Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

gewöhnlich aus einem mehrgliedrigen Stiele oder Schafte und einer
Geissel gebildet, die höchst mannigfache Formen annehmen.

2. Die Gruppe der ausgebildeten Kauwerkzeuge besteht ur-
sprünglich aus vier seitlichen Kieferpaaren, von welchen aber das erste
immer, das letzte meistentheils in der Mittellinie so zusammen ver-
wachsen ist, daß es eine deckelartige Lippe darstellt. So kommen denn
gewöhnlich eine Oberlippe (Labrum), ein erstes Kieferpaar, meist
scharf, einfach, ein Paar Oberkiefer, Kiefer (mandibulae), ein
zweites, weit zusammengesetzteres Paar, die Unterkiefer, Kinn-
laden
oder Laden (maxillae, machoires) und eine ebenfalls sehr zu-
sammengesetzte Unterlippe (Labium) am Eingange der Mundhöhle
vor. Während die Oberkiefer meist nur aus einem einzigen mächtigen,
starken Hornstücke bestehen, zeigen Kinnladen und Unterlippenhälften
meist eine analoge Zusammensetzung, indem jeder dieser Theile aus
einem Schaft oder Körper, einem inneren, meist zum Kauen oder Decken
bestimmten Theile, der Lade, und einem äußeren gegliederten Anhange
besteht, dem Taster oder der Geissel (palpus), welcher wesentlich zum
Betasten der Nahrungsmittel dient und durch seine vielfachen Form-
änderungen genaue Charaktere zur Unterscheidung bietet.

3. An diese Gruppe der eigentlichen Kauwerkzeuge schließt sich
besonders bei denjenigen Gliederthieren, deren Brusttheil ganz oder
theilweise mit dem Kopfe verwachsen ist, eine Gruppe von Anhängen
an, die man mit dem Namen der Kaufüße oder Kieferfüße
(pates-machoires) belegt, und die sich bis zur Zahl von drei Paaren
vermehren können. Es zeigen diese Theile, die bei den Insekten z. B.
durchaus fehlen, in ihrer Bildung die merkwürdigsten Uebergänge von
wahren Bewegungs- oder Greiforganen, kurz von wirklichen Füßen
zu förmlichen Kauwerkzeugen, und liefern dadurch den Beweis, daß
die eigentlichen Kauwerkzeuge ihrer Anlage nach dem Typus der Füße
angehören und eigentlich nur die Füße der Kopfringel sind, welche zu
besonderen Zwecken sich umgestaltet haben.

4. Hierauf folgt erst die Gruppe der eigentlichen Beine oder
Füße (pedes), der wesentlichsten Bewegungsorgane auf der Erde, wie
im Wasser, deren Zahl wenigstens drei Paare beträgt, aber außeror-
dentlich vermehrt werden kann. Die wohl ausgebildeten Füße be-
stehen immer aus einem, meist kugelichen oder cylindrischen Hüftge-
lenke
(coxa), an das gewöhnlich ein unbewegliches Stück, der
Schenkel- oder Hüftknorren (trochanter), angewachsen ist, aus
einem Schenkel (femur), einer Schiene (tibia) und einem Endtheile,
dem Fuße (tarsus), der meist aus mehreren Gliedern besteht. Die

gewöhnlich aus einem mehrgliedrigen Stiele oder Schafte und einer
Geiſſel gebildet, die höchſt mannigfache Formen annehmen.

