Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.pvi_VIII.001 pvi_VIII.001 <TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0012" n="RVIII"/><lb n="pvi_VIII.001"/> berücksichtigt. Dieser Punct mag denn hier aus der Tendenz des ganzen <lb n="pvi_VIII.002"/> Werks noch einmal kurz beleuchtet werden. Dasselbe arbeitet in seinem <lb n="pvi_VIII.003"/> ganzen Geist und Bau gegen eine hohle, gegenstandslose, blos subjective <lb n="pvi_VIII.004"/> Kunst, gegen den falschen ästhetischen Jdealismus; für ein wahres Kunstwerk <lb n="pvi_VIII.005"/> wird nur dasjenige erklärt, welches in naturvollem Contacte des <lb n="pvi_VIII.006"/> Künstlergeistes mit einem gegebenen, vorgefundenen Object auf dem Wege <lb n="pvi_VIII.007"/> der Zufälligkeit entstanden ist; der Genius schaut in dieser Berührung <lb n="pvi_VIII.008"/> durch die empirisch getrübte Gestalt der Dinge hindurch in die reinen <lb n="pvi_VIII.009"/> Urtypen, auf welche das Leben angelegt ist, und dieß Schauen ist in <lb n="pvi_VIII.010"/> seinem Ausgangspunct von dem Scheine begleitet, als begegnen ihm <lb n="pvi_VIII.011"/> diese reinen Formen vermöge einer besonderen Gunst des Zufalls, die <lb n="pvi_VIII.012"/> einem Naturschönen mangellose Entwicklung gegönnt, mitten in der <lb n="pvi_VIII.013"/> empirischen Welt. Wird nun das System der Aesthetik aus der Phantasie <lb n="pvi_VIII.014"/> construirt, so wird dieser freudige Schein, von dem der Künstler <lb n="pvi_VIII.015"/> ausgehen soll, von vorneherein in entwickelter Weise vernichtet und stellt <lb n="pvi_VIII.016"/> sich der Gang der Wissenschaft an, auf ein gegenstandloses Dichten <lb n="pvi_VIII.017"/> hinzuarbeiten, das mit Willkür Gebilde aus dem Jnnern erzeugt. Daher <lb n="pvi_VIII.018"/> habe ich in diesem ersten Theile wohl angelegt, aber noch nicht entwickelt, <lb n="pvi_VIII.019"/> daß die reinen Typen nur scheinbar im naturschönen Gegenstand empirisch <lb n="pvi_VIII.020"/> vorgefunden worden, ich habe den Begriff des Schönen metaphysisch behandelt, <lb n="pvi_VIII.021"/> d. h. von dem Standpuncte, daß der Geist Schönes findet und schafft <lb n="pvi_VIII.022"/> vermöge seiner Herkunft aus dem allgemeinen Lebensschooße, in welchem <lb n="pvi_VIII.023"/> auch die reinen Urgestalten schweben, die allen Gebilden der Außenwelt zu <lb n="pvi_VIII.024"/> Grunde liegen. Jn diesem allgemeinen Substrate, in diesem Urgrunde verweilt <lb n="pvi_VIII.025"/> der erste Theil, darum heißt er metaphysisch, daher trennt er noch nicht, <lb n="pvi_VIII.026"/> unterscheidet noch nicht ausdrücklich, wie viel Antheil an der Erzeugung <lb n="pvi_VIII.027"/> des Schönen der thätige Geist, wie viel das empirische Object hat, daher <lb n="pvi_VIII.028"/> gesteht er noch nicht förmlich, daß das eigentlich Schaffende jener, dieß <lb n="pvi_VIII.029"/> blos das Weckende und der Stoff ist. – Ein weiterer Grund für diese <lb n="pvi_VIII.030"/> Anlage des Systems liegt in den gegensätzlichen Formen des Schönen, <lb n="pvi_VIII.031"/> dem Erhabenen und Komischen. Die Auffassung im Sinne der einen <lb n="pvi_VIII.032"/> oder andern dieser Formen geht bald nur vom Künstler und seiner <lb n="pvi_VIII.033"/> Stimmung aus, bald aber zwingt ihn der Gegenstand; es gibt Erscheinungen, <lb n="pvi_VIII.034"/> die ebensogut anmuthig, als erhaben oder komisch, es gibt aber <lb n="pvi_VIII.035"/> auch solche, die nur entweder anmuthig, oder erhaben, oder komisch gefaßt </p> </div> </front> </text> </TEI> [RVIII/0012]
