sie bereits erreicht an, den neunzehnten noch nicht, den zwanzigsten unerreichbar. Sie er¬ kannte Raphael den Preis in Zeichnung und Ausdruck zu, wenn dagegen Titian im Kolorit ihn bei weiten übertraf, Rubens im Ausdruck mit ihm wetteiferte, und ihn in der Zusammen¬ stellung zurückließ. Es mußte nun nothwendig der Wunsch nach einem Gemälde entstehen, in welchem die richtige Hand, die blühende Einbil¬ dung eines Raphael, mit der hohen Kräftigkeit eines Rubens, und der sorgsamen lieblichen Ausführung eines Titian gegattet waren. Lange jedoch ward er umsonst gefühlt. Erst im zwan¬ zigsten Jahrhundert, nachdem die Künste unter der Aegide eines langen Friedens ungestörter auf¬ blühen konnten, und eine kluge Regierung dem Volke von Europa Reichthum genug erzogen hatte, sie freundlich zu nähren, ließ sich erst die Vor¬ zeit wieder erreichen. Nun eilten die Fortschritte glücklich. Die vervollkommnete Lehrmethode stärkte früh der Zöglinge Fassungskraft, die mechanische Fertigkeit konnte zeitiger errungen werden, die Scheidekunst erfand eine bei weitem vortheil¬ haftere Bereitung der Farben. Um die Mitte dieses Jahrhunderts vereinten die besseren Maler
schon
ſie bereits erreicht an, den neunzehnten noch nicht, den zwanzigſten unerreichbar. Sie er¬ kannte Raphael den Preis in Zeichnung und Ausdruck zu, wenn dagegen Titian im Kolorit ihn bei weiten uͤbertraf, Rubens im Ausdruck mit ihm wetteiferte, und ihn in der Zuſammen¬ ſtellung zuruͤckließ. Es mußte nun nothwendig der Wunſch nach einem Gemaͤlde entſtehen, in welchem die richtige Hand, die bluͤhende Einbil¬ dung eines Raphael, mit der hohen Kraͤftigkeit eines Rubens, und der ſorgſamen lieblichen Ausfuͤhrung eines Titian gegattet waren. Lange jedoch ward er umſonſt gefuͤhlt. Erſt im zwan¬ zigſten Jahrhundert, nachdem die Kuͤnſte unter der Aegide eines langen Friedens ungeſtoͤrter auf¬ bluͤhen konnten, und eine kluge Regierung dem Volke von Europa Reichthum genug erzogen hatte, ſie freundlich zu naͤhren, ließ ſich erſt die Vor¬ zeit wieder erreichen. Nun eilten die Fortſchritte gluͤcklich. Die vervollkommnete Lehrmethode ſtaͤrkte fruͤh der Zoͤglinge Faſſungskraft, die mechaniſche Fertigkeit konnte zeitiger errungen werden, die Scheidekunſt erfand eine bei weitem vortheil¬ haftere Bereitung der Farben. Um die Mitte dieſes Jahrhunderts vereinten die beſſeren Maler
ſchon
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ſie bereits erreicht an, den neunzehnten noch
nicht, den zwanzigſten unerreichbar. Sie er¬
kannte Raphael den Preis in Zeichnung und
Ausdruck zu, wenn dagegen Titian im Kolorit
ihn bei weiten uͤbertraf, Rubens im Ausdruck
mit ihm wetteiferte, und ihn in der Zuſammen¬
ſtellung zuruͤckließ. Es mußte nun nothwendig
der Wunſch nach einem Gemaͤlde entſtehen, in
welchem die richtige Hand, die bluͤhende Einbil¬
dung eines Raphael, mit der hohen Kraͤftigkeit
eines Rubens, und der ſorgſamen lieblichen
Ausfuͤhrung eines Titian gegattet waren. Lange
jedoch ward er umſonſt gefuͤhlt. Erſt im zwan¬
zigſten Jahrhundert, nachdem die Kuͤnſte unter
der Aegide eines langen Friedens ungeſtoͤrter auf¬
bluͤhen konnten, und eine kluge Regierung dem
Volke von Europa Reichthum genug erzogen hatte,
ſie freundlich zu naͤhren, ließ ſich erſt die Vor¬
zeit wieder erreichen. Nun eilten die Fortſchritte
gluͤcklich. Die vervollkommnete Lehrmethode ſtaͤrkte
fruͤh der Zoͤglinge Faſſungskraft, die mechaniſche
Fertigkeit konnte zeitiger errungen werden, die
Scheidekunſt erfand eine bei weitem vortheil¬
haftere Bereitung der Farben. Um die Mitte
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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/76>, abgerufen am 21.11.2024.
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