die Papiere lagen, sah ich mich etwas im Zimmer um. Drei Landschaftgemälde von guter Hand schmückten eine der Wände: das eine Perugia, das andere die römische Campagna, das dritte Venedig darstellend; an einer andern Wand fiel mir ein Bild auf, das durch ein Loch verunstaltet war. Als ich näher trat, erkannte ich ein Werk aus der altdeutschen Schule; ein heiliger Sebastian, von den Pfeilen durchbohrt, schien im Ausdruck ergrei¬ fend gegeben, so weit der defekte Zustand errathen ließ, gewisse Eigenheiten der Form, die leuchtende Kraft der Farbe, die warme Mürbe des Fleisches schienen mir auf Zeitblom zu weisen, das Loch aber gieng mitten durch die Nase und erstreckte sich noch auf die Nasen¬ wurzel, so daß ein sicheres Kennzeichen des Ulmer Meisters ausgetilgt war; denn dieser ernste, feierliche, innigfromme, farbensaftige, lebenswahre Künstler hat ja leider die Grille gehabt, fast alle seine Köpfe mit roth angelaufenen Nasen und einer knopfigen Anschwellung der Nasenwurzel auszustatten. "Was ist denn nun aber das?" fragte ich. -- "Ja, der schöne Zeitblom!" war die Antwort, "den der Herr auf einer Reise nach Schwaben entdeckt und um schweres Geld gekauft hat! Er schätzte und liebte das Bild nicht nur wegen seines Kunstwerths, er dachte dabei gern an seine eigenen Leiden unter den spitzen Bolzen der Lebensübel. Da fuhr einer der Steine durch, die dazumal, als ich krank lag, durch's Fenster flogen, der Selige hängte
die Papiere lagen, ſah ich mich etwas im Zimmer um. Drei Landſchaftgemälde von guter Hand ſchmückten eine der Wände: das eine Perugia, das andere die römiſche Campagna, das dritte Venedig darſtellend; an einer andern Wand fiel mir ein Bild auf, das durch ein Loch verunſtaltet war. Als ich näher trat, erkannte ich ein Werk aus der altdeutſchen Schule; ein heiliger Sebaſtian, von den Pfeilen durchbohrt, ſchien im Ausdruck ergrei¬ fend gegeben, ſo weit der defekte Zuſtand errathen ließ, gewiſſe Eigenheiten der Form, die leuchtende Kraft der Farbe, die warme Mürbe des Fleiſches ſchienen mir auf Zeitblom zu weiſen, das Loch aber gieng mitten durch die Naſe und erſtreckte ſich noch auf die Naſen¬ wurzel, ſo daß ein ſicheres Kennzeichen des Ulmer Meiſters ausgetilgt war; denn dieſer ernſte, feierliche, innigfromme, farbenſaftige, lebenswahre Künſtler hat ja leider die Grille gehabt, faſt alle ſeine Köpfe mit roth angelaufenen Naſen und einer knopfigen Anſchwellung der Naſenwurzel auszuſtatten. „Was iſt denn nun aber das?“ fragte ich. — „Ja, der ſchöne Zeitblom!“ war die Antwort, „den der Herr auf einer Reiſe nach Schwaben entdeckt und um ſchweres Geld gekauft hat! Er ſchätzte und liebte das Bild nicht nur wegen ſeines Kunſtwerths, er dachte dabei gern an ſeine eigenen Leiden unter den ſpitzen Bolzen der Lebensübel. Da fuhr einer der Steine durch, die dazumal, als ich krank lag, durch's Fenſter flogen, der Selige hängte
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die Papiere lagen, ſah ich mich etwas im Zimmer um.
Drei Landſchaftgemälde von guter Hand ſchmückten eine
der Wände: das eine Perugia, das andere die römiſche
Campagna, das dritte Venedig darſtellend; an einer
andern Wand fiel mir ein Bild auf, das durch ein Loch
verunſtaltet war. Als ich näher trat, erkannte ich ein
Werk aus der altdeutſchen Schule; ein heiliger Sebaſtian,
von den Pfeilen durchbohrt, ſchien im Ausdruck ergrei¬
fend gegeben, ſo weit der defekte Zuſtand errathen ließ,
gewiſſe Eigenheiten der Form, die leuchtende Kraft der
Farbe, die warme Mürbe des Fleiſches ſchienen mir
auf Zeitblom zu weiſen, das Loch aber gieng mitten
durch die Naſe und erſtreckte ſich noch auf die Naſen¬
wurzel, ſo daß ein ſicheres Kennzeichen des Ulmer
Meiſters ausgetilgt war; denn dieſer ernſte, feierliche,
innigfromme, farbenſaftige, lebenswahre Künſtler hat
ja leider die Grille gehabt, faſt alle ſeine Köpfe mit roth
angelaufenen Naſen und einer knopfigen Anſchwellung
der Naſenwurzel auszuſtatten. „Was iſt denn nun aber
das?“ fragte ich. — „Ja, der ſchöne Zeitblom!“ war
die Antwort, „den der Herr auf einer Reiſe nach
Schwaben entdeckt und um ſchweres Geld gekauft hat!
Er ſchätzte und liebte das Bild nicht nur wegen ſeines
Kunſtwerths, er dachte dabei gern an ſeine eigenen
Leiden unter den ſpitzen Bolzen der Lebensübel. Da
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/59>, abgerufen am 25.11.2024.
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