Also sprach sie; da ging die Schaffnerin aus dem Gemache, Brachte der Fürstin Befehl, und trieb die Mägde zu eilen. 185
Jezo ersann ein Andres die heilige Göttin Athänä: Siehe mit süßem Schlummer umgoß sie Pänelopeia. Und sie entschlief hinsinkend; die hingesunkenen Glieder Ruhten sanft auf dem Seßel. Da gab die heilige Göttin Ihr unsterbliche Gaben, damit sie die Freier entzückte: 190 Wusch ihr schönes Gesicht mit ambrosischem Oele der Schönheit, Jenem, womit Afroditä die schöngekränzte sich salbet, Wann sie zum reizenden Chore der Charitinnen dahinschwebt; Schuf sie höher an Wuchs, und jugendlicher an Bildung, Schuf sie weißer, als Elfenbein, das der Künstler geglättet. 195 Als sie dieses vollbracht, entschwebte die heilige Göttin.
Lärmend stürzten anjezo die Mägde mit Lilienarmen Aus dem Saale herein: da verließ sie der süße Schlummer; Und sie rieb mit den Händen die schönen Wangen, und sagte:
Ach ein sanfter Schlaf umhüllte mich Herzlichbetrübte! 200 Einen so sanften Tod beschere die göttliche Jungfrau Artemis mir, jezt gleich! damit ich Arme nicht länger Mich abhärme, vor Gram um meines trauten Gemahles Edles Verdienst; denn er war der Herlichste aller Achaier!
Also sprach sie, und stieg vom prächtigen Söller herunter, 205 Nicht allein; sie wurde von zwo Jungfrauen begleitet. Als das göttliche Weib die Freier jezo erreichte, Stand sie still an der Schwelle des schönen gewölbeten Saales; Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes, Und an jeglichem Arm stand eine der statlichen Jungfraun. 210 Allen erbebten die Knie', es glühten die Herzen vor Inbrunst,
Oduͤßee.
Alſo ſprach ſie; da ging die Schaffnerin aus dem Gemache, Brachte der Fuͤrſtin Befehl, und trieb die Maͤgde zu eilen. 185
Jezo erſann ein Andres die heilige Goͤttin Athaͤnaͤ: Siehe mit ſuͤßem Schlummer umgoß ſie Paͤnelopeia. Und ſie entſchlief hinſinkend; die hingeſunkenen Glieder Ruhten ſanft auf dem Seßel. Da gab die heilige Goͤttin Ihr unſterbliche Gaben, damit ſie die Freier entzuͤckte: 190 Wuſch ihr ſchoͤnes Geſicht mit ambroſiſchem Oele der Schoͤnheit, Jenem, womit Afroditaͤ die ſchoͤngekraͤnzte ſich ſalbet, Wann ſie zum reizenden Chore der Charitinnen dahinſchwebt; Schuf ſie hoͤher an Wuchs, und jugendlicher an Bildung, Schuf ſie weißer, als Elfenbein, das der Kuͤnſtler geglaͤttet. 195 Als ſie dieſes vollbracht, entſchwebte die heilige Goͤttin.
Laͤrmend ſtuͤrzten anjezo die Maͤgde mit Lilienarmen Aus dem Saale herein: da verließ ſie der ſuͤße Schlummer; Und ſie rieb mit den Haͤnden die ſchoͤnen Wangen, und ſagte:
Ach ein ſanfter Schlaf umhuͤllte mich Herzlichbetruͤbte! 200 Einen ſo ſanften Tod beſchere die goͤttliche Jungfrau Artemis mir, jezt gleich! damit ich Arme nicht laͤnger Mich abhaͤrme, vor Gram um meines trauten Gemahles Edles Verdienſt; denn er war der Herlichſte aller Achaier!
Alſo ſprach ſie, und ſtieg vom praͤchtigen Soͤller herunter, 205 Nicht allein; ſie wurde von zwo Jungfrauen begleitet. Als das goͤttliche Weib die Freier jezo erreichte, Stand ſie ſtill an der Schwelle des ſchoͤnen gewoͤlbeten Saales; Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes, Und an jeglichem Arm ſtand eine der ſtatlichen Jungfraun. 210 Allen erbebten die Knie', es gluͤhten die Herzen vor Inbrunſt,
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Oduͤßee.
Alſo ſprach ſie; da ging die Schaffnerin aus dem Gemache,
Brachte der Fuͤrſtin Befehl, und trieb die Maͤgde zu eilen.
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Jezo erſann ein Andres die heilige Goͤttin Athaͤnaͤ:
Siehe mit ſuͤßem Schlummer umgoß ſie Paͤnelopeia.
Und ſie entſchlief hinſinkend; die hingeſunkenen Glieder
Ruhten ſanft auf dem Seßel. Da gab die heilige Goͤttin
Ihr unſterbliche Gaben, damit ſie die Freier entzuͤckte:
Wuſch ihr ſchoͤnes Geſicht mit ambroſiſchem Oele der Schoͤnheit,
Jenem, womit Afroditaͤ die ſchoͤngekraͤnzte ſich ſalbet,
Wann ſie zum reizenden Chore der Charitinnen dahinſchwebt;
Schuf ſie hoͤher an Wuchs, und jugendlicher an Bildung,
Schuf ſie weißer, als Elfenbein, das der Kuͤnſtler geglaͤttet.
Als ſie dieſes vollbracht, entſchwebte die heilige Goͤttin.
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Laͤrmend ſtuͤrzten anjezo die Maͤgde mit Lilienarmen
Aus dem Saale herein: da verließ ſie der ſuͤße Schlummer;
Und ſie rieb mit den Haͤnden die ſchoͤnen Wangen, und ſagte:
Ach ein ſanfter Schlaf umhuͤllte mich Herzlichbetruͤbte!
Einen ſo ſanften Tod beſchere die goͤttliche Jungfrau
Artemis mir, jezt gleich! damit ich Arme nicht laͤnger
Mich abhaͤrme, vor Gram um meines trauten Gemahles
Edles Verdienſt; denn er war der Herlichſte aller Achaier!
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Alſo ſprach ſie, und ſtieg vom praͤchtigen Soͤller herunter,
Nicht allein; ſie wurde von zwo Jungfrauen begleitet.
Als das goͤttliche Weib die Freier jezo erreichte,
Stand ſie ſtill an der Schwelle des ſchoͤnen gewoͤlbeten Saales;
Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes,
Und an jeglichem Arm ſtand eine der ſtatlichen Jungfraun.
Allen erbebten die Knie', es gluͤhten die Herzen vor Inbrunſt,
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/358>, abgerufen am 27.11.2024.
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