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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

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noch unvollendet, an der Wand gehangen,
von dem mildesten Lichtstrahle, und ein ganz
vollkommenes und wirklich lebendiges Bild
geworden sey. Die Göttlichkeit in diesem
Bilde habe ihn so überwältigt, daß er in
helle Thränen ausgebrochen sey. Es habe
ihn mit den Augen auf eine unbeschreiblich
rührende Weise angesehen, und habe in je¬
dem Augenblick geschienen, als wolle es sich
bewegen; und es habe ihn gedünkt, als be¬
wege es sich auch wirklich. Was das wun¬
derbarste gewesen, so sey es ihm vorgekom¬
men, als wäre dies Bild nun grade das,
was er immer gesucht, obwohl er immer nur
eine dunkle und verwirrte Ahndung davon
gehabt. Wie er wieder eingeschlafen sey,
wisse er sich durchaus nicht zu erinnern. Am
andern Morgen sey er wie neugebohren auf¬
gestanden; die Erscheinung sey seinem Ge¬
müth und seinen Sinnen auf ewig fest ein¬

noch unvollendet, an der Wand gehangen,
von dem mildeſten Lichtſtrahle, und ein ganz
vollkommenes und wirklich lebendiges Bild
geworden ſey. Die Göttlichkeit in dieſem
Bilde habe ihn ſo überwältigt, daß er in
helle Thränen ausgebrochen ſey. Es habe
ihn mit den Augen auf eine unbeſchreiblich
rührende Weiſe angeſehen, und habe in je¬
dem Augenblick geſchienen, als wolle es ſich
bewegen; und es habe ihn gedünkt, als be¬
wege es ſich auch wirklich. Was das wun¬
derbarſte geweſen, ſo ſey es ihm vorgekom¬
men, als wäre dies Bild nun grade das,
was er immer geſucht, obwohl er immer nur
eine dunkle und verwirrte Ahndung davon
gehabt. Wie er wieder eingeſchlafen ſey,
wiſſe er ſich durchaus nicht zu erinnern. Am
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[20/0028] noch unvollendet, an der Wand gehangen, von dem mildeſten Lichtſtrahle, und ein ganz vollkommenes und wirklich lebendiges Bild geworden ſey. Die Göttlichkeit in dieſem Bilde habe ihn ſo überwältigt, daß er in helle Thränen ausgebrochen ſey. Es habe ihn mit den Augen auf eine unbeſchreiblich rührende Weiſe angeſehen, und habe in je¬ dem Augenblick geſchienen, als wolle es ſich bewegen; und es habe ihn gedünkt, als be¬ wege es ſich auch wirklich. Was das wun¬ derbarſte geweſen, ſo ſey es ihm vorgekom¬ men, als wäre dies Bild nun grade das, was er immer geſucht, obwohl er immer nur eine dunkle und verwirrte Ahndung davon gehabt. Wie er wieder eingeſchlafen ſey, wiſſe er ſich durchaus nicht zu erinnern. Am andern Morgen ſey er wie neugebohren auf¬ geſtanden; die Erſcheinung ſey ſeinem Ge¬ müth und ſeinen Sinnen auf ewig feſt ein¬

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Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/28>, abgerufen am 28.04.2024.