Modificationen der Form, wodurch die Beine oft ihrer ursprünglichen Bestimmung entfremdet und zu Tastorganen, Greifwerkzeugen etc. um- gestaltet werden, sind eben so mannigfaltig als diejenigen, welche sie innerhalb ihres ursprünglichen Bestimmungskreises erleiden, wo sie je nach der Art der Bewegung zu Schreit-, Lauf-, Spring-, Grab-, Schwimmbeinen etc. sich gestalten.
5. Eine letzte Gruppe gegliederter Anhänge, welche hinter den Beinen an den Ringeln des Hinterleibes befestigt sind, findet sich nur bei den Krustenthieren und ist dort unter dem Namen der falschen Füße, Bauchfüße oder Afterfüße (pedes spurii; fausses- pates) bekannt. Meist sind es blattförmige Organe, bald zum Schwim- men oder Strudeln bestimmt, in anderen Fällen zu Athemorganen (Kiemenblättern) umgewandelt, oder zum Tragen der Eier, zu Deck- platten etc. entwickelt; selten nur bilden sie sich zu wirksamen Be- wegungsorganen heran. Den Insekten und Arachniden fehlen diese Anhänge des Hinterleibes durchaus und bei den Tausendfüßern dürfte es noch zweifelhaft sein, ob die vielfältige Wiederholung der gleichför- migen Ringe, welche bei ihnen Beine tragen, eher der Brust oder dem Hinterleibe angehört.
Von den gegliederten Anhängen der Rückenfläche, den Flügeln, die nur bei der höchsten Klasse, den Insekten, vorkommen, wird bei diesen die Rede sein.
Die inneren Organe, die besonders dem vegetativen Leben vor- stehen und in denen sich namentlich die Erhebung aus dem Wasser zur Luft als Maßstab höherer Entfaltung kund giebt, werden wir bei den einzelnen Klassen betrachten. Doch dürfen wir hier nicht uner- wähnt lassen, daß noch bei keinem Gliederthiere Wimper- oder Flim- merorgane entdeckt worden sind, die doch bei den bisher betrachteten Klassen eine so große, bedeutende Rolle spielen, und daß manche der Funktionen, welche diese Wimperhaare in anderen Kreisen übernehmen, hier durch selbstständig bewegte, von willkürlichen Muskeln beherrschte Organe ausgeübt werden. Wahrscheinlich hängt dieses gänzliche Feh- len der Wimperorgane mit der stofflichen Zusammensetzung der äuße- ren Körperhüllen zusammen, deren Grundlage aus einem eigenthüm- lichen Stoffe, dem Chitin, gebildet ist, das in seinen chemischen Eigen- schaften der Holzfaser sehr nahe kommt, sich aber durch einen bedeutenden Gehalt von Stickstoff von dieser unterscheidet.
Mit der hohen Entwicklung, welche die inneren Organe, beson- ders aber das Nervensystem, bei den Gliederthieren erreichen, steht die bedeutende, geistige Ausbildung, welche von vielen dieser Thiere erreicht
Modificationen der Form, wodurch die Beine oft ihrer urſprünglichen Beſtimmung entfremdet und zu Taſtorganen, Greifwerkzeugen etc. um- geſtaltet werden, ſind eben ſo mannigfaltig als diejenigen, welche ſie innerhalb ihres urſprünglichen Beſtimmungskreiſes erleiden, wo ſie je nach der Art der Bewegung zu Schreit-, Lauf-, Spring-, Grab-, Schwimmbeinen etc. ſich geſtalten.
5. Eine letzte Gruppe gegliederter Anhänge, welche hinter den Beinen an den Ringeln des Hinterleibes befeſtigt ſind, findet ſich nur bei den Kruſtenthieren und iſt dort unter dem Namen der falſchen Füße, Bauchfüße oder Afterfüße (pedes spurii; fausses- pates) bekannt. Meiſt ſind es blattförmige Organe, bald zum Schwim- men oder Strudeln beſtimmt, in anderen Fällen zu Athemorganen (Kiemenblättern) umgewandelt, oder zum Tragen der Eier, zu Deck- platten etc. entwickelt; ſelten nur bilden ſie ſich zu wirkſamen Be- wegungsorganen heran. Den Inſekten und Arachniden fehlen dieſe Anhänge des Hinterleibes durchaus und bei den Tauſendfüßern dürfte es noch zweifelhaft ſein, ob die vielfältige Wiederholung der gleichför- migen Ringe, welche bei ihnen Beine tragen, eher der Bruſt oder dem Hinterleibe angehört.
Von den gegliederten Anhängen der Rückenfläche, den Flügeln, die nur bei der höchſten Klaſſe, den Inſekten, vorkommen, wird bei dieſen die Rede ſein.
