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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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den verschiedenen Haupttypen hergestellt werden. Kaum ist es möglich
irgendwo feste Grenzlinien zu ziehen, so sehr verschwimmen die ein-
zelnen Charaktere in einander, oder verbinden sich in seltsam abwei-
chender Weise, wodurch Gattungen entstehen, die man fast nach
Belieben zu der einen oder anderen Hauptgruppe ziehen könnte. Wir
erkennen in dieser zahlreichen Klasse vier Unterklassen, deren Umgren-
zung indessen hier und da aus den angegebenen Gründen zweifelhaft
erscheinen dürfte. Wir unterscheiden: 1) Die Unterklasse der Haut-
krebse (Entomostraca)
mit gewöhnlich dünnhäutiger oder dünn-
horniger Körperbedeckung, die sich bald zu einem breiten Schilde, bald
selbst zu einer zweiklappigen Schale ausbildet, und mit meist scheeren-
losen Füßen, die bald zum Anklammern mit Haken, bald zum Schwim-
men mit langen Borsten besetzt sind, oder sich selbst zu eigenthümlichen
Rauken und sonderbaren fleischigen Anhängen ausbilden. Die Fühler
sind gewöhnlich bei den Embryonen und Larven, sowie bei vielen er-
wachsenen Thieren zu Schwimmorganen oder Klammerwerkzeugen um-
gebildet. Die meisten dieser Thiere sitzen in ihrem zeugungsfähigen
Alter auf dem Boden oder als Schmarotzer an anderen Thieren fest;
die freilebenden finden sich großen Theils in den süßen Gewässern,
nur wenige im Meere, und gehören zu den kleineren Gattungen der
ganzen Klasse. Die Embryonen der Hautkrebse sind im Ganzen nach
einem sehr übereinstimmenden Plane gebaut, und zeigen gewöhnlich
bei dem Hervorkommen aus dem Eie zwei Paar langer, mit Borsten
versehener Fühler, die zu Schwimmfüßen ausgebildet sind, mittelst deren
sie sich sehr hurtig im Wasser umherbewegen können; später vermehrt
sich die Zahl der Schwimmfüße oder sie verschwinden sogar, je nach
der Ausbildung des vollkommenen Thieres zu einem Schmarotzer oder
einem frei lebenden Wesen. Wir begreifen in dieser Klasse sechs Ord-
nungen: Die Rankenfüßer (Cirrhipedia), Thiere, welche im Alter
fest sitzen, deren Füße sich zu gegliederten Ranken umbilden, und die
sich mit Schalen umgeben, deren Form so eigenthümlich ist, daß man
sie bis in die neueste Zeit, ehe man ihre Entwickelung kannte, zu den
schalentragenden Weichthieren zählte, oder eine besondere Zwischenklasse
zwischen Weich- und Krustenthieren aus ihnen machte. Die Schma-
rotzerkrebse
(Parasita) bilden die zweite Ordnung, in der wir
Thiere finden, die durch die gänzliche Zurückbildung aller Sinnes-
und Bewegungsorgane während der Periode ihres Schmarotzerlebens
sich so sehr von dem Typus der Gliederthiere entfernen, daß man sie
theilweise den Eingeweidewürmern zuzählte. Weit höher erhebt sich
die Organisation in der Ordnung der Krebsflöhe (Copepoda),

den verſchiedenen Haupttypen hergeſtellt werden. Kaum iſt es möglich
irgendwo feſte Grenzlinien zu ziehen, ſo ſehr verſchwimmen die ein-
zelnen Charaktere in einander, oder verbinden ſich in ſeltſam abwei-
chender Weiſe, wodurch Gattungen entſtehen, die man faſt nach
Belieben zu der einen oder anderen Hauptgruppe ziehen könnte. Wir
erkennen in dieſer zahlreichen Klaſſe vier Unterklaſſen, deren Umgren-
zung indeſſen hier und da aus den angegebenen Gründen zweifelhaft
erſcheinen dürfte. Wir unterſcheiden: 1) Die Unterklaſſe der Haut-
krebſe (Entomostraca)
mit gewöhnlich dünnhäutiger oder dünn-
horniger Körperbedeckung, die ſich bald zu einem breiten Schilde, bald
ſelbſt zu einer zweiklappigen Schale ausbildet, und mit meiſt ſcheeren-
loſen Füßen, die bald zum Anklammern mit Haken, bald zum Schwim-
men mit langen Borſten beſetzt ſind, oder ſich ſelbſt zu eigenthümlichen
Rauken und ſonderbaren fleiſchigen Anhängen ausbilden. Die Fühler
ſind gewöhnlich bei den Embryonen und Larven, ſowie bei vielen er-
wachſenen Thieren zu Schwimmorganen oder Klammerwerkzeugen um-
gebildet. Die meiſten dieſer Thiere ſitzen in ihrem zeugungsfähigen
Alter auf dem Boden oder als Schmarotzer an anderen Thieren feſt;
die freilebenden finden ſich großen Theils in den ſüßen Gewäſſern,
nur wenige im Meere, und gehören zu den kleineren Gattungen der
ganzen Klaſſe. Die Embryonen der Hautkrebſe ſind im Ganzen nach
einem ſehr übereinſtimmenden Plane gebaut, und zeigen gewöhnlich
bei dem Hervorkommen aus dem Eie zwei Paar langer, mit Borſten
verſehener Fühler, die zu Schwimmfüßen ausgebildet ſind, mittelſt deren
ſie ſich ſehr hurtig im Waſſer umherbewegen können; ſpäter vermehrt
ſich die Zahl der Schwimmfüße oder ſie verſchwinden ſogar, je nach
der Ausbildung des vollkommenen Thieres zu einem Schmarotzer oder
einem frei lebenden Weſen. Wir begreifen in dieſer Klaſſe ſechs Ord-
nungen: Die Rankenfüßer (Cirrhipedia), Thiere, welche im Alter
feſt ſitzen, deren Füße ſich zu gegliederten Ranken umbilden, und die
ſich mit Schalen umgeben, deren Form ſo eigenthümlich iſt, daß man
ſie bis in die neueſte Zeit, ehe man ihre Entwickelung kannte, zu den
ſchalentragenden Weichthieren zählte, oder eine beſondere Zwiſchenklaſſe
zwiſchen Weich- und Kruſtenthieren aus ihnen machte. Die Schma-
rotzerkrebſe
(Parasita) bilden die zweite Ordnung, in der wir
Thiere finden, die durch die gänzliche Zurückbildung aller Sinnes-
und Bewegungsorgane während der Periode ihres Schmarotzerlebens
ſich ſo ſehr von dem Typus der Gliederthiere entfernen, daß man ſie
theilweiſe den Eingeweidewürmern zuzählte. Weit höher erhebt ſich
die Organiſation in der Ordnung der Krebsflöhe (Copepoda),

