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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

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auf die Seele und tiefe Bedeutung dei¬
ner Menschen, ohne daß mir dergleichen Ta¬
delsucht nur in den Sinn kommt. Viele Per¬
sonen aber scheinen von derselben, wie von
einem bösen, quälenden Geiste, so geplagt,
daß sie dadurch zu verachten und zu verhöh¬
nen angereizt werden, ehe sie ruhig betrach¬
ten können, -- und am allerwenigsten über
die Schranken der Gegenwart sich in die
Vorzeit hinüberzusetzen vermögen. Gern will
ich euch zugeben, ihr eifrigen Neulinge, daß
ein junger Schüler jetzt klüger und gelehrter
von Farben, Licht und Zusammenfügung der
Figuren reden mag, als der alte Dürer es
verstand; spricht aber sein eigener Geist aus
dem Knaben, oder nicht vielmehr die Kunst¬
weisheit und Erfahrung der vergangenen Zei¬
ten? Die eigentliche, innere Seele der Kunst
fassen nur einzelne auserwählte Geister auf
einmal
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auf die Seele und tiefe Bedeutung dei¬
ner Menſchen, ohne daß mir dergleichen Ta¬
delſucht nur in den Sinn kommt. Viele Per¬
ſonen aber ſcheinen von derſelben, wie von
einem böſen, quälenden Geiſte, ſo geplagt,
daß ſie dadurch zu verachten und zu verhöh¬
nen angereizt werden, ehe ſie ruhig betrach¬
ten können, — und am allerwenigſten über
die Schranken der Gegenwart ſich in die
Vorzeit hinüberzuſetzen vermögen. Gern will
ich euch zugeben, ihr eifrigen Neulinge, daß
ein junger Schüler jetzt klüger und gelehrter
von Farben, Licht und Zuſammenfügung der
Figuren reden mag, als der alte Dürer es
verſtand; ſpricht aber ſein eigener Geiſt aus
dem Knaben, oder nicht vielmehr die Kunſt¬
weisheit und Erfahrung der vergangenen Zei¬
ten? Die eigentliche, innere Seele der Kunſt
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[119/0127] auf die Seele und tiefe Bedeutung dei¬ ner Menſchen, ohne daß mir dergleichen Ta¬ delſucht nur in den Sinn kommt. Viele Per¬ ſonen aber ſcheinen von derſelben, wie von einem böſen, quälenden Geiſte, ſo geplagt, daß ſie dadurch zu verachten und zu verhöh¬ nen angereizt werden, ehe ſie ruhig betrach¬ ten können, — und am allerwenigſten über die Schranken der Gegenwart ſich in die Vorzeit hinüberzuſetzen vermögen. Gern will ich euch zugeben, ihr eifrigen Neulinge, daß ein junger Schüler jetzt klüger und gelehrter von Farben, Licht und Zuſammenfügung der Figuren reden mag, als der alte Dürer es verſtand; ſpricht aber ſein eigener Geiſt aus dem Knaben, oder nicht vielmehr die Kunſt¬ weisheit und Erfahrung der vergangenen Zei¬ ten? Die eigentliche, innere Seele der Kunſt faſſen nur einzelne auserwählte Geiſter auf einmal, mag auch ſchon die Führung des

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Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/127>, abgerufen am 09.05.2024.