Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.
pvi_1416.001 Die Einflechtung des Komischen in das Tragische und die Erhebung pvi_1416.012 §. 908. pvi_1416.030Ungleich wesentlicher, als die Ansätze des charakteristischen Styls im rein pvi_1416.031
pvi_1416.001 Die Einflechtung des Komischen in das Tragische und die Erhebung pvi_1416.012 §. 908. pvi_1416.030Ungleich wesentlicher, als die Ansätze des charakteristischen Styls im rein pvi_1416.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0278" n="1416"/><lb n="pvi_1416.001"/> zusammengehalten ist, kann nicht einen idealen Zuschauer neben sich haben: <lb n="pvi_1416.002"/> sie nimmt ihn in sich herein, hat ihr subjectives Echo in der Vielzahl der <lb n="pvi_1416.003"/> betheiligten Personen und ihres vertiefteren, vielsaitigeren Gemüthslebens, <lb n="pvi_1416.004"/> sie selbst empfinden dem empirischen Zuschauer vor. Daß unsere Zustände <lb n="pvi_1416.005"/> nicht öffentlich sind, daß das Wichtigste in geschlossenen Räumen vor sich <lb n="pvi_1416.006"/> geht, darin liegt der untergeordnete, reale Grund dieser Weglassung. Hiezu <lb n="pvi_1416.007"/> kommt nun aber das moderne Prinzip der reinen Theilung und Auseinanderhaltung <lb n="pvi_1416.008"/> der Künste und ihrer Zweige. Musik und Tanz ist an die Oper <lb n="pvi_1416.009"/> und das Ballet gefallen, wie die Plastik die Farbe ganz an die Malerei <lb n="pvi_1416.010"/> abgegeben hat.</hi> </p> <lb n="pvi_1416.011"/> <p> <hi rendition="#et"> Die Einflechtung des Komischen in das Tragische und die Erhebung <lb n="pvi_1416.012"/> des Ernsten zum leitenden Motive in der komischen Handlung ist an mehreren <lb n="pvi_1416.013"/> Stellen schon so hinreichend besprochen und begründet, daß wir das <lb n="pvi_1416.014"/> Wenige, was noch darüber zu sagen ist, der näheren Beleuchtung der Arten <lb n="pvi_1416.015"/> überlassen und hier nur noch darauf aufmerksam machen, wie der Uebergang <lb n="pvi_1416.016"/> des Tragischen in's Komische schon durch die Behandlung des Charakters <lb n="pvi_1416.017"/> gegeben ist: je complicirter derselbe erscheint, desto weniger können Contraste <lb n="pvi_1416.018"/> ausbleiben, die an's Komische streifen oder bestimmt in dasselbe übergehen, <lb n="pvi_1416.019"/> und ist hievon selbst der erhabene Charakter nicht ausgenommen, so ist <lb n="pvi_1416.020"/> schon dadurch gegeben, daß neben ihm auch wirklich und ganz komische <lb n="pvi_1416.021"/> Charaktere auftreten können. Die moderne, nordische Weltanschauung hat <lb n="pvi_1416.022"/> die Kraft, diese Widersprüche zu ertragen und zusammenzuhalten, und wenn <lb n="pvi_1416.023"/> Göthe die Wärterinn und Mercutio in Romeo und Julie im Namen unserer <lb n="pvi_1416.024"/> „folgerechten, Uebereinstimmung liebenden Denkart“ als possenhafte Jntermezzisten <lb n="pvi_1416.025"/> verwirft, so spricht er vom Standpuncte des classischen Styls, <lb n="pvi_1416.026"/> dem er sich hierin bis zu einem Grad anschließt, der zum Unrechte gegen <lb n="pvi_1416.027"/> diejenige Aufgabe der neueren Poesie wird, von welcher sofort die Rede <lb n="pvi_1416.028"/> sein muß.</hi> </p> </div> <lb n="pvi_1416.029"/> <div n="4"> <p> <hi rendition="#c">§. 908.</hi> </p> <lb n="pvi_1416.030"/> <p> Ungleich wesentlicher, als die Ansätze des charakteristischen Styls im rein <lb n="pvi_1416.031"/> idealen des classischen Alterthums, ist die Nachwirkung des letzteren auf jenen, <lb n="pvi_1416.032"/> woraus ein Gegensatz und Kampf der Prinzipien erwachsen ist, der auf keinem <lb n="pvi_1416.033"/> Boden so sichtbar, bewußt und belebend auftritt, wie auf dem dramatischen. <lb n="pvi_1416.034"/> Derselbe fällt theils mit dem Unterschiede der romanischen und germanischen <lb n="pvi_1416.035"/> Nationalität zusammen, theils wiederholt er sich innerhalb der Poesie jeder von <lb n="pvi_1416.036"/> beiden, doch ungleich kräftiger in der germanischen, welche wie keine andere <lb n="pvi_1416.037"/> berufen ist, die Aufgabe der Versöhnung beider Style mit Uebergewicht des <lb n="pvi_1416.038"/> charakteristischen zu lösen.</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1416/0278]