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[421/0427] den verſchiedenen Haupttypen hergeſtellt werden. Kaum iſt es möglich irgendwo feſte Grenzlinien zu ziehen, ſo ſehr verſchwimmen die ein- zelnen Charaktere in einander, oder verbinden ſich in ſeltſam abwei- chender Weiſe, wodurch Gattungen entſtehen, die man faſt nach Belieben zu der einen oder anderen Hauptgruppe ziehen könnte. Wir erkennen in dieſer zahlreichen Klaſſe vier Unterklaſſen, deren Umgren- zung indeſſen hier und da aus den angegebenen Gründen zweifelhaft erſcheinen dürfte. Wir unterſcheiden: 1) Die Unterklaſſe der Haut- krebſe (Entomostraca) mit gewöhnlich dünnhäutiger oder dünn- horniger Körperbedeckung, die ſich bald zu einem breiten Schilde, bald ſelbſt zu einer zweiklappigen Schale ausbildet, und mit meiſt ſcheeren- loſen Füßen, die bald zum Anklammern mit Haken, bald zum Schwim- men mit langen Borſten beſetzt ſind, oder ſich ſelbſt zu eigenthümlichen Rauken und ſonderbaren fleiſchigen Anhängen ausbilden. Die Fühler ſind gewöhnlich bei den Embryonen und Larven, ſowie bei vielen er- wachſenen Thieren zu Schwimmorganen oder Klammerwerkzeugen um- gebildet. Die meiſten dieſer Thiere ſitzen in ihrem zeugungsfähigen Alter auf dem Boden oder als Schmarotzer an anderen Thieren feſt; die freilebenden finden ſich großen Theils in den ſüßen Gewäſſern, nur wenige im Meere, und gehören zu den kleineren Gattungen der ganzen Klaſſe. Die Embryonen der Hautkrebſe ſind im Ganzen nach einem ſehr übereinſtimmenden Plane gebaut, und zeigen gewöhnlich bei dem Hervorkommen aus dem Eie zwei Paar langer, mit Borſten verſehener Fühler, die zu Schwimmfüßen ausgebildet ſind, mittelſt deren ſie ſich ſehr hurtig im Waſſer umherbewegen können; ſpäter vermehrt ſich die Zahl der Schwimmfüße oder ſie verſchwinden ſogar, je nach der Ausbildung des vollkommenen Thieres zu einem Schmarotzer oder einem frei lebenden Weſen. Wir begreifen in dieſer Klaſſe ſechs Ord- nungen: Die Rankenfüßer (Cirrhipedia), Thiere, welche im Alter feſt ſitzen, deren Füße ſich zu gegliederten Ranken umbilden, und die ſich mit Schalen umgeben, deren Form ſo eigenthümlich iſt, daß man ſie bis in die neueſte Zeit, ehe man ihre Entwickelung kannte, zu den ſchalentragenden Weichthieren zählte, oder eine beſondere Zwiſchenklaſſe zwiſchen Weich- und Kruſtenthieren aus ihnen machte. Die Schma- rotzerkrebſe (Parasita) bilden die zweite Ordnung, in der wir Thiere finden, die durch die gänzliche Zurückbildung aller Sinnes- und Bewegungsorgane während der Periode ihres Schmarotzerlebens ſich ſo ſehr von dem Typus der Gliederthiere entfernen, daß man ſie theilweiſe den Eingeweidewürmern zuzählte. Weit höher erhebt ſich die Organiſation in der Ordnung der Krebsflöhe (Copepoda),

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/427>, abgerufen am 20.05.2024.