daran erkennen, daß er gut unterscheidet, wo Cynismus berechtigt ist, wo nicht, und daß er gut erkennt: der gröbste Cynismus ist unschuldiger als der feinste Obscönismus.
Darin liegt eine große Schwäche des Weibs, daß es im Gespräch so gern Nebenbeziehungen findet, Anspielungen, Stiche, Ausfälle, wo davon keine Spur ist. Der Mann redet gewöhnlich einfach und ehrlich auf die Sache los und denkt nicht daran, was man dabei sonst und nebenher noch denken könnte.
Die Frage nach dem Werthe des Weibs ist eine der zweiseitigsten, die es gibt. Der Mann ist weit commensurabler. Mit diesem Wort ist sogleich der Grund der beunruhigenden Schwierigkeit in der Frage ausgedrückt. Incommensurabler ist das Weib im Guten; Großthaten des weiblichen Enthusiasmus leuchten in Menge wie Sterne am Nachthimmel der Geschichte, incommensurabler auch im Bösen: "o, undistinguish'd space of woman's will!" (König Lear IV, 6.) Wie sieht es mit der Geduld aus? Das Weib ist sowohl viel geduldiger, als auch viel ungeduldiger, als der Mann. Jenes z. B. im Katarrh mit Zubehör und bei Krankenpflege, dieses bei Meinungs- und Willens¬
daran erkennen, daß er gut unterſcheidet, wo Cynismus berechtigt iſt, wo nicht, und daß er gut erkennt: der gröbſte Cynismus iſt unſchuldiger als der feinſte Obſcönismus.
Darin liegt eine große Schwäche des Weibs, daß es im Geſpräch ſo gern Nebenbeziehungen findet, Anſpielungen, Stiche, Ausfälle, wo davon keine Spur iſt. Der Mann redet gewöhnlich einfach und ehrlich auf die Sache los und denkt nicht daran, was man dabei ſonſt und nebenher noch denken könnte.
Die Frage nach dem Werthe des Weibs iſt eine der zweiſeitigſten, die es gibt. Der Mann iſt weit commenſurabler. Mit dieſem Wort iſt ſogleich der Grund der beunruhigenden Schwierigkeit in der Frage ausgedrückt. Incommenſurabler iſt das Weib im Guten; Großthaten des weiblichen Enthuſiasmus leuchten in Menge wie Sterne am Nachthimmel der Geſchichte, incommenſurabler auch im Böſen: „o, undistinguish'd space of woman's will!“ (König Lear IV, 6.) Wie ſieht es mit der Geduld aus? Das Weib iſt ſowohl viel geduldiger, als auch viel ungeduldiger, als der Mann. Jenes z. B. im Katarrh mit Zubehör und bei Krankenpflege, dieſes bei Meinungs- und Willens¬
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daran erkennen, daß er gut unterſcheidet, wo Cynismus
berechtigt iſt, wo nicht, und daß er gut erkennt: der
gröbſte Cynismus iſt unſchuldiger als der feinſte
Obſcönismus.
Darin liegt eine große Schwäche des Weibs, daß
es im Geſpräch ſo gern Nebenbeziehungen findet,
Anſpielungen, Stiche, Ausfälle, wo davon keine Spur
iſt. Der Mann redet gewöhnlich einfach und ehrlich
auf die Sache los und denkt nicht daran, was man
dabei ſonſt und nebenher noch denken könnte.
Die Frage nach dem Werthe des Weibs iſt eine
der zweiſeitigſten, die es gibt. Der Mann iſt weit
commenſurabler. Mit dieſem Wort iſt ſogleich der
Grund der beunruhigenden Schwierigkeit in der Frage
ausgedrückt. Incommenſurabler iſt das Weib im Guten;
Großthaten des weiblichen Enthuſiasmus leuchten in
Menge wie Sterne am Nachthimmel der Geſchichte,
incommenſurabler auch im Böſen: „o, undistinguish'd
space of woman's will!“ (König Lear IV, 6.) Wie
ſieht es mit der Geduld aus? Das Weib iſt ſowohl
viel geduldiger, als auch viel ungeduldiger, als der
Mann. Jenes z. B. im Katarrh mit Zubehör und
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/383>, abgerufen am 22.11.2024.
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