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zusammengehalten ist, kann nicht einen idealen Zuschauer neben sich haben: pvi_1416.002
sie nimmt ihn in sich herein, hat ihr subjectives Echo in der Vielzahl der pvi_1416.003
betheiligten Personen und ihres vertiefteren, vielsaitigeren Gemüthslebens, pvi_1416.004
sie selbst empfinden dem empirischen Zuschauer vor. Daß unsere Zustände pvi_1416.005
nicht öffentlich sind, daß das Wichtigste in geschlossenen Räumen vor sich pvi_1416.006
geht, darin liegt der untergeordnete, reale Grund dieser Weglassung. Hiezu pvi_1416.007
kommt nun aber das moderne Prinzip der reinen Theilung und Auseinanderhaltung pvi_1416.008
der Künste und ihrer Zweige. Musik und Tanz ist an die Oper pvi_1416.009
und das Ballet gefallen, wie die Plastik die Farbe ganz an die Malerei pvi_1416.010
abgegeben hat.
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Die Einflechtung des Komischen in das Tragische und die Erhebung pvi_1416.012
des Ernsten zum leitenden Motive in der komischen Handlung ist an mehreren pvi_1416.013
Stellen schon so hinreichend besprochen und begründet, daß wir das pvi_1416.014
Wenige, was noch darüber zu sagen ist, der näheren Beleuchtung der Arten pvi_1416.015
überlassen und hier nur noch darauf aufmerksam machen, wie der Uebergang pvi_1416.016
des Tragischen in's Komische schon durch die Behandlung des Charakters pvi_1416.017
gegeben ist: je complicirter derselbe erscheint, desto weniger können Contraste pvi_1416.018
ausbleiben, die an's Komische streifen oder bestimmt in dasselbe übergehen, pvi_1416.019
und ist hievon selbst der erhabene Charakter nicht ausgenommen, so ist pvi_1416.020
schon dadurch gegeben, daß neben ihm auch wirklich und ganz komische pvi_1416.021
Charaktere auftreten können. Die moderne, nordische Weltanschauung hat pvi_1416.022
die Kraft, diese Widersprüche zu ertragen und zusammenzuhalten, und wenn pvi_1416.023
Göthe die Wärterinn und Mercutio in Romeo und Julie im Namen unserer pvi_1416.024
„folgerechten, Uebereinstimmung liebenden Denkart“ als possenhafte Jntermezzisten pvi_1416.025
verwirft, so spricht er vom Standpuncte des classischen Styls, pvi_1416.026
dem er sich hierin bis zu einem Grad anschließt, der zum Unrechte gegen pvi_1416.027
diejenige Aufgabe der neueren Poesie wird, von welcher sofort die Rede pvi_1416.028
sein muß.
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§. 908.
pvi_1416.030
Ungleich wesentlicher, als die Ansätze des charakteristischen Styls im rein pvi_1416.031
idealen des classischen Alterthums, ist die Nachwirkung des letzteren auf jenen, pvi_1416.032
woraus ein Gegensatz und Kampf der Prinzipien erwachsen ist, der auf keinem pvi_1416.033
Boden so sichtbar, bewußt und belebend auftritt, wie auf dem dramatischen. pvi_1416.034
Derselbe fällt theils mit dem Unterschiede der romanischen und germanischen pvi_1416.035
Nationalität zusammen, theils wiederholt er sich innerhalb der Poesie jeder von pvi_1416.036
beiden, doch ungleich kräftiger in der germanischen, welche wie keine andere pvi_1416.037
berufen ist, die Aufgabe der Versöhnung beider Style mit Uebergewicht des pvi_1416.038
charakteristischen zu lösen.
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