2. Die Gruppe der ausgebildeten Kauwerkzeuge beſteht ur-
ſprünglich aus vier ſeitlichen Kieferpaaren, von welchen aber das erſte
immer, das letzte meiſtentheils in der Mittellinie ſo zuſammen ver-
wachſen iſt, daß es eine deckelartige Lippe darſtellt. So kommen denn
gewöhnlich eine Oberlippe (Labrum), ein erſtes Kieferpaar, meiſt
ſcharf, einfach, ein Paar Oberkiefer, Kiefer (mandibulae), ein
zweites, weit zuſammengeſetzteres Paar, die Unterkiefer, Kinn-
laden
oder Laden (maxillae, mâchoires) und eine ebenfalls ſehr zu-
ſammengeſetzte Unterlippe (Labium) am Eingange der Mundhöhle
vor. Während die Oberkiefer meiſt nur aus einem einzigen mächtigen,
ſtarken Hornſtücke beſtehen, zeigen Kinnladen und Unterlippenhälften
meiſt eine analoge Zuſammenſetzung, indem jeder dieſer Theile aus
einem Schaft oder Körper, einem inneren, meiſt zum Kauen oder Decken
beſtimmten Theile, der Lade, und einem äußeren gegliederten Anhange
beſteht, dem Taſter oder der Geiſſel (palpus), welcher weſentlich zum
Betaſten der Nahrungsmittel dient und durch ſeine vielfachen Form-
änderungen genaue Charaktere zur Unterſcheidung bietet.

3. An dieſe Gruppe der eigentlichen Kauwerkzeuge ſchließt ſich
beſonders bei denjenigen Gliederthieren, deren Bruſttheil ganz oder
theilweiſe mit dem Kopfe verwachſen iſt, eine Gruppe von Anhängen
an, die man mit dem Namen der Kaufüße oder Kieferfüße
(pates-mâchoires) belegt, und die ſich bis zur Zahl von drei Paaren
vermehren können. Es zeigen dieſe Theile, die bei den Inſekten z. B.
durchaus fehlen, in ihrer Bildung die merkwürdigſten Uebergänge von
wahren Bewegungs- oder Greiforganen, kurz von wirklichen Füßen
zu förmlichen Kauwerkzeugen, und liefern dadurch den Beweis, daß
die eigentlichen Kauwerkzeuge ihrer Anlage nach dem Typus der Füße
angehören und eigentlich nur die Füße der Kopfringel ſind, welche zu
beſonderen Zwecken ſich umgeſtaltet haben.

