kleiner und kein Metallhaar, sonst ganze Doppelgängerin -- hat bemerkt, wie scheu ich sie ansehe, läßt einen mürrisch fragenden Blick über mich herlaufen. -- Gesichter hier sind eine Bilderreihe zur Geschichte der Insel. Dort ein rein latinisches, adlernasiges, hier noch ein Rest griechischen Profils, jetzt tiefbraun arabi¬ scher Typus, jetzt glaubt man schwäbisches Gepräge aus Hohenstaufenzeit zu erkennen, mitunter glüht Afrika herüber: äthiopische Wulstlippen und Plattnase, Farbe fast schwarzbraun, dazwischen aber auf einmal nor¬ mannisch: da und dort ein weibliches Gesicht blond, helläugig, selbst mit dem mattsammtenen Hautton nörd¬ lichen Klimas -- trotz der Sonne Siziliens. Und nun da -- Hat einst ein Normanne, ein wilder Wikinger, Ururahns Bruder, hier mit einem Meerweib die Ururahne dieser Erscheinung gezeugt?
Der Traum dieser Nacht sei aufgezeichnet, schnell, bevor er sich verwischen kann! So gut ich's vermag nach so viel Grausen, Beben und Entzücken.
Ich wandle wieder auf dem Corso. Der Himmel wie neulich in Pestum. Die schwere Wolkenwand sinkt herab und schließt den Spalt, durch den man dort die Abendsonne im trüben Sciroccogelb leuchten sah. Nacht. Die Begegnenden sehen sich nicht mehr. Schwül und schwüler, endlich fast zum Ersticken. So muß es in
kleiner und kein Metallhaar, ſonſt ganze Doppelgängerin — hat bemerkt, wie ſcheu ich ſie anſehe, läßt einen mürriſch fragenden Blick über mich herlaufen. — Geſichter hier ſind eine Bilderreihe zur Geſchichte der Inſel. Dort ein rein latiniſches, adlernaſiges, hier noch ein Reſt griechiſchen Profils, jetzt tiefbraun arabi¬ ſcher Typus, jetzt glaubt man ſchwäbiſches Gepräge aus Hohenſtaufenzeit zu erkennen, mitunter glüht Afrika herüber: äthiopiſche Wulſtlippen und Plattnaſe, Farbe faſt ſchwarzbraun, dazwiſchen aber auf einmal nor¬ manniſch: da und dort ein weibliches Geſicht blond, helläugig, ſelbſt mit dem mattſammtenen Hautton nörd¬ lichen Klimas — trotz der Sonne Siziliens. Und nun da — Hat einſt ein Normanne, ein wilder Wikinger, Ururahns Bruder, hier mit einem Meerweib die Ururahne dieſer Erſcheinung gezeugt?
Der Traum dieſer Nacht ſei aufgezeichnet, ſchnell, bevor er ſich verwiſchen kann! So gut ich's vermag nach ſo viel Grauſen, Beben und Entzücken.
Ich wandle wieder auf dem Corſo. Der Himmel wie neulich in Peſtum. Die ſchwere Wolkenwand ſinkt herab und ſchließt den Spalt, durch den man dort die Abendſonne im trüben Sciroccogelb leuchten ſah. Nacht. Die Begegnenden ſehen ſich nicht mehr. Schwül und ſchwüler, endlich faſt zum Erſticken. So muß es in
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kleiner und kein Metallhaar, ſonſt ganze Doppelgängerin
— hat bemerkt, wie ſcheu ich ſie anſehe, läßt einen
mürriſch fragenden Blick über mich herlaufen. —
Geſichter hier ſind eine Bilderreihe zur Geſchichte der
Inſel. Dort ein rein latiniſches, adlernaſiges, hier
noch ein Reſt griechiſchen Profils, jetzt tiefbraun arabi¬
ſcher Typus, jetzt glaubt man ſchwäbiſches Gepräge
aus Hohenſtaufenzeit zu erkennen, mitunter glüht Afrika
herüber: äthiopiſche Wulſtlippen und Plattnaſe, Farbe
faſt ſchwarzbraun, dazwiſchen aber auf einmal nor¬
manniſch: da und dort ein weibliches Geſicht blond,
helläugig, ſelbſt mit dem mattſammtenen Hautton nörd¬
lichen Klimas — trotz der Sonne Siziliens. Und
nun da — Hat einſt ein Normanne, ein wilder
Wikinger, Ururahns Bruder, hier mit einem Meerweib
die Ururahne dieſer Erſcheinung gezeugt?
Der Traum dieſer Nacht ſei aufgezeichnet, ſchnell,
bevor er ſich verwiſchen kann! So gut ich's vermag
nach ſo viel Grauſen, Beben und Entzücken.
Ich wandle wieder auf dem Corſo. Der Himmel
wie neulich in Peſtum. Die ſchwere Wolkenwand ſinkt
herab und ſchließt den Spalt, durch den man dort die
Abendſonne im trüben Sciroccogelb leuchten ſah. Nacht.
Die Begegnenden ſehen ſich nicht mehr. Schwül und
ſchwüler, endlich faſt zum Erſticken. So muß es in
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/419>, abgerufen am 04.12.2024.
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