habene Antlitz Jesu, recht vollkommen aus¬ drücken solle; worauf der Prior des Klosters einen einleuchtenden Beweis seines Unver¬ standes gegeben, indem er ihn, wie einen Tagelöhner, über sein Zögern zur Rede ge¬ stellt habe.
Noch eines Gemähldes des Leonardo muß ich, eines merkwürdigen Umstandes halber, gedenken. Ich meyne das Bildniß der Lisa del Giocondo, (der Gemahlinn des Fran¬ cesco,) an welchem er vier Jahre arbeitete, ohne durch die sorgfältigste und feinste Aus¬ arbeitung jedes Härchens, den Geist und das Leben des Ganzen zu ersticken. So oft nun die edle Frau ihm zum Mahlen saß, rief er allemal einige Personen herzu, die sie durch eine angenehme und muntre Musik auf Instrumenten, mit der menschlichen Stim¬ me begleitet, aufheitern mußten. Ein sehr sinnreicher Einfall, wegen dessen ich den
habene Antlitz Jeſu, recht vollkommen aus¬ drücken ſolle; worauf der Prior des Kloſters einen einleuchtenden Beweis ſeines Unver¬ ſtandes gegeben, indem er ihn, wie einen Tagelöhner, über ſein Zögern zur Rede ge¬ ſtellt habe.
Noch eines Gemähldes des Leonardo muß ich, eines merkwürdigen Umſtandes halber, gedenken. Ich meyne das Bildniß der Liſa del Giocondo, (der Gemahlinn des Fran¬ ceſco,) an welchem er vier Jahre arbeitete, ohne durch die ſorgfältigſte und feinſte Aus¬ arbeitung jedes Härchens, den Geiſt und das Leben des Ganzen zu erſticken. So oft nun die edle Frau ihm zum Mahlen ſaß, rief er allemal einige Perſonen herzu, die ſie durch eine angenehme und muntre Muſik auf Inſtrumenten, mit der menſchlichen Stim¬ me begleitet, aufheitern mußten. Ein ſehr ſinnreicher Einfall, wegen deſſen ich den
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0090"n="82"/>
habene Antlitz Jeſu, recht vollkommen aus¬<lb/>
drücken ſolle; worauf der Prior des Kloſters<lb/>
einen einleuchtenden Beweis ſeines Unver¬<lb/>ſtandes gegeben, indem er ihn, wie einen<lb/>
Tagelöhner, über ſein Zögern zur Rede ge¬<lb/>ſtellt habe.</p><lb/><p>Noch eines Gemähldes des Leonardo muß<lb/>
ich, eines merkwürdigen Umſtandes halber,<lb/>
gedenken. Ich meyne das Bildniß der Liſa<lb/>
del Giocondo, (der Gemahlinn des Fran¬<lb/>
ceſco,) an welchem er vier Jahre arbeitete,<lb/>
ohne durch die ſorgfältigſte und feinſte Aus¬<lb/>
arbeitung jedes Härchens, den Geiſt und<lb/>
das Leben des Ganzen zu erſticken. So oft<lb/>
nun die edle Frau ihm zum Mahlen ſaß,<lb/>
rief er allemal einige Perſonen herzu, die ſie<lb/>
durch eine angenehme und muntre Muſik<lb/>
auf Inſtrumenten, mit der menſchlichen Stim¬<lb/>
me begleitet, aufheitern mußten. Ein ſehr<lb/>ſinnreicher Einfall, wegen deſſen ich den<lb/></p></div></body></text></TEI>
[82/0090]
habene Antlitz Jeſu, recht vollkommen aus¬
drücken ſolle; worauf der Prior des Kloſters
einen einleuchtenden Beweis ſeines Unver¬
ſtandes gegeben, indem er ihn, wie einen
Tagelöhner, über ſein Zögern zur Rede ge¬
ſtellt habe.
Noch eines Gemähldes des Leonardo muß
ich, eines merkwürdigen Umſtandes halber,
gedenken. Ich meyne das Bildniß der Liſa
del Giocondo, (der Gemahlinn des Fran¬
ceſco,) an welchem er vier Jahre arbeitete,
ohne durch die ſorgfältigſte und feinſte Aus¬
arbeitung jedes Härchens, den Geiſt und
das Leben des Ganzen zu erſticken. So oft
nun die edle Frau ihm zum Mahlen ſaß,
rief er allemal einige Perſonen herzu, die ſie
durch eine angenehme und muntre Muſik
auf Inſtrumenten, mit der menſchlichen Stim¬
me begleitet, aufheitern mußten. Ein ſehr
ſinnreicher Einfall, wegen deſſen ich den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/90>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.