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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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kreuzungen. Ein Bekannter, der in ganz erträglicher
Ehe lebt, sagt neulich, er habe so rührend schöne
Ideen gehabt, wie er Geduld lernen wolle am sanften
Bande der Ehe; "ja, oha!" fährt er fort, "hab' sie
wohl lernen müssen, aber anders, als ich meinte: im
Widerstand gegen Ungeduld."


Gestern an unserem Tisch im Gasthoflokal mischt
sich ein Herr in's Gespräch über das Weib und läßt
sich sehr gemein aus, erlaubt sich auch Zoten. Sonst
formell ganz anständiger Mensch, doch etwas anrüchig
wegen Benehmens in Ehrenfragen. Wir schweigen ihn
an, und fühlbar, da er fortmacht, keimt und wächst
im Kreis eine Neigung, ihm die Thüre zu weisen.
Plötzlich bricht er auf und geht von selbst. Staunen.
Sagt X: "Mir scheint, der Mensch hat einen inneren
Hausknecht -- einen Rest von Scham --, der hat
ihn hinausgeworfen." Gut.


Nun muß sich aber hintennach in dem Menschen
doch die Vorstellung ausgebildet haben, er sei von
uns hinausgeworfen worden; er münzt es auf mich
und verdächtigt mich politisch in einer Zeitung. "Schmutz
riecht sich selber nur," habe ich erwidert.


kreuzungen. Ein Bekannter, der in ganz erträglicher
Ehe lebt, ſagt neulich, er habe ſo rührend ſchöne
Ideen gehabt, wie er Geduld lernen wolle am ſanften
Bande der Ehe; „ja, oha!“ fährt er fort, „hab' ſie
wohl lernen müſſen, aber anders, als ich meinte: im
Widerſtand gegen Ungeduld.“


Geſtern an unſerem Tiſch im Gaſthoflokal miſcht
ſich ein Herr in's Geſpräch über das Weib und läßt
ſich ſehr gemein aus, erlaubt ſich auch Zoten. Sonſt
formell ganz anſtändiger Menſch, doch etwas anrüchig
wegen Benehmens in Ehrenfragen. Wir ſchweigen ihn
an, und fühlbar, da er fortmacht, keimt und wächst
im Kreis eine Neigung, ihm die Thüre zu weiſen.
Plötzlich bricht er auf und geht von ſelbſt. Staunen.
Sagt X: „Mir ſcheint, der Menſch hat einen inneren
Hausknecht — einen Reſt von Scham —, der hat
ihn hinausgeworfen.“ Gut.


Nun muß ſich aber hintennach in dem Menſchen
doch die Vorſtellung ausgebildet haben, er ſei von
uns hinausgeworfen worden; er münzt es auf mich
und verdächtigt mich politiſch in einer Zeitung. „Schmutz
riecht ſich ſelber nur,“ habe ich erwidert.


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[371/0384] kreuzungen. Ein Bekannter, der in ganz erträglicher Ehe lebt, ſagt neulich, er habe ſo rührend ſchöne Ideen gehabt, wie er Geduld lernen wolle am ſanften Bande der Ehe; „ja, oha!“ fährt er fort, „hab' ſie wohl lernen müſſen, aber anders, als ich meinte: im Widerſtand gegen Ungeduld.“ Geſtern an unſerem Tiſch im Gaſthoflokal miſcht ſich ein Herr in's Geſpräch über das Weib und läßt ſich ſehr gemein aus, erlaubt ſich auch Zoten. Sonſt formell ganz anſtändiger Menſch, doch etwas anrüchig wegen Benehmens in Ehrenfragen. Wir ſchweigen ihn an, und fühlbar, da er fortmacht, keimt und wächst im Kreis eine Neigung, ihm die Thüre zu weiſen. Plötzlich bricht er auf und geht von ſelbſt. Staunen. Sagt X: „Mir ſcheint, der Menſch hat einen inneren Hausknecht — einen Reſt von Scham —, der hat ihn hinausgeworfen.“ Gut. Nun muß ſich aber hintennach in dem Menſchen doch die Vorſtellung ausgebildet haben, er ſei von uns hinausgeworfen worden; er münzt es auf mich und verdächtigt mich politiſch in einer Zeitung. „Schmutz riecht ſich ſelber nur,“ habe ich erwidert.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/384>, abgerufen am 22.11.2024.