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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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der Zeit. In Goneril's Verruchtheit blitzt schon das
Messer, das sie sich, an der Verzweiflung angelangt,
in's Herz stoßen wird. Also ist auch ihr Selbstgenuß
in ihrer Verruchtheit nur Schein, sie ist schon unselige
Selbstmörderin. -- Was könnten die Menschen für
ihr ethisches Leben lernen, wenn sie den Begriff der
Zeit besser studiren würden! Alles Laster, Verbrechen
ist schlechte Logik.


Lust fühlen heißt die Zeit nicht fühlen. Darnach
jagt nun alle Welt. Aber die Lust ist eine große
Kokette; wer sie sucht, den täuscht sie, wer nicht nach
ihr fragt, dem hängt sie an und wird am End' eine
ordentliche Frau. -- Das gibt zu denken über Eudä¬
monismus.


Die meisten Menschen wissen sich nicht zu behan¬
deln, daher stehen sie mit sich selbst auf so schlechtem
Fuße.


Vorsehung. Man sollte eigentlich sagen: Nach¬
sehung. Es handelt sich doch vom Zufall. Der Zu¬
fall ist eine im Moment ihres Auftretens von keiner
Intelligenz überwachte, rein irrationale, gesetzlose

der Zeit. In Goneril's Verruchtheit blitzt ſchon das
Meſſer, das ſie ſich, an der Verzweiflung angelangt,
in's Herz ſtoßen wird. Alſo iſt auch ihr Selbſtgenuß
in ihrer Verruchtheit nur Schein, ſie iſt ſchon unſelige
Selbſtmörderin. — Was könnten die Menſchen für
ihr ethiſches Leben lernen, wenn ſie den Begriff der
Zeit beſſer ſtudiren würden! Alles Laſter, Verbrechen
iſt ſchlechte Logik.


Luſt fühlen heißt die Zeit nicht fühlen. Darnach
jagt nun alle Welt. Aber die Luſt iſt eine große
Kokette; wer ſie ſucht, den täuſcht ſie, wer nicht nach
ihr fragt, dem hängt ſie an und wird am End' eine
ordentliche Frau. — Das gibt zu denken über Eudä¬
monismus.


Die meiſten Menſchen wiſſen ſich nicht zu behan¬
deln, daher ſtehen ſie mit ſich ſelbſt auf ſo ſchlechtem
Fuße.


Vorſehung. Man ſollte eigentlich ſagen: Nach¬
ſehung. Es handelt ſich doch vom Zufall. Der Zu¬
fall iſt eine im Moment ihres Auftretens von keiner
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[363/0376] der Zeit. In Goneril's Verruchtheit blitzt ſchon das Meſſer, das ſie ſich, an der Verzweiflung angelangt, in's Herz ſtoßen wird. Alſo iſt auch ihr Selbſtgenuß in ihrer Verruchtheit nur Schein, ſie iſt ſchon unſelige Selbſtmörderin. — Was könnten die Menſchen für ihr ethiſches Leben lernen, wenn ſie den Begriff der Zeit beſſer ſtudiren würden! Alles Laſter, Verbrechen iſt ſchlechte Logik. Luſt fühlen heißt die Zeit nicht fühlen. Darnach jagt nun alle Welt. Aber die Luſt iſt eine große Kokette; wer ſie ſucht, den täuſcht ſie, wer nicht nach ihr fragt, dem hängt ſie an und wird am End' eine ordentliche Frau. — Das gibt zu denken über Eudä¬ monismus. Die meiſten Menſchen wiſſen ſich nicht zu behan¬ deln, daher ſtehen ſie mit ſich ſelbſt auf ſo ſchlechtem Fuße. Vorſehung. Man ſollte eigentlich ſagen: Nach¬ ſehung. Es handelt ſich doch vom Zufall. Der Zu¬ fall iſt eine im Moment ihres Auftretens von keiner Intelligenz überwachte, rein irrationale, geſetzloſe

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/376>, abgerufen am 01.06.2024.