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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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den Körper durchziehen und die durch äußere Mündungen Wasser
aufnehmen, das in dem Körper circulirt. Besondere Athmungsorgane,
welche nur zu diesem Zwecke bestimmt sind, kommen einzig bei der
höchsten Klasse der Strahlthiere, bei den Stachelhäutern, vor.

Die Fortpflanzung und Entwickelung der Strahlthiere ist
theilweise erst in den neuesten Zeiten und auch hier in vieler Bezie-
hung nur unvollständig erkannt worden. Sie unterscheiden sich von
den Protozoen scharf durch die Existenz geschlechtlicher Zeugung, die
Allen ohne Ausnahme zukommt, und durch den Mangel hermaphrodi-
tischer Bildung, besonders in den höheren Klassen. Fast alle Strahl-
thiere sind getrennten Geschlechtes und zwar finden sich sogar bei denen,
welche Kolonien bilden und an dem Boden festsitzend sich einander
nicht nähern können, die Geschlechter meist auf verschiedene Stöcke
vertheilt, so daß hier die Befruchtung der Vermittlung der Wasser-
strömungen überlassen bleibt. Außer der geschlechtlichen Zeugung in-
dessen kommt auch bei allen gesellschaftlich lebenden Formen, wie sich
fast von selbst versteht, Knospenbildung mit freien, sich ablösenden und
mit festsitzenden Knospen vor. Eine ganze Klasse, die der Quallen-
polypen, zeichnet sich durch eine höchst merkwürdige Ammenzeugung
aus, welche bis jetzt die Mutterthiere und die Ammen sogar in zwei
verschiedene Klassen bringen ließ. Ob eine freiwillige Längstheilung
irgend wo vorkomme, dürfte noch zweifelhaft sein, das aber ist sicher,
daß gewaltsam getheilte Individuen der Quallenpolypen zu selbststän-
digen Körpern heranwachsen können. Eine eigenthümliche Erscheinung
ist die Tendenz zur Fixirung an dem Boden, welche bei den unvoll-
kommenen Formen sowie im erwachsenen Alter eintritt, während die
Larven und Jungen der Strahlthiere meistens frei beweglich sind. Die
meisten Strahlthiere erscheinen im unvollendeten und Jugendzustande
in der Form eines umgekehrten Kegels, dessen Spitze dem Boden zu-
gewandt, und dessen nach oben gerichtete Basis von der Mundöff-
nung in der Mitte durchbohrt ist. Wir werden bei den einzelnen Klas-
sen und Ordnungen die nähern Erscheinungen der Fortpflanzung, so-
wie die Larvenentwickelung dieser Thiere genauer betrachten.

Die genauere Begrenzung der einzelnen Klassen, welche den Kreis
der Strahlthiere bilden, konnte bis jetzt hauptsächlich aus dem Grunde
nur unvollständig durchgeführt werden, weil die Entwickelung der mei-
sten derselben nur höchst unvollständig bekannt war. Auch jetzt noch
wissen wir von einer ganzen Klasse, den Röhrenquallen, durchaus gar
nichts über die embryonale Entwickelung, so daß die Stellung und
Umgrenzung dieser Klasse so lange eine rein hypothetische ist, bis er-

den Körper durchziehen und die durch äußere Mündungen Waſſer
aufnehmen, das in dem Körper circulirt. Beſondere Athmungsorgane,
welche nur zu dieſem Zwecke beſtimmt ſind, kommen einzig bei der
höchſten Klaſſe der Strahlthiere, bei den Stachelhäutern, vor.

Die Fortpflanzung und Entwickelung der Strahlthiere iſt
theilweiſe erſt in den neueſten Zeiten und auch hier in vieler Bezie-
hung nur unvollſtändig erkannt worden. Sie unterſcheiden ſich von
den Protozoen ſcharf durch die Exiſtenz geſchlechtlicher Zeugung, die
Allen ohne Ausnahme zukommt, und durch den Mangel hermaphrodi-
tiſcher Bildung, beſonders in den höheren Klaſſen. Faſt alle Strahl-
thiere ſind getrennten Geſchlechtes und zwar finden ſich ſogar bei denen,
welche Kolonien bilden und an dem Boden feſtſitzend ſich einander
nicht nähern können, die Geſchlechter meiſt auf verſchiedene Stöcke
vertheilt, ſo daß hier die Befruchtung der Vermittlung der Waſſer-
ſtrömungen überlaſſen bleibt. Außer der geſchlechtlichen Zeugung in-
deſſen kommt auch bei allen geſellſchaftlich lebenden Formen, wie ſich
faſt von ſelbſt verſteht, Knospenbildung mit freien, ſich ablöſenden und
mit feſtſitzenden Knospen vor. Eine ganze Klaſſe, die der Quallen-
polypen, zeichnet ſich durch eine höchſt merkwürdige Ammenzeugung
aus, welche bis jetzt die Mutterthiere und die Ammen ſogar in zwei
verſchiedene Klaſſen bringen ließ. Ob eine freiwillige Längstheilung
irgend wo vorkomme, dürfte noch zweifelhaft ſein, das aber iſt ſicher,
daß gewaltſam getheilte Individuen der Quallenpolypen zu ſelbſtſtän-
digen Körpern heranwachſen können. Eine eigenthümliche Erſcheinung
iſt die Tendenz zur Fixirung an dem Boden, welche bei den unvoll-
kommenen Formen ſowie im erwachſenen Alter eintritt, während die
Larven und Jungen der Strahlthiere meiſtens frei beweglich ſind. Die
meiſten Strahlthiere erſcheinen im unvollendeten und Jugendzuſtande
in der Form eines umgekehrten Kegels, deſſen Spitze dem Boden zu-
gewandt, und deſſen nach oben gerichtete Baſis von der Mundöff-
nung in der Mitte durchbohrt iſt. Wir werden bei den einzelnen Klaſ-
ſen und Ordnungen die nähern Erſcheinungen der Fortpflanzung, ſo-
wie die Larvenentwickelung dieſer Thiere genauer betrachten.

