Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.pvi_1431.001 §. 915. pvi_1431.002Die Komödie unterscheidet sich dem Stoffe nach wie die Tragödie in pvi_1431.003 Die ausführliche Darstellung des Komischen nach allen seinen Momenten pvi_1431.010 pvi_1431.001 §. 915. pvi_1431.002Die Komödie unterscheidet sich dem Stoffe nach wie die Tragödie in pvi_1431.003 Die ausführliche Darstellung des Komischen nach allen seinen Momenten pvi_1431.010 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0293" n="1431"/> <lb n="pvi_1431.001"/> <div n="4"> <p> <hi rendition="#c">§. 915.</hi> </p> <lb n="pvi_1431.002"/> <p><hi rendition="#g">Die Komödie</hi> unterscheidet sich dem <hi rendition="#g">Stoffe</hi> nach wie die Tragödie in <lb n="pvi_1431.003"/> eine <hi rendition="#g">politische</hi> und eine solche, die im <hi rendition="#g">bürgerlichen</hi> und <hi rendition="#g">Privatleben</hi> <lb n="pvi_1431.004"/> spielt; die Natur des Komischen bringt es mit sich, daß die letzteren Sphären <lb n="pvi_1431.005"/> die dauernder und fruchtbarer angebauten sind und daß die Leidenschaft der Liebe <lb n="pvi_1431.006"/> den Mittelpunct des Jnhalts bildet. Das <hi rendition="#g">Mythische</hi> kann sich mit beiden <lb n="pvi_1431.007"/> Hauptgebieten verbinden, ist aber in der Komödie weit mehr Sache der freien <lb n="pvi_1431.008"/> Erfindung, als in der auf sagenhaft heroischem Grunde ruhenden Tragödie.</p> <lb n="pvi_1431.009"/> <p> <hi rendition="#et"> Die ausführliche Darstellung des Komischen nach allen seinen Momenten <lb n="pvi_1431.010"/> und Hauptformen, die im ersten Theile gegeben ist, enthebt uns der Obliegenheit, <lb n="pvi_1431.011"/> Allgemeines über das Wesen der Komödie vorauszuschicken. Auch <lb n="pvi_1431.012"/> dieß ist schon nachgewiesen, daß das Wesen des Komischen in keiner Kunstform <lb n="pvi_1431.013"/> zu so voller und erschöpfender Gestalt gelangt, wie im Drama; das <lb n="pvi_1431.014"/> Weitere über spezifische Bedingungen der dramatischen Gestaltung des Komischen <lb n="pvi_1431.015"/> bringt die Darstellung der verschiedenen Arten von selbst hinzu. – <lb n="pvi_1431.016"/> Das Komische führt seinem innersten Wesen nach in die Stoffwelt des <lb n="pvi_1431.017"/> sozialen und Privat-Lebens mit seiner ausgebildeten und in der Spezialität <lb n="pvi_1431.018"/> der Motive vom Auge der Bildung belauschten Subjectivität. Die colossale <lb n="pvi_1431.019"/> <hi rendition="#g">politische</hi> Caricatur der Aristophanischen Komödie ist eine durchaus großartige <lb n="pvi_1431.020"/> Erscheinung, steht aber auch in dem Sinn einzig da, daß diese ganze <lb n="pvi_1431.021"/> Form bis jetzt nicht wiedergekehrt und daß es zweifelhaft ist, ob sie wiederkehren <lb n="pvi_1431.022"/> kann. Die Schwierigkeit der Frage liegt darin, daß sie nicht nur <lb n="pvi_1431.023"/> ein wahrhaft politisches Leben und volle demokratische Freiheit voraussetzt, <lb n="pvi_1431.024"/> sondern wirklich auch nur da möglich zu sein scheint, wo der Sinn für das <lb n="pvi_1431.025"/> Subjective, das Privatleben überhaupt noch nicht erschlossen ist: so wie <lb n="pvi_1431.026"/> dieser aufgeht, wirft sich als Lustspiel auf die belauschte Kleinwelt und nach <lb n="pvi_1431.027"/> dieser Seite war der Uebergang zur neueren Komödie in Griechenland ein <lb n="pvi_1431.028"/> Fortschritt. Es kann nicht die Meinung sein, daß das Wichtige und Große, <lb n="pvi_1431.029"/> Gesetz, Staat, Religion, bedeutender Moment der geschichtlichen Politik nicht <lb n="pvi_1431.030"/> der Komik unterworfen werden dürfe oder könne, aber wie die neuere Zeit <lb n="pvi_1431.031"/> diese Stoffe anfaßt, so hören sie im Grund auf, eigentlicher Gegenstand <lb n="pvi_1431.032"/> des dargestellten komischen Vorgangs zu sein: die kleinen Leidenschaften und <lb n="pvi_1431.033"/> Zufälle, die Gespinnste der List, aus denen die große Politik in Stücken, <lb n="pvi_1431.034"/> wie jene zierlichen französischen Lustspiele, das Glas Wasser von Scribe und <lb n="pvi_1431.035"/> and., abgeleitet wird, treten in den Mittelpunct, werden der positive Jnhalt, <lb n="pvi_1431.036"/> wogegen bei Aristophanes freilich auch der Egoismus mit allen seinen <lb n="pvi_1431.037"/> Niedrigkeiten es ist, worin das Große, Oeffentliche, Monumentale sich <lb n="pvi_1431.038"/> ironisirt, aber nicht so, daß das Kleinliche <hi rendition="#g">neben</hi> den politischen Zwecken <lb n="pvi_1431.039"/> seine Rolle spielt und diese zu blos scheinbaren herabsetzt, sondern, daß es <lb n="pvi_1431.040"/> doch mit diesen Ernst ist, die Verkehrtheit sich wirklich in sie selbst legt und </hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1431/0293]
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§. 915.