Die inneren Organe, die beſonders dem vegetativen Leben vor- ſtehen und in denen ſich namentlich die Erhebung aus dem Waſſer zur Luft als Maßſtab höherer Entfaltung kund giebt, werden wir bei den einzelnen Klaſſen betrachten. Doch dürfen wir hier nicht uner- wähnt laſſen, daß noch bei keinem Gliederthiere Wimper- oder Flim- merorgane entdeckt worden ſind, die doch bei den bisher betrachteten Klaſſen eine ſo große, bedeutende Rolle ſpielen, und daß manche der Funktionen, welche dieſe Wimperhaare in anderen Kreiſen übernehmen, hier durch ſelbſtſtändig bewegte, von willkürlichen Muskeln beherrſchte Organe ausgeübt werden. Wahrſcheinlich hängt dieſes gänzliche Feh- len der Wimperorgane mit der ſtofflichen Zuſammenſetzung der äuße- ren Körperhüllen zuſammen, deren Grundlage aus einem eigenthüm- lichen Stoffe, dem Chitin, gebildet iſt, das in ſeinen chemiſchen Eigen- ſchaften der Holzfaſer ſehr nahe kommt, ſich aber durch einen bedeutenden Gehalt von Stickſtoff von dieſer unterſcheidet.
Mit der hohen Entwicklung, welche die inneren Organe, beſon- ders aber das Nervenſyſtem, bei den Gliederthieren erreichen, ſteht die bedeutende, geiſtige Ausbildung, welche von vielen dieſer Thiere erreicht
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Modificationen der Form, wodurch die Beine oft ihrer urſprünglichen
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innerhalb ihres urſprünglichen Beſtimmungskreiſes erleiden, wo ſie je
nach der Art der Bewegung zu Schreit-, Lauf-, Spring-, Grab-,
Schwimmbeinen etc. ſich geſtalten.
5. Eine letzte Gruppe gegliederter Anhänge, welche hinter den
Beinen an den Ringeln des Hinterleibes befeſtigt ſind, findet ſich
nur bei den Kruſtenthieren und iſt dort unter dem Namen der
falſchen Füße, Bauchfüße oder Afterfüße (pedes spurii; fausses-
pates) bekannt. Meiſt ſind es blattförmige Organe, bald zum Schwim-
men oder Strudeln beſtimmt, in anderen Fällen zu Athemorganen
(Kiemenblättern) umgewandelt, oder zum Tragen der Eier, zu Deck-
platten etc. entwickelt; ſelten nur bilden ſie ſich zu wirkſamen Be-
wegungsorganen heran. Den Inſekten und Arachniden fehlen dieſe
Anhänge des Hinterleibes durchaus und bei den Tauſendfüßern dürfte
es noch zweifelhaft ſein, ob die vielfältige Wiederholung der gleichför-
migen Ringe, welche bei ihnen Beine tragen, eher der Bruſt oder dem
Hinterleibe angehört.
Von den gegliederten Anhängen der Rückenfläche, den Flügeln,
die nur bei der höchſten Klaſſe, den Inſekten, vorkommen, wird bei
dieſen die Rede ſein.
Die inneren Organe, die beſonders dem vegetativen Leben vor-
ſtehen und in denen ſich namentlich die Erhebung aus dem Waſſer
zur Luft als Maßſtab höherer Entfaltung kund giebt, werden wir bei
den einzelnen Klaſſen betrachten. Doch dürfen wir hier nicht uner-
wähnt laſſen, daß noch bei keinem Gliederthiere Wimper- oder Flim-
merorgane entdeckt worden ſind, die doch bei den bisher betrachteten
Klaſſen eine ſo große, bedeutende Rolle ſpielen, und daß manche der
Funktionen, welche dieſe Wimperhaare in anderen Kreiſen übernehmen,
hier durch ſelbſtſtändig bewegte, von willkürlichen Muskeln beherrſchte
Organe ausgeübt werden. Wahrſcheinlich hängt dieſes gänzliche Feh-
len der Wimperorgane mit der ſtofflichen Zuſammenſetzung der äuße-
ren Körperhüllen zuſammen, deren Grundlage aus einem eigenthüm-
lichen Stoffe, dem Chitin, gebildet iſt, das in ſeinen chemiſchen Eigen-
ſchaften der Holzfaſer ſehr nahe kommt, ſich aber durch einen bedeutenden
Gehalt von Stickſtoff von dieſer unterſcheidet.
Mit der hohen Entwicklung, welche die inneren Organe, beſon-
ders aber das Nervenſyſtem, bei den Gliederthieren erreichen, ſteht die
bedeutende, geiſtige Ausbildung, welche von vielen dieſer Thiere erreicht
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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/406>, abgerufen am 23.12.2024.
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