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berücksichtigt. Dieser Punct mag denn hier aus der Tendenz des ganzen pvi_VIII.002
Werks noch einmal kurz beleuchtet werden. Dasselbe arbeitet in seinem pvi_VIII.003
ganzen Geist und Bau gegen eine hohle, gegenstandslose, blos subjective pvi_VIII.004
Kunst, gegen den falschen ästhetischen Jdealismus; für ein wahres Kunstwerk pvi_VIII.005
wird nur dasjenige erklärt, welches in naturvollem Contacte des pvi_VIII.006
Künstlergeistes mit einem gegebenen, vorgefundenen Object auf dem Wege pvi_VIII.007
der Zufälligkeit entstanden ist; der Genius schaut in dieser Berührung pvi_VIII.008
durch die empirisch getrübte Gestalt der Dinge hindurch in die reinen pvi_VIII.009
Urtypen, auf welche das Leben angelegt ist, und dieß Schauen ist in pvi_VIII.010
seinem Ausgangspunct von dem Scheine begleitet, als begegnen ihm pvi_VIII.011
diese reinen Formen vermöge einer besonderen Gunst des Zufalls, die pvi_VIII.012
einem Naturschönen mangellose Entwicklung gegönnt, mitten in der pvi_VIII.013
empirischen Welt. Wird nun das System der Aesthetik aus der Phantasie pvi_VIII.014
construirt, so wird dieser freudige Schein, von dem der Künstler pvi_VIII.015
ausgehen soll, von vorneherein in entwickelter Weise vernichtet und stellt pvi_VIII.016
sich der Gang der Wissenschaft an, auf ein gegenstandloses Dichten pvi_VIII.017
hinzuarbeiten, das mit Willkür Gebilde aus dem Jnnern erzeugt. Daher pvi_VIII.018
habe ich in diesem ersten Theile wohl angelegt, aber noch nicht entwickelt, pvi_VIII.019
daß die reinen Typen nur scheinbar im naturschönen Gegenstand empirisch pvi_VIII.020
vorgefunden worden, ich habe den Begriff des Schönen metaphysisch behandelt, pvi_VIII.021
d. h. von dem Standpuncte, daß der Geist Schönes findet und schafft pvi_VIII.022
vermöge seiner Herkunft aus dem allgemeinen Lebensschooße, in welchem pvi_VIII.023
auch die reinen Urgestalten schweben, die allen Gebilden der Außenwelt zu pvi_VIII.024
Grunde liegen. Jn diesem allgemeinen Substrate, in diesem Urgrunde verweilt pvi_VIII.025
der erste Theil, darum heißt er metaphysisch, daher trennt er noch nicht, pvi_VIII.026
unterscheidet noch nicht ausdrücklich, wie viel Antheil an der Erzeugung pvi_VIII.027
des Schönen der thätige Geist, wie viel das empirische Object hat, daher pvi_VIII.028
gesteht er noch nicht förmlich, daß das eigentlich Schaffende jener, dieß pvi_VIII.029
blos das Weckende und der Stoff ist. – Ein weiterer Grund für diese pvi_VIII.030
Anlage des Systems liegt in den gegensätzlichen Formen des Schönen, pvi_VIII.031
dem Erhabenen und Komischen. Die Auffassung im Sinne der einen pvi_VIII.032
oder andern dieser Formen geht bald nur vom Künstler und seiner pvi_VIII.033
Stimmung aus, bald aber zwingt ihn der Gegenstand; es gibt Erscheinungen, pvi_VIII.034
die ebensogut anmuthig, als erhaben oder komisch, es gibt aber pvi_VIII.035
auch solche, die nur entweder anmuthig, oder erhaben, oder komisch gefaßt
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