Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

eigentlich anfangs nur um meine Geliebte
dort unter der betenden Menge wieder zu
sehen, und mich an ihrer himmlischen An¬
dacht zu bessern. Der herrliche Tempel, die
wimmelnde Menge Volks, die nach und nach
hereindrang, und mich immer enger umgab, die
glänzenden Vorbereitungen, das alles stimmte
mein Gemüth zu einer wunderbaren Auf¬
merksamkeit. Mir war sehr feyerlich zu Mu¬
the, und wenn ich auch, wie es einem bey
solchem Getümmel zu gehen pflegt, nichts
deutlich und hell dachte, so wühlte es doch
auf eine so seltsame Art in meinem Innern,
als wenn auch in mir selber etwas Besonde¬
res vorgehen sollte. Auf einmal ward alles
stiller, und über uns hub die allmächtige
Musik, in langsamen, vollen, gedehnten Zü¬
gen an, als wenn ein unsichtbarer Wind
über unsern Häuptern wehte: sie wälzte sich
in immer größeren Wogen fort, wie ein

eigentlich anfangs nur um meine Geliebte
dort unter der betenden Menge wieder zu
ſehen, und mich an ihrer himmliſchen An¬
dacht zu beſſern. Der herrliche Tempel, die
wimmelnde Menge Volks, die nach und nach
hereindrang, und mich immer enger umgab, die
glänzenden Vorbereitungen, das alles ſtimmte
mein Gemüth zu einer wunderbaren Auf¬
merkſamkeit. Mir war ſehr feyerlich zu Mu¬
the, und wenn ich auch, wie es einem bey
ſolchem Getümmel zu gehen pflegt, nichts
deutlich und hell dachte, ſo wühlte es doch
auf eine ſo ſeltſame Art in meinem Innern,
als wenn auch in mir ſelber etwas Beſonde¬
res vorgehen ſollte. Auf einmal ward alles
ſtiller, und über uns hub die allmächtige
Muſik, in langſamen, vollen, gedehnten Zü¬
gen an, als wenn ein unſichtbarer Wind
über unſern Häuptern wehte: ſie wälzte ſich
in immer größeren Wogen fort, wie ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0195" n="187"/>
eigentlich anfangs nur um meine Geliebte<lb/>
dort unter der betenden Menge wieder zu<lb/>
&#x017F;ehen, und mich an ihrer himmli&#x017F;chen An¬<lb/>
dacht zu be&#x017F;&#x017F;ern. Der herrliche Tempel, die<lb/>
wimmelnde Menge Volks, die nach und nach<lb/>
hereindrang, und mich immer enger umgab, die<lb/>
glänzenden Vorbereitungen, das alles &#x017F;timmte<lb/>
mein Gemüth zu einer wunderbaren Auf¬<lb/>
merk&#x017F;amkeit. Mir war &#x017F;ehr feyerlich zu Mu¬<lb/>
the, und wenn ich auch, wie es einem bey<lb/>
&#x017F;olchem Getümmel zu gehen pflegt, nichts<lb/>
deutlich und hell dachte, &#x017F;o wühlte es doch<lb/>
auf eine &#x017F;o &#x017F;elt&#x017F;ame Art in meinem Innern,<lb/>
als wenn auch in mir &#x017F;elber etwas Be&#x017F;onde¬<lb/>
res vorgehen &#x017F;ollte. Auf einmal ward alles<lb/>
&#x017F;tiller, und über uns hub die allmächtige<lb/>
Mu&#x017F;ik, in lang&#x017F;amen, vollen, gedehnten Zü¬<lb/>
gen an, als wenn ein un&#x017F;ichtbarer Wind<lb/>
über un&#x017F;ern Häuptern wehte: &#x017F;ie wälzte &#x017F;ich<lb/>
in immer größeren Wogen fort, wie ein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0195] eigentlich anfangs nur um meine Geliebte dort unter der betenden Menge wieder zu ſehen, und mich an ihrer himmliſchen An¬ dacht zu beſſern. Der herrliche Tempel, die wimmelnde Menge Volks, die nach und nach hereindrang, und mich immer enger umgab, die glänzenden Vorbereitungen, das alles ſtimmte mein Gemüth zu einer wunderbaren Auf¬ merkſamkeit. Mir war ſehr feyerlich zu Mu¬ the, und wenn ich auch, wie es einem bey ſolchem Getümmel zu gehen pflegt, nichts deutlich und hell dachte, ſo wühlte es doch auf eine ſo ſeltſame Art in meinem Innern, als wenn auch in mir ſelber etwas Beſonde¬ res vorgehen ſollte. Auf einmal ward alles ſtiller, und über uns hub die allmächtige Muſik, in langſamen, vollen, gedehnten Zü¬ gen an, als wenn ein unſichtbarer Wind über unſern Häuptern wehte: ſie wälzte ſich in immer größeren Wogen fort, wie ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/195
Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/195>, abgerufen am 12.05.2024.