4. Hierauf folgt erſt die Gruppe der eigentlichen Beine oder
Füße (pedes), der weſentlichſten Bewegungsorgane auf der Erde, wie
im Waſſer, deren Zahl wenigſtens drei Paare beträgt, aber außeror-
dentlich vermehrt werden kann. Die wohl ausgebildeten Füße be-
ſtehen immer aus einem, meiſt kugelichen oder cylindriſchen Hüftge-
lenke
(coxa), an das gewöhnlich ein unbewegliches Stück, der
Schenkel- oder Hüftknorren (trochanter), angewachſen iſt, aus
einem Schenkel (femur), einer Schiene (tibia) und einem Endtheile,
dem Fuße (tarsus), der meiſt aus mehreren Gliedern beſteht. Die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0405" n="399"/>
gewöhnlich aus einem mehrgliedrigen Stiele oder Schafte und einer<lb/>
Gei&#x017F;&#x017F;el gebildet, die höch&#x017F;t mannigfache Formen annehmen.</p><lb/>
        <p>2. Die Gruppe der ausgebildeten <hi rendition="#g">Kauwerkzeuge</hi> be&#x017F;teht ur-<lb/>
&#x017F;prünglich aus vier &#x017F;eitlichen Kieferpaaren, von welchen aber das er&#x017F;te<lb/>
immer, das letzte mei&#x017F;tentheils in der Mittellinie &#x017F;o zu&#x017F;ammen ver-<lb/>
wach&#x017F;en i&#x017F;t, daß es eine deckelartige Lippe dar&#x017F;tellt. So kommen denn<lb/>
gewöhnlich eine <hi rendition="#g">Oberlippe</hi> (<hi rendition="#aq">Labrum</hi>), ein er&#x017F;tes Kieferpaar, mei&#x017F;t<lb/>
&#x017F;charf, einfach, ein Paar <hi rendition="#g">Oberkiefer, Kiefer</hi> (<hi rendition="#aq">mandibulae</hi>), ein<lb/>
zweites, weit zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzteres Paar, die <hi rendition="#g">Unterkiefer, Kinn-<lb/>
laden</hi> oder Laden (<hi rendition="#aq">maxillae, mâchoires</hi>) und eine ebenfalls &#x017F;ehr zu-<lb/>
&#x017F;ammenge&#x017F;etzte <hi rendition="#g">Unterlippe</hi> (<hi rendition="#aq">Labium</hi>) am Eingange der Mundhöhle<lb/>
vor. Während die Oberkiefer mei&#x017F;t nur aus einem einzigen mächtigen,<lb/>
&#x017F;tarken Horn&#x017F;tücke be&#x017F;tehen, zeigen Kinnladen und Unterlippenhälften<lb/>
mei&#x017F;t eine analoge Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung, indem jeder die&#x017F;er Theile aus<lb/>
einem Schaft oder Körper, einem inneren, mei&#x017F;t zum Kauen oder Decken<lb/>
be&#x017F;timmten Theile, der Lade, und einem äußeren gegliederten Anhange<lb/>
be&#x017F;teht, dem <hi rendition="#g">Ta&#x017F;ter</hi> oder der Gei&#x017F;&#x017F;el (<hi rendition="#aq">palpus</hi>), welcher we&#x017F;entlich zum<lb/>
Beta&#x017F;ten der Nahrungsmittel dient und durch &#x017F;eine vielfachen Form-<lb/>
änderungen genaue Charaktere zur Unter&#x017F;cheidung bietet.</p><lb/>
        <p>3. An die&#x017F;e Gruppe der eigentlichen Kauwerkzeuge &#x017F;chließt &#x017F;ich<lb/>
be&#x017F;onders bei denjenigen Gliederthieren, deren Bru&#x017F;ttheil ganz oder<lb/>
theilwei&#x017F;e mit dem Kopfe verwach&#x017F;en i&#x017F;t, eine Gruppe von Anhängen<lb/>
an, die man mit dem Namen der <hi rendition="#g">Kaufüße</hi> oder <hi rendition="#g">Kieferfüße</hi><lb/>
(<hi rendition="#aq">pates-mâchoires</hi>) belegt, und die &#x017F;ich bis zur Zahl von drei Paaren<lb/>
vermehren können. Es zeigen die&#x017F;e Theile, die bei den In&#x017F;ekten z. B.<lb/>
durchaus fehlen, in ihrer Bildung die merkwürdig&#x017F;ten Uebergänge von<lb/>
wahren Bewegungs- oder Greiforganen, kurz von wirklichen Füßen<lb/>
zu förmlichen Kauwerkzeugen, und liefern dadurch den Beweis, daß<lb/>
die eigentlichen Kauwerkzeuge ihrer Anlage nach dem Typus der Füße<lb/>
angehören und eigentlich nur die Füße der Kopfringel &#x017F;ind, welche zu<lb/>
be&#x017F;onderen Zwecken &#x017F;ich umge&#x017F;taltet haben.</p><lb/>
        <p>4. Hierauf folgt er&#x017F;t die Gruppe der eigentlichen <hi rendition="#g">Beine</hi> oder<lb/>
