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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

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Mühe, ihn selber in den Anfangsgründen
zu unterweisen, und gab ihm Hülfsbücher
in die Hände.

Dies war eine recht quälende und pein¬
liche Lage für den armen Joseph. Er preßte
seinen Enthusiasmus heimlich in seine Brust
zurück, um seinen Vater nicht zu kränken,
und wollte sich zwingen ob er nicht neben¬
her eine nützliche Wissenschaft erlernen könnte.
Aber das war ein ewiger Kampf in seiner
Seele. Er las in seinen Lehrbüchern eine
Seite zehenmal, ohne zu fassen, was er
las; -- immer sang seine Seele innerlich ihre
melodischen Phantasieen fort. Der Vater
war sehr bekümmert um ihn.

Seine heftige Liebe zur Musik nahm in
der Stille immer mehr überhand. War in
einigen Wochen kein Ton in sein Ohr ge¬
kommen, so ward er ordentlich am Gemü¬
the krank; er merkte, daß sein Gefühl zu¬

Q 2

Mühe, ihn ſelber in den Anfangsgründen
zu unterweiſen, und gab ihm Hülfsbücher
in die Hände.

Dies war eine recht quälende und pein¬
liche Lage für den armen Joſeph. Er preßte
ſeinen Enthuſiasmus heimlich in ſeine Bruſt
zurück, um ſeinen Vater nicht zu kränken,
und wollte ſich zwingen ob er nicht neben¬
her eine nützliche Wiſſenſchaft erlernen könnte.
Aber das war ein ewiger Kampf in ſeiner
Seele. Er las in ſeinen Lehrbüchern eine
Seite zehenmal, ohne zu faſſen, was er
las; — immer ſang ſeine Seele innerlich ihre
melodiſchen Phantaſieen fort. Der Vater
war ſehr bekümmert um ihn.

Seine heftige Liebe zur Muſik nahm in
der Stille immer mehr überhand. War in
einigen Wochen kein Ton in ſein Ohr ge¬
kommen, ſo ward er ordentlich am Gemü¬
the krank; er merkte, daß ſein Gefühl zu¬

Q 2
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[243/0251] Mühe, ihn ſelber in den Anfangsgründen zu unterweiſen, und gab ihm Hülfsbücher in die Hände. Dies war eine recht quälende und pein¬ liche Lage für den armen Joſeph. Er preßte ſeinen Enthuſiasmus heimlich in ſeine Bruſt zurück, um ſeinen Vater nicht zu kränken, und wollte ſich zwingen ob er nicht neben¬ her eine nützliche Wiſſenſchaft erlernen könnte. Aber das war ein ewiger Kampf in ſeiner Seele. Er las in ſeinen Lehrbüchern eine Seite zehenmal, ohne zu faſſen, was er las; — immer ſang ſeine Seele innerlich ihre melodiſchen Phantaſieen fort. Der Vater war ſehr bekümmert um ihn. Seine heftige Liebe zur Muſik nahm in der Stille immer mehr überhand. War in einigen Wochen kein Ton in ſein Ohr ge¬ kommen, ſo ward er ordentlich am Gemü¬ the krank; er merkte, daß ſein Gefühl zu¬ Q 2

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Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/251>, abgerufen am 13.05.2024.