prangte ihre Schönheit in üppiger Fülle, ihr Verstand entzückte.
Im ein und zwanzigsten Jahrhundert hatte man die Erziehungskunde einer Arithmetik un¬ terworfen, die schon lange genaue Anzeigen ergab und sich immer mehr erweitete. Streben und Erfahrung hatten die Linie gefunden, bis an welche die Natur Freiheit zu reinen Ausbil¬ dungen der Formen bedingt, und wieder das Maas von Gegenwirkungen entdeckt, mit welchem ihr am glücklichsten zu begegnen ist. Da nun zugleich die Chemie der höheren Arzneikunst, diejenigen Krankheiten nach und nach in ihren Stoffen vertilgt hatte, welche sonst das Geschlecht entstellten, da die edlere Verfassung, jene Eigen¬ sucht, mit ihren leidenschaftlichen Ausgeburten, Neid, Haß, niedrige Sinnlichkeit, meistens ent¬ fernte, so konnte sie auch nicht mehr, wie Ehedem Antlitz und Haltung verunbilden. So mußte von Geschlecht zu Geschlecht die menschliche Schön¬ heit sich lieblicher entfalten, und jene har¬ monischen Gestalten, welche einst Bildner in Athen aussannen, erblickte die Wirklichkeit da lange schon lebend, wo die Kultur waltete. Ja, jene Statuen wurden bereits auf eine nie zuvor geahnte
prangte ihre Schoͤnheit in uͤppiger Fuͤlle, ihr Verſtand entzuͤckte.
Im ein und zwanzigſten Jahrhundert hatte man die Erziehungskunde einer Arithmetik un¬ terworfen, die ſchon lange genaue Anzeigen ergab und ſich immer mehr erweitete. Streben und Erfahrung hatten die Linie gefunden, bis an welche die Natur Freiheit zu reinen Ausbil¬ dungen der Formen bedingt, und wieder das Maas von Gegenwirkungen entdeckt, mit welchem ihr am gluͤcklichſten zu begegnen iſt. Da nun zugleich die Chemie der hoͤheren Arzneikunſt, diejenigen Krankheiten nach und nach in ihren Stoffen vertilgt hatte, welche ſonſt das Geſchlecht entſtellten, da die edlere Verfaſſung, jene Eigen¬ ſucht, mit ihren leidenſchaftlichen Ausgeburten, Neid, Haß, niedrige Sinnlichkeit, meiſtens ent¬ fernte, ſo konnte ſie auch nicht mehr, wie Ehedem Antlitz und Haltung verunbilden. So mußte von Geſchlecht zu Geſchlecht die menſchliche Schoͤn¬ heit ſich lieblicher entfalten, und jene har¬ moniſchen Geſtalten, welche einſt Bildner in Athen ausſannen, erblickte die Wirklichkeit da lange ſchon lebend, wo die Kultur waltete. Ja, jene Statuen wurden bereits auf eine nie zuvor geahnte
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prangte ihre Schoͤnheit in uͤppiger Fuͤlle, ihr
Verſtand entzuͤckte.
Im ein und zwanzigſten Jahrhundert hatte
man die Erziehungskunde einer Arithmetik un¬
terworfen, die ſchon lange genaue Anzeigen
ergab und ſich immer mehr erweitete. Streben
und Erfahrung hatten die Linie gefunden, bis
an welche die Natur Freiheit zu reinen Ausbil¬
dungen der Formen bedingt, und wieder das
Maas von Gegenwirkungen entdeckt, mit welchem
ihr am gluͤcklichſten zu begegnen iſt. Da nun
zugleich die Chemie der hoͤheren Arzneikunſt,
diejenigen Krankheiten nach und nach in ihren
Stoffen vertilgt hatte, welche ſonſt das Geſchlecht
entſtellten, da die edlere Verfaſſung, jene Eigen¬
ſucht, mit ihren leidenſchaftlichen Ausgeburten,
Neid, Haß, niedrige Sinnlichkeit, meiſtens ent¬
fernte, ſo konnte ſie auch nicht mehr, wie Ehedem
Antlitz und Haltung verunbilden. So mußte von
Geſchlecht zu Geſchlecht die menſchliche Schoͤn¬
heit ſich lieblicher entfalten, und jene har¬
moniſchen Geſtalten, welche einſt Bildner in Athen
ausſannen, erblickte die Wirklichkeit da lange
ſchon lebend, wo die Kultur waltete. Ja, jene
Statuen wurden bereits auf eine nie zuvor geahnte
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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/18>, abgerufen am 23.11.2024.
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