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Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.

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nur das Einfachste erkennbar ist; es gibt nur Jamben und Trochäen, pvi_1255.002
Nachahmung der reicher gegliederten antiken Maaße ist unmöglich. Die pvi_1255.003
monoton wiederkehrende Zerhackung der rhythmischen Reihe im Alexandriner pvi_1255.004
entspricht dem Geiste der witzigen antithetischen Zuspitzung, welcher der pvi_1255.005
Nation eigen ist. - Das Jtalienische trägt ungleich mehr Fähigkeit pvi_1255.006
einer organischen Rhythmik in sich; es läßt im Wesentlichen der Stammsylbe pvi_1255.007
die entschiedene Betonung und hat nicht alle Flexionen, Endungen pvi_1255.008
verstümmelt. Die vielen Endungen mit zwei kurzen Sylben liefern neben pvi_1255.009
dem herrschenden jambischen Tonfalle reichen anapästischen und daktylischen pvi_1255.010
Stoff, stören aber die Anwendung des Spondäus, welcher ohnedieß der pvi_1255.011
Verlust sehr vieler lateinischer Längen große Schwierigkeit bereitet. Diese pvi_1255.012
Sprache ist aber durch die volle Klangschönheit, welche sie vor allen neueren pvi_1255.013
auszeichnet, so entschieden nach der reichsten Ausbildung der musikalischen pvi_1255.014
Seite in kunstreich verschlungenen Reimsystemen hingelenkt, daß auch sie das pvi_1255.015
rhythmisch=metrische Verhältniß in jenem Zustande der Willkür, obwohl dieselbe pvi_1255.016
nicht so tief greift, wie die französische, belassen hat. Aehnlich verhält pvi_1255.017
es sich im Spanischen; unter den Versarten entspricht seinem gravitätischen pvi_1255.018
Geiste vorzüglich der feierlich empfindungsreiche Trochäus, den sie, in kurzen pvi_1255.019
Reihen Gewicht an Gewicht hängend, sich zu eigen gemacht hat. - Die pvi_1255.020
englische Sprache trägt als original deutsche, mit romanischem Zusatz nur pvi_1255.021
mäßig gemischte, das Gesetz der Zusammenstimmung von Vers- und Wort= pvi_1255.022
Accent durch ursprüngliche Natur und Neigung in sich. Anders aber verhält pvi_1255.023
es sich mit der Fähigkeit, dieses Gesetz so zu verwenden, daß es zugleich pvi_1255.024
metrische Geltung hat, d. h. Hebung und Senkung für Länge und Kürze pvi_1255.025
gilt und so die antiken Versfüße nachgeahmt werden können. Das Englische pvi_1255.026
ist noch weit mehr, als das Deutsche, wo es rein blieb, der Neigung pvi_1255.027
gefolgt, die Fülle der aus Abwandlung und Ableitung entspringenden Endsylben pvi_1255.028
abzustoßen, in stumme e zu versenken; so ist es überreich an einsylbigen pvi_1255.029
Wörtern und seine mehrsylbigen entbehren mit den volleren Endungen pvi_1255.030
der prosodischen Mannigfaltigkeit. Hiemit mußte das metrische Gefühl sich pvi_1255.031
abstumpfen, was sich namentlich auch darin zeigt, daß die Willkür im pvi_1255.032
Gebrauche der Mittelzeiten ungleich größer ist, als im Deutschen. Ferner pvi_1255.033
hat das gehobene Sprechen, die Declamation im Englischen eine stoßweise pvi_1255.034
Bewegung, wodurch der Charakter einer Accentsprache sich noch verstärkt pvi_1255.035
und gegen gesetzmäßige Verwendung der Accentverhältnisse als quantitirender pvi_1255.036
sich ungleich mehr verhärtet, als das Deutsche. Noch durchgreifender pvi_1255.037
wird der Accent durch die Stellung des Worts bedingt, der Wort-Accent pvi_1255.038
durch den Sinn-Accent gekreuzt und auch dadurch eine wirkliche Durchführung pvi_1255.039
geordneter Längen und Kürzen gestört. Nun ist zwar das Metrische pvi_1255.040
so weit eingedrungen, daß die Senkungen als Kürzen neben den Hebungen pvi_1255.041
als Längen durch Zahl geregelt sind, aber die Versmaaße werden doch mehr

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nur das Einfachste erkennbar ist; es gibt nur Jamben und Trochäen, pvi_1255.002
Nachahmung der reicher gegliederten antiken Maaße ist unmöglich. Die pvi_1255.003
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Nation eigen ist. – Das Jtalienische trägt ungleich mehr Fähigkeit pvi_1255.006
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Verlust sehr vieler lateinischer Längen große Schwierigkeit bereitet. Diese pvi_1255.012
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Reihen Gewicht an Gewicht hängend, sich zu eigen gemacht hat. – Die pvi_1255.020
englische Sprache trägt als original deutsche, mit romanischem Zusatz nur pvi_1255.021
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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857, S. 1255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_poetik_1857/117>, abgerufen am 21.11.2024.