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Die Komödie unterscheidet sich dem Stoffe nach wie die Tragödie in pvi_1431.003
eine politische und eine solche, die im bürgerlichen und Privatleben pvi_1431.004
spielt; die Natur des Komischen bringt es mit sich, daß die letzteren Sphären pvi_1431.005
die dauernder und fruchtbarer angebauten sind und daß die Leidenschaft der Liebe pvi_1431.006
den Mittelpunct des Jnhalts bildet. Das Mythische kann sich mit beiden pvi_1431.007
Hauptgebieten verbinden, ist aber in der Komödie weit mehr Sache der freien pvi_1431.008
Erfindung, als in der auf sagenhaft heroischem Grunde ruhenden Tragödie.
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Die ausführliche Darstellung des Komischen nach allen seinen Momenten pvi_1431.010
und Hauptformen, die im ersten Theile gegeben ist, enthebt uns der Obliegenheit, pvi_1431.011
Allgemeines über das Wesen der Komödie vorauszuschicken. Auch pvi_1431.012
dieß ist schon nachgewiesen, daß das Wesen des Komischen in keiner Kunstform pvi_1431.013
zu so voller und erschöpfender Gestalt gelangt, wie im Drama; das pvi_1431.014
Weitere über spezifische Bedingungen der dramatischen Gestaltung des Komischen pvi_1431.015
bringt die Darstellung der verschiedenen Arten von selbst hinzu. – pvi_1431.016
Das Komische führt seinem innersten Wesen nach in die Stoffwelt des pvi_1431.017
sozialen und Privat-Lebens mit seiner ausgebildeten und in der Spezialität pvi_1431.018
der Motive vom Auge der Bildung belauschten Subjectivität. Die colossale pvi_1431.019
politische Caricatur der Aristophanischen Komödie ist eine durchaus großartige pvi_1431.020
Erscheinung, steht aber auch in dem Sinn einzig da, daß diese ganze pvi_1431.021
Form bis jetzt nicht wiedergekehrt und daß es zweifelhaft ist, ob sie wiederkehren pvi_1431.022
kann. Die Schwierigkeit der Frage liegt darin, daß sie nicht nur pvi_1431.023
ein wahrhaft politisches Leben und volle demokratische Freiheit voraussetzt, pvi_1431.024
sondern wirklich auch nur da möglich zu sein scheint, wo der Sinn für das pvi_1431.025
Subjective, das Privatleben überhaupt noch nicht erschlossen ist: so wie pvi_1431.026
dieser aufgeht, wirft sich als Lustspiel auf die belauschte Kleinwelt und nach pvi_1431.027
dieser Seite war der Uebergang zur neueren Komödie in Griechenland ein pvi_1431.028
Fortschritt. Es kann nicht die Meinung sein, daß das Wichtige und Große, pvi_1431.029
Gesetz, Staat, Religion, bedeutender Moment der geschichtlichen Politik nicht pvi_1431.030
der Komik unterworfen werden dürfe oder könne, aber wie die neuere Zeit pvi_1431.031
diese Stoffe anfaßt, so hören sie im Grund auf, eigentlicher Gegenstand pvi_1431.032
des dargestellten komischen Vorgangs zu sein: die kleinen Leidenschaften und pvi_1431.033
Zufälle, die Gespinnste der List, aus denen die große Politik in Stücken, pvi_1431.034
wie jene zierlichen französischen Lustspiele, das Glas Wasser von Scribe und pvi_1431.035
and., abgeleitet wird, treten in den Mittelpunct, werden der positive Jnhalt, pvi_1431.036
wogegen bei Aristophanes freilich auch der Egoismus mit allen seinen pvi_1431.037
Niedrigkeiten es ist, worin das Große, Oeffentliche, Monumentale sich pvi_1431.038
ironisirt, aber nicht so, daß das Kleinliche neben den politischen Zwecken pvi_1431.039
seine Rolle spielt und diese zu blos scheinbaren herabsetzt, sondern, daß es pvi_1431.040
doch mit diesen Ernst ist, die Verkehrtheit sich wirklich in sie selbst legt und
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