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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

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Leonardo immer bewundert habe. Er wußte
nur zu wohl, daß bey Personen, welche zum
Mahlen sitzen, sich gewöhnlich eine trockene
und leere Ernsthaftigkeit auf ihrem Gesichte
einzufinden pflegt, und daß eine solche Mie¬
ne, wenn sie im Gemählde in bleibenden
Zügen festgehalten wird, ein ungefälliges oder
wohl gar finsteres Ansehen gewinnt. Dage¬
gen kannte er die Wirkung einer fröhlichen
Musik, wie sie sich in den Mienen des Ge¬
sichts abspiegelt, wie sie alle Züge auflöst,
und in ein liebliches, reges Spiel setzt. So
trug er die sprechenden Reize des Antlitzes
lebendig auf die Tafel über, und wußte
bey Ausübung der einen Kunst sich der an¬
dern so glücklich als Gehülfinn zu bedienen,
daß diese auf jene ihren Wiederschein warf.

Wie viele geschickte Mahler aus des Leo¬
nardo Schule ausgegangen, und wie ange¬
sehen und allgemein verehrt er in seinem Le¬

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Leonardo immer bewundert habe. Er wußte
nur zu wohl, daß bey Perſonen, welche zum
Mahlen ſitzen, ſich gewöhnlich eine trockene
und leere Ernſthaftigkeit auf ihrem Geſichte
einzufinden pflegt, und daß eine ſolche Mie¬
ne, wenn ſie im Gemählde in bleibenden
Zügen feſtgehalten wird, ein ungefälliges oder
wohl gar finſteres Anſehen gewinnt. Dage¬
gen kannte er die Wirkung einer fröhlichen
Muſik, wie ſie ſich in den Mienen des Ge¬
ſichts abſpiegelt, wie ſie alle Züge auflöſt,
und in ein liebliches, reges Spiel ſetzt. So
trug er die ſprechenden Reize des Antlitzes
lebendig auf die Tafel über, und wußte
bey Ausübung der einen Kunſt ſich der an¬
dern ſo glücklich als Gehülfinn zu bedienen,
daß dieſe auf jene ihren Wiederſchein warf.

Wie viele geſchickte Mahler aus des Leo¬
nardo Schule ausgegangen, und wie ange¬
ſehen und allgemein verehrt er in ſeinem Le¬

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[83/0091] Leonardo immer bewundert habe. Er wußte nur zu wohl, daß bey Perſonen, welche zum Mahlen ſitzen, ſich gewöhnlich eine trockene und leere Ernſthaftigkeit auf ihrem Geſichte einzufinden pflegt, und daß eine ſolche Mie¬ ne, wenn ſie im Gemählde in bleibenden Zügen feſtgehalten wird, ein ungefälliges oder wohl gar finſteres Anſehen gewinnt. Dage¬ gen kannte er die Wirkung einer fröhlichen Muſik, wie ſie ſich in den Mienen des Ge¬ ſichts abſpiegelt, wie ſie alle Züge auflöſt, und in ein liebliches, reges Spiel ſetzt. So trug er die ſprechenden Reize des Antlitzes lebendig auf die Tafel über, und wußte bey Ausübung der einen Kunſt ſich der an¬ dern ſo glücklich als Gehülfinn zu bedienen, daß dieſe auf jene ihren Wiederſchein warf. Wie viele geſchickte Mahler aus des Leo¬ nardo Schule ausgegangen, und wie ange¬ ſehen und allgemein verehrt er in ſeinem Le¬ F 2

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Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/91>, abgerufen am 11.05.2024.