Als wenn Mann und Weib, in herzlicher Liebe vereinigt, Ruhig ihr Haus verwalten: den Feinden ein kränkender Anblick, Aber Wonne den Freunden; und mehr noch genießen sie selber! 185
Ihm antwortete drauf die lilienarmige Jungfrau: Keinem geringen Manne noch thörichten gleichst du, o Fremdling. Aber der Gott des Olümpos ertheilet selber den Menschen, Vornehm oder geringe, nach seinem Gefallen ihr Schicksal. Dieser beschied dir dein Loos, und dir geziemt es zu dulden. 190 Jezt, da du unserer Stadt und unsern Gefilden dich nahest, Soll es weder an Kleidung, noch etwas anderm, dir mangeln, Was unglücklichen Fremden, die Hülfe suchen, gebühret. Zeigen will ich die Stadt, und des Volkes Namen dir sagen: Wir Faiaken bewohnen die Stadt und diese Gefilde. 195 Aber ich selber bin des hohen Alkinoos Tochter, Dem des faiakischen Volkes Gewalt und Stärke vertraut ist.
Also sprach sie, und rief den schöngelockten Gespielen: Dirnen, steht mir doch still! Wo fliehet ihr hin vor dem Manne? Meinet ihr etwa, er komme zu uns in feindlicher Absicht? 200 Wahrlich der lebt noch nicht, und niemals wird er geboren, Welcher käm' in das Land der faiakischen Männer, mit Feindschaft Unsre Ruhe zu stören; denn sehr geliebt von den Göttern, Wohnen wir abgesondert im wogenrauschenden Meere, An dem Ende der Welt, und haben mit keinem Gemeinschaft. 205 Nein, er kommt zu uns, ein armer irrender Fremdling, Deßen man pflegen muß. Denn Zeus gehören ja alle Fremdling' und Darbende an; und kleine Gaben erfreun auch. Kommt denn, ihr Dirnen, und gebt dem Manne zu eßen und trinken; Und dann badet ihn unten im Fluß, wo Schuz vor dem Wind' ist. 210
Sechſter Geſang.
Als wenn Mann und Weib, in herzlicher Liebe vereinigt, Ruhig ihr Haus verwalten: den Feinden ein kraͤnkender Anblick, Aber Wonne den Freunden; und mehr noch genießen ſie ſelber! 185
Ihm antwortete drauf die lilienarmige Jungfrau: Keinem geringen Manne noch thoͤrichten gleichſt du, o Fremdling. Aber der Gott des Oluͤmpos ertheilet ſelber den Menſchen, Vornehm oder geringe, nach ſeinem Gefallen ihr Schickſal. Dieſer beſchied dir dein Loos, und dir geziemt es zu dulden. 190 Jezt, da du unſerer Stadt und unſern Gefilden dich naheſt, Soll es weder an Kleidung, noch etwas anderm, dir mangeln, Was ungluͤcklichen Fremden, die Huͤlfe ſuchen, gebuͤhret. Zeigen will ich die Stadt, und des Volkes Namen dir ſagen: Wir Faiaken bewohnen die Stadt und dieſe Gefilde. 195 Aber ich ſelber bin des hohen Alkinoos Tochter, Dem des faiakiſchen Volkes Gewalt und Staͤrke vertraut iſt.
Alſo ſprach ſie, und rief den ſchoͤngelockten Geſpielen: Dirnen, ſteht mir doch ſtill! Wo fliehet ihr hin vor dem Manne? Meinet ihr etwa, er komme zu uns in feindlicher Abſicht? 200 Wahrlich der lebt noch nicht, und niemals wird er geboren, Welcher kaͤm' in das Land der faiakiſchen Maͤnner, mit Feindſchaft Unſre Ruhe zu ſtoͤren; denn ſehr geliebt von den Goͤttern, Wohnen wir abgeſondert im wogenrauſchenden Meere, An dem Ende der Welt, und haben mit keinem Gemeinſchaft. 205 Nein, er kommt zu uns, ein armer irrender Fremdling, Deßen man pflegen muß. Denn Zeus gehoͤren ja alle Fremdling' und Darbende an; und kleine Gaben erfreun auch. Kommt denn, ihr Dirnen, und gebt dem Manne zu eßen und trinken; Und dann badet ihn unten im Fluß, wo Schuz vor dem Wind' iſt. 210
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Sechſter Geſang.
Als wenn Mann und Weib, in herzlicher Liebe vereinigt,
Ruhig ihr Haus verwalten: den Feinden ein kraͤnkender Anblick,
Aber Wonne den Freunden; und mehr noch genießen ſie ſelber!
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Ihm antwortete drauf die lilienarmige Jungfrau:
Keinem geringen Manne noch thoͤrichten gleichſt du, o Fremdling.
Aber der Gott des Oluͤmpos ertheilet ſelber den Menſchen,
Vornehm oder geringe, nach ſeinem Gefallen ihr Schickſal.
Dieſer beſchied dir dein Loos, und dir geziemt es zu dulden.
Jezt, da du unſerer Stadt und unſern Gefilden dich naheſt,
Soll es weder an Kleidung, noch etwas anderm, dir mangeln,
Was ungluͤcklichen Fremden, die Huͤlfe ſuchen, gebuͤhret.
Zeigen will ich die Stadt, und des Volkes Namen dir ſagen:
Wir Faiaken bewohnen die Stadt und dieſe Gefilde.
Aber ich ſelber bin des hohen Alkinoos Tochter,
Dem des faiakiſchen Volkes Gewalt und Staͤrke vertraut iſt.
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Alſo ſprach ſie, und rief den ſchoͤngelockten Geſpielen:
Dirnen, ſteht mir doch ſtill! Wo fliehet ihr hin vor dem Manne?
Meinet ihr etwa, er komme zu uns in feindlicher Abſicht?
Wahrlich der lebt noch nicht, und niemals wird er geboren,
Welcher kaͤm' in das Land der faiakiſchen Maͤnner, mit Feindſchaft
Unſre Ruhe zu ſtoͤren; denn ſehr geliebt von den Goͤttern,
Wohnen wir abgeſondert im wogenrauſchenden Meere,
An dem Ende der Welt, und haben mit keinem Gemeinſchaft.
Nein, er kommt zu uns, ein armer irrender Fremdling,
Deßen man pflegen muß. Denn Zeus gehoͤren ja alle
Fremdling' und Darbende an; und kleine Gaben erfreun auch.
Kommt denn, ihr Dirnen, und gebt dem Manne zu eßen und trinken;
Und dann badet ihn unten im Fluß, wo Schuz vor dem Wind' iſt.
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/127>, abgerufen am 21.11.2024.
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