nen jüngern Jahren die ersten Gemählde vom Raphael sowohl, als von dir, mein geliebter Dürer, in einer herrlichen Bilder¬ gallerie sah, wunderbar in den Sinn, wie unter allen andern Mahlern, die ich kannte, diese beyden eine ganz besonders nahe Ver¬ wandschaft zu meinem Herzen hätten. Bey beyden gefiel es mir so sehr, daß sie so ein¬ fach und grade, ohne die zierlichen Um¬ schweife anderer Mahler, uns die Mensch¬ heit in voller Seele, so klar und deutlich vor Augen stellen. Allein ich getraute mich damals nicht, meine Meynung jemanden zu entdecken, weil ich glaubte, daß jeder mich verlachen würde, und wohl wußte, daß die Mehresten in dem alten deutschen Mahler nichts als etwas sehr Steifes und Trockenes erkennen. Ich war indeß an dem Tage, da ich jene Bildergallerie gesehen hatte, so voll von diesem neuen Gedanken, daß ich damit
nen jüngern Jahren die erſten Gemählde vom Raphael ſowohl, als von dir, mein geliebter Dürer, in einer herrlichen Bilder¬ gallerie ſah, wunderbar in den Sinn, wie unter allen andern Mahlern, die ich kannte, dieſe beyden eine ganz beſonders nahe Ver¬ wandſchaft zu meinem Herzen hätten. Bey beyden gefiel es mir ſo ſehr, daß ſie ſo ein¬ fach und grade, ohne die zierlichen Um¬ ſchweife anderer Mahler, uns die Menſch¬ heit in voller Seele, ſo klar und deutlich vor Augen ſtellen. Allein ich getraute mich damals nicht, meine Meynung jemanden zu entdecken, weil ich glaubte, daß jeder mich verlachen würde, und wohl wußte, daß die Mehreſten in dem alten deutſchen Mahler nichts als etwas ſehr Steifes und Trockenes erkennen. Ich war indeß an dem Tage, da ich jene Bildergallerie geſehen hatte, ſo voll von dieſem neuen Gedanken, daß ich damit
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nen jüngern Jahren die erſten Gemählde
vom Raphael ſowohl, als von dir, mein
geliebter Dürer, in einer herrlichen Bilder¬
gallerie ſah, wunderbar in den Sinn, wie
unter allen andern Mahlern, die ich kannte,
dieſe beyden eine ganz beſonders nahe Ver¬
wandſchaft zu meinem Herzen hätten. Bey
beyden gefiel es mir ſo ſehr, daß ſie ſo ein¬
fach und grade, ohne die zierlichen Um¬
ſchweife anderer Mahler, uns die Menſch¬
heit in voller Seele, ſo klar und deutlich
vor Augen ſtellen. Allein ich getraute mich
damals nicht, meine Meynung jemanden zu
entdecken, weil ich glaubte, daß jeder mich
verlachen würde, und wohl wußte, daß die
Mehreſten in dem alten deutſchen Mahler
nichts als etwas ſehr Steifes und Trockenes
erkennen. Ich war indeß an dem Tage, da
ich jene Bildergallerie geſehen hatte, ſo voll
von dieſem neuen Gedanken, daß ich damit
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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/133>, abgerufen am 16.02.2025.
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