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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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Nicht daß es bleiern mich beschwert,
Ich kenne meines Lebens Werth,
Ich weiß, wie ich gestrebet und gerungen,
Und was der sauren Arbeit ist gelungen.
Doch heute, wo herauf zum Wald
Das alte Klosterglöckchen schallt,
Heut, wo ich aus so ungetheilter Nähe
Dem frohen Knaben in die Augen sehe,
Der ich einst war, der so vertraut,
So schuldlos mir entgegen schaut,
Heut weiß ich nichts von meinem Tagewerke,
Hinthaut der Stolz, es beuget sich die Stärke.
Zur Felsenhöhle wandl' ich hin --
Vor Zeiten träumt' ich oft darin --;
Laß, alt Gestein, mich heut' in meinen Thränen
Ganz still an deine graue Wand mich lehnen.

München. Zuerst einmal hier verweilen, Kunst an¬
sehen. Pinakothek. O Gott, o Himmel, wie trifft mich's!
Da liegt sie unter königlichem rothem Baldachin, konnte
die Kerze nicht mehr fassen, die ihr der weinende Johan¬
nes reicht; Alles rings getreulich nach den Formen der
Zeit; Wohnraum, Geräthe, Kultushandlung beim Tod
einer hohen Person, Weihwasser, Weihrauch, Gebet¬
formeln aus dem Buch, die Apostel hartgemeißelte
Köpfe, unfeine Gestalten aus der gröblichen Wirklich¬
keit, überall voller Schein des Lebens bis hinaus auf

Nicht daß es bleiern mich beſchwert,
Ich kenne meines Lebens Werth,
Ich weiß, wie ich geſtrebet und gerungen,
Und was der ſauren Arbeit iſt gelungen.
Doch heute, wo herauf zum Wald
Das alte Kloſterglöckchen ſchallt,
Heut, wo ich aus ſo ungetheilter Nähe
Dem frohen Knaben in die Augen ſehe,
Der ich einſt war, der ſo vertraut,
So ſchuldlos mir entgegen ſchaut,
Heut weiß ich nichts von meinem Tagewerke,
Hinthaut der Stolz, es beuget ſich die Stärke.
Zur Felſenhöhle wandl' ich hin —
Vor Zeiten träumt' ich oft darin —;
Laß, alt Geſtein, mich heut' in meinen Thränen
Ganz ſtill an deine graue Wand mich lehnen.

München. Zuerſt einmal hier verweilen, Kunſt an¬
ſehen. Pinakothek. O Gott, o Himmel, wie trifft mich's!
Da liegt ſie unter königlichem rothem Baldachin, konnte
die Kerze nicht mehr faſſen, die ihr der weinende Johan¬
nes reicht; Alles rings getreulich nach den Formen der
Zeit; Wohnraum, Geräthe, Kultushandlung beim Tod
einer hohen Perſon, Weihwaſſer, Weihrauch, Gebet¬
formeln aus dem Buch, die Apoſtel hartgemeißelte
Köpfe, unfeine Geſtalten aus der gröblichen Wirklich¬
keit, überall voller Schein des Lebens bis hinaus auf

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[383/0396] Nicht daß es bleiern mich beſchwert, Ich kenne meines Lebens Werth, Ich weiß, wie ich geſtrebet und gerungen, Und was der ſauren Arbeit iſt gelungen. Doch heute, wo herauf zum Wald Das alte Kloſterglöckchen ſchallt, Heut, wo ich aus ſo ungetheilter Nähe Dem frohen Knaben in die Augen ſehe, Der ich einſt war, der ſo vertraut, So ſchuldlos mir entgegen ſchaut, Heut weiß ich nichts von meinem Tagewerke, Hinthaut der Stolz, es beuget ſich die Stärke. Zur Felſenhöhle wandl' ich hin — Vor Zeiten träumt' ich oft darin —; Laß, alt Geſtein, mich heut' in meinen Thränen Ganz ſtill an deine graue Wand mich lehnen. München. Zuerſt einmal hier verweilen, Kunſt an¬ ſehen. Pinakothek. O Gott, o Himmel, wie trifft mich's! Da liegt ſie unter königlichem rothem Baldachin, konnte die Kerze nicht mehr faſſen, die ihr der weinende Johan¬ nes reicht; Alles rings getreulich nach den Formen der Zeit; Wohnraum, Geräthe, Kultushandlung beim Tod einer hohen Perſon, Weihwaſſer, Weihrauch, Gebet¬ formeln aus dem Buch, die Apoſtel hartgemeißelte Köpfe, unfeine Geſtalten aus der gröblichen Wirklich¬ keit, überall voller Schein des Lebens bis hinaus auf

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/396>, abgerufen am 22.11.2024.