Warum führtest du diesen zur Stadt, du berüchtigter Sauhirt? 375 Irren nicht etwa genug Landstreicher vor unseren Thüren, Solche beschwerliche Bettler und schmieriger Brocken Verschlinger? Oder glaubst du, hier fehl' es an Gästen, welche die Güter Deines Herren verschlingen; daß du auch diesen noch herrufst?
Ihm antwortetest du, Eumaios, Hüter der Schweine: 380 Edel, Antinoos, bist du; allein du redest nicht schicklich. Denn wer gehet wohl aus, und ladet selber den Fremdling, Wo er nicht etwa im Volk durch nüzliche Künste berühmt ist, Als den erleuchteten Seher, den Arzt, den Meister des Baues, Oder den göttlichen Sänger, der uns durch Lieder erfreuet? 385 Diese laden die Menschen in allen Landen der Erde. Aber den Bettler, der nur belästiget, lüde wohl Niemand! Doch beständig warst du, vor allen Freiern, Odüßeus Knechten hart, und mir am härtesten; aber mich kümmerts Nicht: denn siehe noch lebt die kluge Pänelopeia 390 Und ihr göttlicher Sohn Tälemachos in dem Palaste!
Und der verständige Jüngling Tälemachos sagte dagegen: Väterchen, laß das sein! Was giebst du ihm vieles zur Antwort? Denn das war ja beständig Antinoos böse Gewohnheit: Hart und beleidigend redet er selbst, und verführt auch die andern! 395
Und zu Antinoos sprach er die schnell geflügelten Worte: Traun! wie ein Vater des Sohns, Antinoos, waltest du meiner, Da du befiehlst, den Fremdling mit harten Worten gewaltsam Aus dem Hause zu treiben! Das wolle Gott nicht gefallen! Nim und gieb ihm; ich sehe nicht scheel, ich heiß' es dir selber! 400 Scheue dich hierin auch nicht vor meiner Mutter, noch jemand Unter den Leuten im Hause des göttergleichen Odüßeus!
Oduͤßee.
Warum fuͤhrteſt du dieſen zur Stadt, du beruͤchtigter Sauhirt? 375 Irren nicht etwa genug Landſtreicher vor unſeren Thuͤren, Solche beſchwerliche Bettler und ſchmieriger Brocken Verſchlinger? Oder glaubſt du, hier fehl' es an Gaͤſten, welche die Guͤter Deines Herren verſchlingen; daß du auch dieſen noch herrufſt?
Ihm antworteteſt du, Eumaios, Huͤter der Schweine: 380 Edel, Antinoos, biſt du; allein du redeſt nicht ſchicklich. Denn wer gehet wohl aus, und ladet ſelber den Fremdling, Wo er nicht etwa im Volk durch nuͤzliche Kuͤnſte beruͤhmt iſt, Als den erleuchteten Seher, den Arzt, den Meiſter des Baues, Oder den goͤttlichen Saͤnger, der uns durch Lieder erfreuet? 385 Dieſe laden die Menſchen in allen Landen der Erde. Aber den Bettler, der nur belaͤſtiget, luͤde wohl Niemand! Doch beſtaͤndig warſt du, vor allen Freiern, Oduͤßeus Knechten hart, und mir am haͤrteſten; aber mich kuͤmmerts Nicht: denn ſiehe noch lebt die kluge Paͤnelopeia 390 Und ihr goͤttlicher Sohn Taͤlemachos in dem Palaſte!
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Vaͤterchen, laß das ſein! Was giebſt du ihm vieles zur Antwort? Denn das war ja beſtaͤndig Antinoos boͤſe Gewohnheit: Hart und beleidigend redet er ſelbſt, und verfuͤhrt auch die andern! 395
Und zu Antinoos ſprach er die ſchnell gefluͤgelten Worte: Traun! wie ein Vater des Sohns, Antinoos, walteſt du meiner, Da du befiehlſt, den Fremdling mit harten Worten gewaltſam Aus dem Hauſe zu treiben! Das wolle Gott nicht gefallen! Nim und gieb ihm; ich ſehe nicht ſcheel, ich heiß' es dir ſelber! 400 Scheue dich hierin auch nicht vor meiner Mutter, noch jemand Unter den Leuten im Hauſe des goͤttergleichen Oduͤßeus!
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Oduͤßee.
Warum fuͤhrteſt du dieſen zur Stadt, du beruͤchtigter Sauhirt?
Irren nicht etwa genug Landſtreicher vor unſeren Thuͤren,
Solche beſchwerliche Bettler und ſchmieriger Brocken Verſchlinger?
Oder glaubſt du, hier fehl' es an Gaͤſten, welche die Guͤter
Deines Herren verſchlingen; daß du auch dieſen noch herrufſt?
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Ihm antworteteſt du, Eumaios, Huͤter der Schweine:
Edel, Antinoos, biſt du; allein du redeſt nicht ſchicklich.
Denn wer gehet wohl aus, und ladet ſelber den Fremdling,
Wo er nicht etwa im Volk durch nuͤzliche Kuͤnſte beruͤhmt iſt,
Als den erleuchteten Seher, den Arzt, den Meiſter des Baues,
Oder den goͤttlichen Saͤnger, der uns durch Lieder erfreuet?
Dieſe laden die Menſchen in allen Landen der Erde.
Aber den Bettler, der nur belaͤſtiget, luͤde wohl Niemand!
Doch beſtaͤndig warſt du, vor allen Freiern, Oduͤßeus
Knechten hart, und mir am haͤrteſten; aber mich kuͤmmerts
Nicht: denn ſiehe noch lebt die kluge Paͤnelopeia
Und ihr goͤttlicher Sohn Taͤlemachos in dem Palaſte!
380
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Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen:
Vaͤterchen, laß das ſein! Was giebſt du ihm vieles zur Antwort?
Denn das war ja beſtaͤndig Antinoos boͤſe Gewohnheit:
Hart und beleidigend redet er ſelbſt, und verfuͤhrt auch die andern!
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Und zu Antinoos ſprach er die ſchnell gefluͤgelten Worte:
Traun! wie ein Vater des Sohns, Antinoos, walteſt du meiner,
Da du befiehlſt, den Fremdling mit harten Worten gewaltſam
Aus dem Hauſe zu treiben! Das wolle Gott nicht gefallen!
Nim und gieb ihm; ich ſehe nicht ſcheel, ich heiß' es dir ſelber!
Scheue dich hierin auch nicht vor meiner Mutter, noch jemand
Unter den Leuten im Hauſe des goͤttergleichen Oduͤßeus!
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/342>, abgerufen am 24.11.2024.
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