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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Zehnter Gesang.
Mischte mir dann ein Gemüs' im goldenen Becher zu trinken,
Und vergiftet' es tückisch mit ihrem bezaubernden Safte.
Und sie reichte mirs hin; ich trank es, und ohne Verwandlung.
Drauf berührte sie mich mit der Zauberrute, und sagte:

Gehe nun in den Kofen, und liege bei deinen Gefährten. 320
Also sprach sie; da riß ich das schneidende Schwert von der Hüfte,
Sprang auf die Zauberin los, und drohte sie gleich zu erwürgen:
Aber sie schrie, und eilte gebückt, mir die Kniee zu faßen;
Lautwehklagend rief sie die schnellgeflügelten Worte:

Wer, weß Volkes bist du? und wo ist deine Geburtstadt? 325
Staunen ergreift mich, da dich der Zaubertrank nicht verwandelt!
Denn kein sterblicher Mensch ist diesem Zauber bestanden,
Welcher trank, sobald ihm der Wein die Zunge hinabglitt.
Aber du trägst ein unbezwingliches Herz in dem Busen!
Bist du jener Odüßeus, der, viele Küsten umirrend, 330
Wann er von Ilion kehrt im schnellen Schiffe, auch hieher
Kommen soll, wie der Gott mit goldenem Stabe mir saget?
Lieber! so stecke dein Schwert in die Scheid', und laß uns zusammen
Unser Lager besteigen, damit wir, beide versöhnet
Durch die Freuden der Liebe, hinfort einander vertrauen! 335

Also sprach sie; und ich antwortete wieder, und sagte:
Kirkä, wie kannst du begehren, daß ich dir freundlich begegne?
Da du meine Gefährten im Hause zu Schweinen gemacht hast,
Und mich selber behältst, und mir arglistig befiehlest,
In die Kammer zu gehn, und auf dein Lager zu steigen; 340
Daß du mich Waffenlosen der Tugend und Stärke beraubest?
Nein! ich werde nimmer dein Lager besteigen, o Göttin,
Du willfahrest mir denn, mit hohem Schwur zu geloben,

Zehnter Geſang.
Miſchte mir dann ein Gemuͤſ' im goldenen Becher zu trinken,
Und vergiftet' es tuͤckiſch mit ihrem bezaubernden Safte.
Und ſie reichte mirs hin; ich trank es, und ohne Verwandlung.
Drauf beruͤhrte ſie mich mit der Zauberrute, und ſagte:

Gehe nun in den Kofen, und liege bei deinen Gefaͤhrten. 320
Alſo ſprach ſie; da riß ich das ſchneidende Schwert von der Huͤfte,
Sprang auf die Zauberin los, und drohte ſie gleich zu erwuͤrgen:
Aber ſie ſchrie, und eilte gebuͤckt, mir die Kniee zu faßen;
Lautwehklagend rief ſie die ſchnellgefluͤgelten Worte:

Wer, weß Volkes biſt du? und wo iſt deine Geburtſtadt? 325
Staunen ergreift mich, da dich der Zaubertrank nicht verwandelt!
Denn kein ſterblicher Menſch iſt dieſem Zauber beſtanden,
Welcher trank, ſobald ihm der Wein die Zunge hinabglitt.
Aber du traͤgſt ein unbezwingliches Herz in dem Buſen!
Biſt du jener Oduͤßeus, der, viele Kuͤſten umirrend, 330
Wann er von Ilion kehrt im ſchnellen Schiffe, auch hieher
Kommen ſoll, wie der Gott mit goldenem Stabe mir ſaget?
Lieber! ſo ſtecke dein Schwert in die Scheid', und laß uns zuſammen
Unſer Lager beſteigen, damit wir, beide verſoͤhnet
Durch die Freuden der Liebe, hinfort einander vertrauen! 335

Alſo ſprach ſie; und ich antwortete wieder, und ſagte:
Kirkaͤ, wie kannſt du begehren, daß ich dir freundlich begegne?
Da du meine Gefaͤhrten im Hauſe zu Schweinen gemacht haſt,
Und mich ſelber behaͤltſt, und mir argliſtig befiehleſt,
In die Kammer zu gehn, und auf dein Lager zu ſteigen; 340
Daß du mich Waffenloſen der Tugend und Staͤrke beraubeſt?
Nein! ich werde nimmer dein Lager beſteigen, o Goͤttin,
Du willfahreſt mir denn, mit hohem Schwur zu geloben,

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[195/0201] Zehnter Geſang. Miſchte mir dann ein Gemuͤſ' im goldenen Becher zu trinken, Und vergiftet' es tuͤckiſch mit ihrem bezaubernden Safte. Und ſie reichte mirs hin; ich trank es, und ohne Verwandlung. Drauf beruͤhrte ſie mich mit der Zauberrute, und ſagte: Gehe nun in den Kofen, und liege bei deinen Gefaͤhrten. Alſo ſprach ſie; da riß ich das ſchneidende Schwert von der Huͤfte, Sprang auf die Zauberin los, und drohte ſie gleich zu erwuͤrgen: Aber ſie ſchrie, und eilte gebuͤckt, mir die Kniee zu faßen; Lautwehklagend rief ſie die ſchnellgefluͤgelten Worte: 320 Wer, weß Volkes biſt du? und wo iſt deine Geburtſtadt? Staunen ergreift mich, da dich der Zaubertrank nicht verwandelt! Denn kein ſterblicher Menſch iſt dieſem Zauber beſtanden, Welcher trank, ſobald ihm der Wein die Zunge hinabglitt. Aber du traͤgſt ein unbezwingliches Herz in dem Buſen! Biſt du jener Oduͤßeus, der, viele Kuͤſten umirrend, Wann er von Ilion kehrt im ſchnellen Schiffe, auch hieher Kommen ſoll, wie der Gott mit goldenem Stabe mir ſaget? Lieber! ſo ſtecke dein Schwert in die Scheid', und laß uns zuſammen Unſer Lager beſteigen, damit wir, beide verſoͤhnet Durch die Freuden der Liebe, hinfort einander vertrauen! 325 330 335 Alſo ſprach ſie; und ich antwortete wieder, und ſagte: Kirkaͤ, wie kannſt du begehren, daß ich dir freundlich begegne? Da du meine Gefaͤhrten im Hauſe zu Schweinen gemacht haſt, Und mich ſelber behaͤltſt, und mir argliſtig befiehleſt, In die Kammer zu gehn, und auf dein Lager zu ſteigen; Daß du mich Waffenloſen der Tugend und Staͤrke beraubeſt? Nein! ich werde nimmer dein Lager beſteigen, o Goͤttin, Du willfahreſt mir denn, mit hohem Schwur zu geloben, 340

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/201>, abgerufen am 22.11.2024.