Füße (<hi rendition="#aq">pedes</hi>), der we&#x017F;entlich&#x017F;ten Bewegungsorgane auf der Erde, wie<lb/>
im Wa&#x017F;&#x017F;er, deren Zahl wenig&#x017F;tens drei Paare beträgt, aber außeror-<lb/>
dentlich vermehrt werden kann. Die wohl ausgebildeten Füße be-<lb/>
&#x017F;tehen immer aus einem, mei&#x017F;t kugelichen oder cylindri&#x017F;chen <hi rendition="#g">Hüftge-<lb/>
lenke</hi> (<hi rendition="#aq">coxa</hi>), an das gewöhnlich ein unbewegliches Stück, der<lb/><hi rendition="#g">Schenkel-</hi> oder <hi rendition="#g">Hüftknorren</hi> (<hi rendition="#aq">trochanter</hi>), angewach&#x017F;en i&#x017F;t, aus<lb/>
einem <hi rendition="#g">Schenkel</hi> (<hi rendition="#aq">femur</hi>), einer <hi rendition="#g">Schiene</hi> (<hi rendition="#aq">tibia</hi>) und einem Endtheile,<lb/>
dem <hi rendition="#g">Fuße</hi> (<hi rendition="#aq">tarsus</hi>), der mei&#x017F;t aus mehreren Gliedern be&#x017F;teht. Die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[399/0405] gewöhnlich aus einem mehrgliedrigen Stiele oder Schafte und einer Geiſſel gebildet, die höchſt mannigfache Formen annehmen. 2. Die Gruppe der ausgebildeten Kauwerkzeuge beſteht ur- ſprünglich aus vier ſeitlichen Kieferpaaren, von welchen aber das erſte immer, das letzte meiſtentheils in der Mittellinie ſo zuſammen ver- wachſen iſt, daß es eine deckelartige Lippe darſtellt. So kommen denn gewöhnlich eine Oberlippe (Labrum), ein erſtes Kieferpaar, meiſt ſcharf, einfach, ein Paar Oberkiefer, Kiefer (mandibulae), ein zweites, weit zuſammengeſetzteres Paar, die Unterkiefer, Kinn- laden oder Laden (maxillae, mâchoires) und eine ebenfalls ſehr zu- ſammengeſetzte Unterlippe (Labium) am Eingange der Mundhöhle vor. Während die Oberkiefer meiſt nur aus einem einzigen mächtigen, ſtarken Hornſtücke beſtehen, zeigen Kinnladen und Unterlippenhälften meiſt eine analoge Zuſammenſetzung, indem jeder dieſer Theile aus einem Schaft oder Körper, einem inneren, meiſt zum Kauen oder Decken beſtimmten Theile, der Lade, und einem äußeren gegliederten Anhange beſteht, dem Taſter oder der Geiſſel (palpus), welcher weſentlich zum Betaſten der Nahrungsmittel dient und durch ſeine vielfachen Form- änderungen genaue Charaktere zur Unterſcheidung bietet. 3. An dieſe Gruppe der eigentlichen Kauwerkzeuge ſchließt ſich beſonders bei denjenigen Gliederthieren, deren Bruſttheil ganz oder theilweiſe mit dem Kopfe verwachſen iſt, eine Gruppe von Anhängen an, die man mit dem Namen der Kaufüße oder Kieferfüße (pates-mâchoires) belegt, und die ſich bis zur Zahl von drei Paaren vermehren können. Es zeigen dieſe Theile, die bei den Inſekten z. B. durchaus fehlen, in ihrer Bildung die merkwürdigſten Uebergänge von wahren Bewegungs- oder Greiforganen, kurz von wirklichen Füßen zu förmlichen Kauwerkzeugen, und liefern dadurch den Beweis, daß die eigentlichen Kauwerkzeuge ihrer Anlage nach dem Typus der Füße angehören und eigentlich nur die Füße der Kopfringel ſind, welche zu beſonderen Zwecken ſich umgeſtaltet haben. 4. Hierauf folgt erſt die Gruppe der eigentlichen Beine oder Füße (pedes), der weſentlichſten Bewegungsorgane auf der Erde, wie im Waſſer, deren Zahl wenigſtens drei Paare beträgt, aber außeror- dentlich vermehrt werden kann. Die wohl ausgebildeten Füße be- ſtehen immer aus einem, meiſt kugelichen oder cylindriſchen Hüftge- lenke (coxa), an das gewöhnlich ein unbewegliches Stück, der Schenkel- oder Hüftknorren (trochanter), angewachſen iſt, aus einem Schenkel (femur), einer Schiene (tibia) und einem Endtheile, dem Fuße (tarsus), der meiſt aus mehreren Gliedern beſteht. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/405
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/405>, abgerufen am 20.05.2024.