir ſind von Räthſeln umgeben. In dieſer Lage iſt es das einzig Vernünftige, als wahr anzunehmen, was
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ich komme Nachts an mein Haus und ſehe vor dem¬
ſelben eine große Verſammlung von Männern, ſchwarz
angethan, Trauerflor am Hut und mit brennenden
Frackzipfeln. Ich frage verwundert, was das bedeute,
und erhalte zur Antwort: Hiemit werde das Leichen¬
begängniß des Herrn A. E. gefeiert und man nenne
das einen Frackelzug. Ich war ſehr erbaut und be¬
lehrt, beſtaunte ſehr die tiefſinnige Wortbildung, zündete
mir ſelbſt den Frackſchoß an und gieng mir ſelbſt ſehr
andächtig in der Klage mit. Zugleich wie furchtbar
eitel!
Eines haben die Peſſimiſten auch ausgelaſſen: das
Lachen. Sie ſind ganz humorlos. Eine Welt, wo
ſo viel gelacht wird, kann ſo ſchlecht nicht ſein.
Gelacht wird über das Verkehrte, auch das Ruch¬
loſe, ſelbſt über die größten Uebel, wenn ſie nur irgend¬
wie unter den Geſichtspunkt der Zweckwidrigkeit gerückt
werden können. Vorausgeſetzt iſt das humoriſtiſche
Lachen freier, reiner und univerſal blickender Gemüther.
Sie lachen im Bewußtſein, daß ſchließlich das Ver¬
kehrteſte der ſittlichen Weltordnung nichts anhaben
kann, denn eben die ſo Lachenden ſind ihre Schützer,
ihre Retter.
Wir ſind von Räthſeln umgeben. In dieſer Lage iſt
es das einzig Vernünftige, als wahr anzunehmen, was
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/370>, abgerufen am 22.11.2024.
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