das nicht etwas wie eine weibliche Riesengestalt, was aus ihm emporragt? -- -- der Wagen senkt sich -- schwebt sinkend näher und näher -- deutlicher im schweflichen Glut- und Blutschein wird die Lenkerin des Drachenpaars -- Augen wie Fackeln brennen aus ihrem Antlitz -- ihre Locken sind von Gold, ringeln sich aber wie Schlangen, blaue Funken knistern aus ihren Spitzen, -- jetzt wankt mir der Muth, ich denke an Flucht, die Beine sind mir lahm, angewurzelt stehe ich, denn das ist ja -- sie! sie! das Weib, das mir die Seele ver-- Der Wagen hält in Lüften -- ein Blick -- was für ein Blick! Ich kenne ihn! -- trifft mich, streift dann über die Köpfe der Menge hin --; sie wirft stolz ihr Haupt auf und erhebt die Stimme, -- es ist der Ton, mit dem sie einst jene Stellen des Olaflieds sang, woraus es hervorklang wie Mitleid und Hohn zugleich, -- nur lauter jetzt, greller, ein Herrscherton -- so mag einst Libussa ihre Schlacht¬ befehle gerufen haben -- "Adoratemi! Sono la santa Rosalia!" Das Volk starrt sie an, dann rufen Stimmen: Auf die Kniee! Seht ihr das Kreuz auf ihrer Stirn? -- und Alles sank auf die Kniee. Ich sehe hin nach ihrer Stirne und erkenne mit Grausen -- -- "Betet nicht an! das ist kein Kreuz! schaut besser hin -- eingeätztes Bild eines Dolchs!" -- Das entsetzliche Weib wendet den Blick wieder nach mir und herrscht mir jetzt griechische Worte zu: Ano ten kephalen!
das nicht etwas wie eine weibliche Rieſengeſtalt, was aus ihm emporragt? — — der Wagen ſenkt ſich — ſchwebt ſinkend näher und näher — deutlicher im ſchweflichen Glut- und Blutſchein wird die Lenkerin des Drachenpaars — Augen wie Fackeln brennen aus ihrem Antlitz — ihre Locken ſind von Gold, ringeln ſich aber wie Schlangen, blaue Funken kniſtern aus ihren Spitzen, — jetzt wankt mir der Muth, ich denke an Flucht, die Beine ſind mir lahm, angewurzelt ſtehe ich, denn das iſt ja — ſie! ſie! das Weib, das mir die Seele ver— Der Wagen hält in Lüften — ein Blick — was für ein Blick! Ich kenne ihn! — trifft mich, ſtreift dann über die Köpfe der Menge hin —; ſie wirft ſtolz ihr Haupt auf und erhebt die Stimme, — es iſt der Ton, mit dem ſie einſt jene Stellen des Olaflieds ſang, woraus es hervorklang wie Mitleid und Hohn zugleich, — nur lauter jetzt, greller, ein Herrſcherton — ſo mag einſt Libuſſa ihre Schlacht¬ befehle gerufen haben — „Adoratemi! Sono la santa Rosalia!“ Das Volk ſtarrt ſie an, dann rufen Stimmen: Auf die Kniee! Seht ihr das Kreuz auf ihrer Stirn? — und Alles ſank auf die Kniee. Ich ſehe hin nach ihrer Stirne und erkenne mit Grauſen — — „Betet nicht an! das iſt kein Kreuz! ſchaut beſſer hin — eingeätztes Bild eines Dolchs!“ — Das entſetzliche Weib wendet den Blick wieder nach mir und herrſcht mir jetzt griechiſche Worte zu: Ἄνω τὴν κεφαλὴν!
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das nicht etwas wie eine weibliche Rieſengeſtalt, was
aus ihm emporragt? — — der Wagen ſenkt ſich —
ſchwebt ſinkend näher und näher — deutlicher im
ſchweflichen Glut- und Blutſchein wird die Lenkerin
des Drachenpaars — Augen wie Fackeln brennen aus
ihrem Antlitz — ihre Locken ſind von Gold, ringeln
ſich aber wie Schlangen, blaue Funken kniſtern aus
ihren Spitzen, — jetzt wankt mir der Muth, ich denke
an Flucht, die Beine ſind mir lahm, angewurzelt ſtehe
ich, denn das iſt ja — ſie! ſie! das Weib, das mir
die Seele ver— Der Wagen hält in Lüften — ein
Blick — was für ein Blick! Ich kenne ihn! — trifft
mich, ſtreift dann über die Köpfe der Menge hin —;
ſie wirft ſtolz ihr Haupt auf und erhebt die Stimme,
— es iſt der Ton, mit dem ſie einſt jene Stellen des
Olaflieds ſang, woraus es hervorklang wie Mitleid
und Hohn zugleich, — nur lauter jetzt, greller, ein
Herrſcherton — ſo mag einſt Libuſſa ihre Schlacht¬
befehle gerufen haben — „Adoratemi! Sono la santa
Rosalia!“ Das Volk ſtarrt ſie an, dann rufen Stimmen:
Auf die Kniee! Seht ihr das Kreuz auf ihrer Stirn?
— und Alles ſank auf die Kniee. Ich ſehe hin nach
ihrer Stirne und erkenne mit Grauſen — — „Betet
nicht an! das iſt kein Kreuz! ſchaut beſſer hin —
eingeätztes Bild eines Dolchs!“ — Das entſetzliche
Weib wendet den Blick wieder nach mir und herrſcht
mir jetzt griechiſche Worte zu: Ἄνω τὴν κεφαλὴν!
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/421>, abgerufen am 04.12.2024.
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