das Bild nun in sein Studierzimmer und war schlech¬ terdings nicht zu einer Herstellung zu bewegen. Das geschah keineswegs bloß zum Andenken an die über¬ standene Gefahr. Er hatte immer seinen Spaß ge¬ trieben über die rothe Nase und geschwollene Nasen¬ wurzel. ,Es werden wohl,' pflegte er zu sagen, ,die starken Donaunebel schuld sein, daß in Ulm Jeder¬ mann immer Schnupfen hat, alten oder neuen; der gute Meister wird seine Mitchristen wohl nie in einem andern Zustande gesehen haben! Das wär' ein Aufent¬ halt für mich, das Ulm!' Nun, als der Stein durch¬ schlug, da gieng, sobald nur Schrecken und Zorn ver¬ raucht waren, der Spaß erst recht an: ,Der Lümmel hat's verstanden! Radikalkur! Der Sebastian kriegt keinen mehr! Nun, und der Schütze auch keinen mehr! Dem ist's fast zu gut geworden!' -- So gieng es fort.
"Da," sagte Frau Hedwig, indem sie nun eine eingerahmte, auf dem Schreibtisch stehende Photographie mir hinhielt, "das ist ein Bild, das er immer vor Augen hatte." Es war das Porträt eines Mannes in den besten Jahren, und je mehr ich es betrachtete, um so tiefer fühlte ich mich angezogen. Selten habe ich so viel Festigkeit mit so viel Güte in Einem Aus¬ druck verbunden gesehen. -- "Diesem Mann ist zu trauen!" sagte ich. -- "Ja," erwiderte Frau Hedwig, "und dem muß der Verstorbene viel verdankt haben, mehr
das Bild nun in ſein Studierzimmer und war ſchlech¬ terdings nicht zu einer Herſtellung zu bewegen. Das geſchah keineswegs bloß zum Andenken an die über¬ ſtandene Gefahr. Er hatte immer ſeinen Spaß ge¬ trieben über die rothe Naſe und geſchwollene Naſen¬ wurzel. ‚Es werden wohl,' pflegte er zu ſagen, ‚die ſtarken Donaunebel ſchuld ſein, daß in Ulm Jeder¬ mann immer Schnupfen hat, alten oder neuen; der gute Meiſter wird ſeine Mitchriſten wohl nie in einem andern Zuſtande geſehen haben! Das wär' ein Aufent¬ halt für mich, das Ulm!‘ Nun, als der Stein durch¬ ſchlug, da gieng, ſobald nur Schrecken und Zorn ver¬ raucht waren, der Spaß erſt recht an: ‚Der Lümmel hat's verſtanden! Radikalkur! Der Sebaſtian kriegt keinen mehr! Nun, und der Schütze auch keinen mehr! Dem iſt's faſt zu gut geworden!' — So gieng es fort.
„Da,“ ſagte Frau Hedwig, indem ſie nun eine eingerahmte, auf dem Schreibtiſch ſtehende Photographie mir hinhielt, „das iſt ein Bild, das er immer vor Augen hatte.“ Es war das Porträt eines Mannes in den beſten Jahren, und je mehr ich es betrachtete, um ſo tiefer fühlte ich mich angezogen. Selten habe ich ſo viel Feſtigkeit mit ſo viel Güte in Einem Aus¬ druck verbunden geſehen. — „Dieſem Mann iſt zu trauen!“ ſagte ich. — „Ja,“ erwiderte Frau Hedwig, „und dem muß der Verſtorbene viel verdankt haben, mehr
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das Bild nun in ſein Studierzimmer und war ſchlech¬
terdings nicht zu einer Herſtellung zu bewegen. Das
geſchah keineswegs bloß zum Andenken an die über¬
ſtandene Gefahr. Er hatte immer ſeinen Spaß ge¬
trieben über die rothe Naſe und geſchwollene Naſen¬
wurzel. ‚Es werden wohl,' pflegte er zu ſagen, ‚die
ſtarken Donaunebel ſchuld ſein, daß in Ulm Jeder¬
mann immer Schnupfen hat, alten oder neuen; der
gute Meiſter wird ſeine Mitchriſten wohl nie in einem
andern Zuſtande geſehen haben! Das wär' ein Aufent¬
halt für mich, das Ulm!‘ Nun, als der Stein durch¬
ſchlug, da gieng, ſobald nur Schrecken und Zorn ver¬
raucht waren, der Spaß erſt recht an: ‚Der Lümmel
hat's verſtanden! Radikalkur! Der Sebaſtian kriegt
keinen mehr! Nun, und der Schütze auch keinen mehr!
Dem iſt's faſt zu gut geworden!' — So gieng es
fort.
„Da,“ ſagte Frau Hedwig, indem ſie nun eine
eingerahmte, auf dem Schreibtiſch ſtehende Photographie
mir hinhielt, „das iſt ein Bild, das er immer vor
Augen hatte.“ Es war das Porträt eines Mannes in
den beſten Jahren, und je mehr ich es betrachtete,
um ſo tiefer fühlte ich mich angezogen. Selten habe
ich ſo viel Feſtigkeit mit ſo viel Güte in Einem Aus¬
druck verbunden geſehen. — „Dieſem Mann iſt zu trauen!“
ſagte ich. — „Ja,“ erwiderte Frau Hedwig, „und
dem muß der Verſtorbene viel verdankt haben, mehr
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/60>, abgerufen am 25.11.2024.
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