Die genauere Begrenzung der einzelnen Klaſſen, welche den Kreis
der Strahlthiere bilden, konnte bis jetzt hauptſächlich aus dem Grunde
nur unvollſtändig durchgeführt werden, weil die Entwickelung der mei-
ſten derſelben nur höchſt unvollſtändig bekannt war. Auch jetzt noch
wiſſen wir von einer ganzen Klaſſe, den Röhrenquallen, durchaus gar
nichts über die embryonale Entwickelung, ſo daß die Stellung und
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[103/0109] den Körper durchziehen und die durch äußere Mündungen Waſſer aufnehmen, das in dem Körper circulirt. Beſondere Athmungsorgane, welche nur zu dieſem Zwecke beſtimmt ſind, kommen einzig bei der höchſten Klaſſe der Strahlthiere, bei den Stachelhäutern, vor. Die Fortpflanzung und Entwickelung der Strahlthiere iſt theilweiſe erſt in den neueſten Zeiten und auch hier in vieler Bezie- hung nur unvollſtändig erkannt worden. Sie unterſcheiden ſich von den Protozoen ſcharf durch die Exiſtenz geſchlechtlicher Zeugung, die Allen ohne Ausnahme zukommt, und durch den Mangel hermaphrodi- tiſcher Bildung, beſonders in den höheren Klaſſen. Faſt alle Strahl- thiere ſind getrennten Geſchlechtes und zwar finden ſich ſogar bei denen, welche Kolonien bilden und an dem Boden feſtſitzend ſich einander nicht nähern können, die Geſchlechter meiſt auf verſchiedene Stöcke vertheilt, ſo daß hier die Befruchtung der Vermittlung der Waſſer- ſtrömungen überlaſſen bleibt. Außer der geſchlechtlichen Zeugung in- deſſen kommt auch bei allen geſellſchaftlich lebenden Formen, wie ſich faſt von ſelbſt verſteht, Knospenbildung mit freien, ſich ablöſenden und mit feſtſitzenden Knospen vor. Eine ganze Klaſſe, die der Quallen- polypen, zeichnet ſich durch eine höchſt merkwürdige Ammenzeugung aus, welche bis jetzt die Mutterthiere und die Ammen ſogar in zwei verſchiedene Klaſſen bringen ließ. Ob eine freiwillige Längstheilung irgend wo vorkomme, dürfte noch zweifelhaft ſein, das aber iſt ſicher, daß gewaltſam getheilte Individuen der Quallenpolypen zu ſelbſtſtän- digen Körpern heranwachſen können. Eine eigenthümliche Erſcheinung iſt die Tendenz zur Fixirung an dem Boden, welche bei den unvoll- kommenen Formen ſowie im erwachſenen Alter eintritt, während die Larven und Jungen der Strahlthiere meiſtens frei beweglich ſind. Die meiſten Strahlthiere erſcheinen im unvollendeten und Jugendzuſtande in der Form eines umgekehrten Kegels, deſſen Spitze dem Boden zu- gewandt, und deſſen nach oben gerichtete Baſis von der Mundöff- nung in der Mitte durchbohrt iſt. Wir werden bei den einzelnen Klaſ- ſen und Ordnungen die nähern Erſcheinungen der Fortpflanzung, ſo- wie die Larvenentwickelung dieſer Thiere genauer betrachten. Die genauere Begrenzung der einzelnen Klaſſen, welche den Kreis der Strahlthiere bilden, konnte bis jetzt hauptſächlich aus dem Grunde nur unvollſtändig durchgeführt werden, weil die Entwickelung der mei- ſten derſelben nur höchſt unvollſtändig bekannt war. Auch jetzt noch wiſſen wir von einer ganzen Klaſſe, den Röhrenquallen, durchaus gar nichts über die embryonale Entwickelung, ſo daß die Stellung und Umgrenzung dieſer Klaſſe ſo lange eine rein hypothetiſche iſt, bis er-

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/109>, abgerufen am 14.05.2024.