Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ueber die rastlosen Arbeiten vergaß ich, mich
nach einem geliebten Weibe umzusehn."

So war deine Erziehung dennoch fehlerhaft.
Die, welche sie leiteten, gaben dir nicht Frei¬
heit genug. Du bist das Werk Anderere gewor¬
den, und die eigenthümlich waltende Kraft keimte
zu wenig auf. Die Liebe hat ihren Götterfunken
nicht in dir entzündet, darum so karger Aufflug
deines Herzens. Wir können des edlen Vaters
wegen dir nicht nachsehn. Sein Ruhm hat mit
dem Wohl der folgenden Geschlechter in seinen
Staaten nichts gemein. Ich urtheile, daß dein
Land ein Jahrlang unter Regentschaft gesetzt
werden muß. Während dieser Zeit bemühe dich
um Selbstvertrauen, um die Kraft des Muthes, die
Königen ziemt. Vermähle dich liebend, dann kehre
wieder und höre unsern neuen Spruch. So mein
Urtheil, habt ihr es zu tadeln, Väter, so tretet
auf und wir wollen die Stimmen sammeln.

Alles schwieg.

Nach einer Pause fing der Vorsitzer wieder an:

Euer Schweigen nennt meinen Spruch gerecht,
der Telegraph soll ihn zur Stelle nach Rom bringen.

Tief bestürzt stand der abgewiesene Thronfol¬
ger da vor der schauenden Menge. Wohl nicht

„Ueber die raſtloſen Arbeiten vergaß ich, mich
nach einem geliebten Weibe umzuſehn.“

So war deine Erziehung dennoch fehlerhaft.
Die, welche ſie leiteten, gaben dir nicht Frei¬
heit genug. Du biſt das Werk Anderere gewor¬
den, und die eigenthuͤmlich waltende Kraft keimte
zu wenig auf. Die Liebe hat ihren Goͤtterfunken
nicht in dir entzuͤndet, darum ſo karger Aufflug
deines Herzens. Wir koͤnnen des edlen Vaters
wegen dir nicht nachſehn. Sein Ruhm hat mit
dem Wohl der folgenden Geſchlechter in ſeinen
Staaten nichts gemein. Ich urtheile, daß dein
Land ein Jahrlang unter Regentſchaft geſetzt
werden muß. Waͤhrend dieſer Zeit bemuͤhe dich
um Selbſtvertrauen, um die Kraft des Muthes, die
Koͤnigen ziemt. Vermaͤhle dich liebend, dann kehre
wieder und hoͤre unſern neuen Spruch. So mein
Urtheil, habt ihr es zu tadeln, Vaͤter, ſo tretet
auf und wir wollen die Stimmen ſammeln.

Alles ſchwieg.

Nach einer Pauſe fing der Vorſitzer wieder an:

Euer Schweigen nennt meinen Spruch gerecht,
der Telegraph ſoll ihn zur Stelle nach Rom bringen.

Tief beſtuͤrzt ſtand der abgewieſene Thronfol¬
ger da vor der ſchauenden Menge. Wohl nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0216" n="204"/>
          <p>&#x201E;Ueber die ra&#x017F;tlo&#x017F;en Arbeiten vergaß ich, mich<lb/>
nach einem geliebten Weibe umzu&#x017F;ehn.&#x201C;</p><lb/>
          <p>So war deine Erziehung dennoch fehlerhaft.<lb/>
Die, welche &#x017F;ie leiteten, gaben dir nicht Frei¬<lb/>
heit genug. Du bi&#x017F;t das Werk Anderere gewor¬<lb/>
den, und die eigenthu&#x0364;mlich waltende Kraft keimte<lb/>
zu wenig auf. Die Liebe hat ihren Go&#x0364;tterfunken<lb/>
nicht in dir entzu&#x0364;ndet, darum &#x017F;o karger Aufflug<lb/>
deines Herzens. Wir ko&#x0364;nnen des edlen Vaters<lb/>
wegen dir nicht nach&#x017F;ehn. Sein Ruhm hat mit<lb/>
dem Wohl der folgenden Ge&#x017F;chlechter in &#x017F;einen<lb/>
Staaten nichts gemein. Ich urtheile, daß dein<lb/>
Land ein Jahrlang unter Regent&#x017F;chaft ge&#x017F;etzt<lb/>
werden muß. Wa&#x0364;hrend die&#x017F;er Zeit bemu&#x0364;he dich<lb/>
um Selb&#x017F;tvertrauen, um die Kraft des Muthes, die<lb/>
Ko&#x0364;nigen ziemt. Verma&#x0364;hle dich liebend, dann kehre<lb/>
wieder und ho&#x0364;re un&#x017F;ern neuen Spruch. So mein<lb/>
Urtheil, habt ihr es zu tadeln, Va&#x0364;ter, &#x017F;o tretet<lb/>
auf und wir wollen die Stimmen &#x017F;ammeln.</p><lb/>
          <p>Alles &#x017F;chwieg.</p><lb/>
          <p>Nach einer Pau&#x017F;e fing der Vor&#x017F;itzer wieder an:</p><lb/>
          <p>Euer Schweigen nennt meinen Spruch gerecht,<lb/>
der Telegraph &#x017F;oll ihn zur Stelle nach Rom bringen.</p><lb/>
          <p>Tief be&#x017F;tu&#x0364;rzt &#x017F;tand der abgewie&#x017F;ene Thronfol¬<lb/>
ger da vor der &#x017F;chauenden Menge. Wohl nicht<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0216] „Ueber die raſtloſen Arbeiten vergaß ich, mich nach einem geliebten Weibe umzuſehn.“ So war deine Erziehung dennoch fehlerhaft. Die, welche ſie leiteten, gaben dir nicht Frei¬ heit genug. Du biſt das Werk Anderere gewor¬ den, und die eigenthuͤmlich waltende Kraft keimte zu wenig auf. Die Liebe hat ihren Goͤtterfunken nicht in dir entzuͤndet, darum ſo karger Aufflug deines Herzens. Wir koͤnnen des edlen Vaters wegen dir nicht nachſehn. Sein Ruhm hat mit dem Wohl der folgenden Geſchlechter in ſeinen Staaten nichts gemein. Ich urtheile, daß dein Land ein Jahrlang unter Regentſchaft geſetzt werden muß. Waͤhrend dieſer Zeit bemuͤhe dich um Selbſtvertrauen, um die Kraft des Muthes, die Koͤnigen ziemt. Vermaͤhle dich liebend, dann kehre wieder und hoͤre unſern neuen Spruch. So mein Urtheil, habt ihr es zu tadeln, Vaͤter, ſo tretet auf und wir wollen die Stimmen ſammeln. Alles ſchwieg. Nach einer Pauſe fing der Vorſitzer wieder an: Euer Schweigen nennt meinen Spruch gerecht, der Telegraph ſoll ihn zur Stelle nach Rom bringen. Tief beſtuͤrzt ſtand der abgewieſene Thronfol¬ ger da vor der ſchauenden Menge. Wohl nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/216
Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/216>, abgerufen am 21.11.2024.