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Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.

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Epos erkennen wir ein erstes Auftauchen der charakteristischen, die individuelleren pvi_1291.003
Züge aufnehmenden Richtung innerhalb der direct idealen, wiewohl pvi_1291.004
natürlich noch fest am Bande des plastischen Schwunges gehalten: die pvi_1291.005
Einzelheiten des häuslichen Lebens, der idyllischen Wirthschaft mit Sauhirt pvi_1291.006
und Rinderhirt, bis hinaus auf den armen, treuen Hofhund, des Gebarens pvi_1291.007
und der Gewöhnungen der Menschen nach allen Seiten, treten in schärferes pvi_1291.008
Licht, als sonst die Antike es ansteckt. Kann man im weiteren Sinn alle pvi_1291.009
epische Poesie sittenbildlich nennen (vergl. §. 867, 2.), so ist es also dieser pvi_1291.010
Prototyp des Romans in dem engeren Sinne des Worts, auf den wir pvi_1291.011
eben da schon hingewiesen haben.

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2. Das späte Alterthum trägt nun die Leuchte noch weiter weg vom pvi_1291.013
heroischen Schauplatz in das Enge des Menschenlebens, die Zustände der pvi_1291.014
Sitte im nahen und innigen Umgang mit der Natur. Theokrit's Jdyllen pvi_1291.015
sind bekanntlich etwas Anderes, als die moderne Gattung dieses Namens: pvi_1291.016
das Jnteresse für das Anspruchlose und still Glückliche des Landlebens, für pvi_1291.017
die Reize der Natur ist noch durch keine Culturmüdigkeit, keine Kämpfe pvi_1291.018
des subjectiven Bewußtseins geschärft, die Figuren sind auch nicht blos pvi_1291.019
Hirten, Fischer u. s. w., sondern zum Theil Handwerker, Bürgerfrauen u. dergl., pvi_1291.020
das Neue liegt mehr im Anwachsen der charakteristischen Stylrichtung, im pvi_1291.021
Belauschen und Aufnehmen des ungenirt Derben, die Ausführung besteht pvi_1291.022
in kleinen Bildchen ohne Fabel oder nur mit unentwickeltem Keim einer pvi_1291.023
solchen; daher eidullion: (Sitten=) Bildchen. Dennoch macht sich ein pvi_1291.024
entfernter Anklang von sentimentalem Jnteresse fühlbar: ohne Ueberdruß pvi_1291.025
an einem zerfallenen öffentlichen Leben hätte sich der Sinn nicht diesen pvi_1291.026
Heimlichkeiten des Kleinlebens, der Zufriedenheit und der milden Parodie pvi_1291.027
göttlicher Selbstgenügsamkeit in der Stille zugewendet und in dem Blicke, pvi_1291.028
womit diese Dichtung auf den Heimlichkeiten und Schönheiten der Natur pvi_1291.029
ausruht, liegt doch ein Ausdruck tieferer Erwärmung, die im streng Classischen pvi_1291.030
nur ganz vereinzelt auftaucht. Zarte Ansätze zu dem Allem finden pvi_1291.031
sich aber allerdings schon in der Odyssee; man denke, was das Letzte betrifft, pvi_1291.032
nur an die Schilderung der Umgebungen der Kalypso-Grotte (V Gesang).

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§. 875.

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Die römische Poesie erzeugt ein Kunst-Epos, welches sich, obwohl pvi_1291.035
ihm ein Geist pompöser Großheit eigen ist, durch künstliche Nachbildung pvi_1291.036
sämmtlicher Merkmale des Homerischen unter den Maaßstab des letzteren, das pvi_1291.037
doch aus der naiven Poesie entsprungen ist, ebendadurch aber als ein Werk der pvi_1291.038
Reflexion, zum Theil auch der zu sehr gesteigerten subjectiven Empfindung, pvi_1291.039
außerhalb des Aechten stellt. Das Kunst-Epos ist kein reines Epos.

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eben da schon hingewiesen haben.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857, S. 1291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_poetik_1857/153>, abgerufen am 21.11.2024.