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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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schwer, ein solches Gemisch von Widerwärtigkeiten ästhetisch zu pwa_086.002
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Endlich muss, da der Epiker die Formen seiner Anschauungen pwa_086.004
aus der geschichtlichen Wirklichkeit entnimmt, diese Wirklichkeit auch pwa_086.005
für den Leser eine solche sein, damit die Reproduction möglich werde: pwa_086.006
was er erzählen hört, muss er fassen und muss er glauben können. pwa_086.007
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wird es darum nicht zu sein brauchen, und da das Epos immer aus pwa_086.009
der altüberlieferten Sage schöpft, auch nicht sein können: aber noch pwa_086.010
weniger darf sie ihm so fern liegen, dass er sich fremd fühlt unter pwa_086.011
diesen Personen, unter diesen ihren Thaten und Gesinnungen. Freilich pwa_086.012
gehörte der ganze Zustand der Civilisation, auf welchem die Ilias pwa_086.013
und die Odyssee beruhen, für die Griechen in eine weit entlegene pwa_086.014
Vorzeit: sie fühlten sich aber darum diesen ihren Voreltern noch nicht pwa_086.015
entfremdet: auch sie waren, wenn schon nicht solche Helden, immer pwa_086.016
noch heldenmüthig und hatten ungefähr noch die gleiche Art der pwa_086.017
Kriegsführung und der öffentlichen Volksbelustigungen, wie die Achäer pwa_086.018
der Iliade und die Phäaken der Odyssee. Sie glaubten auch eben so pwa_086.019
willig, was von Ares und der Pallas erzählt wurde, als was erzählt ward pwa_086.020
von Agamemnon und Menelaus; wunderbar und unglaublich war für pwa_086.021
sie noch nicht eins: ihr ganzes, immer noch lebendes Heidenthum pwa_086.022
beruhte ja auf jenen Mythen. Nicht anders im Mittelalter. Man war pwa_086.023
sich keines Unterschiedes bewusst zwischen Geschichte und Sage: kaum pwa_086.024
die Gelehrten ahnten ihn; Ueberreste der Mythologie mischten sich in pwa_086.025
das Epos so viel ein, als man noch glaubte; die Helden der Rittergedichte pwa_086.026
waren Ideale, aber Ideale, die man nicht brauchte für unerreichbar pwa_086.027
zu halten. Und so fand überall, wo das Epos noch auf sich pwa_086.028
selbst bestand, der Epiker bei seinen Lesern alle Fähigkeit und pwa_086.029
Bereitwilligkeit vor, die ihnen dargestellten Anschauungen zu reproducieren.

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Die wahrgenommenen Gesetze sind zu verschiedenen Zeiten und pwa_086.032
bei verschiedenen Völkern von Dichtern beobachtet worden, die sich pwa_086.033
gleichwohl all dieser Gesetze nicht bewusst waren: es machte sich pwa_086.034
von selber so ohne Absicht, ohne willkürliches Zuthun der Dichter. pwa_086.035
Diess giebt uns das volle Recht, sie als organische Gesetze zu betrachten, pwa_086.036
als solche, die wesentlich und unabänderlich zur Natur des Epos pwa_086.037
gehören, als Gesetze, nicht als blosse Regeln; giebt uns also auch pwa_086.038
das Recht, die Epopöien der neueren Zeit mit ihnen zu messen: pwa_086.039
denn diese liegen ausserhalb solcher historischen Entwicklung, auf pwa_086.040
deren Grunde sich Gesetze bilden können; und was noch mehr ist, pwa_086.041
all die einzelnen neueren Epiker haben jene älteren bewusster Massen

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Endlich muss, da der Epiker die Formen seiner Anschauungen pwa_086.004
aus der geschichtlichen Wirklichkeit entnimmt, diese Wirklichkeit auch pwa_086.005
für den Leser eine solche sein, damit die Reproduction möglich werde: pwa_086.006
was er erzählen hört, muss er fassen und muss er glauben können. pwa_086.007
Eine ihm ganz nahe und alltäglich vor Augen liegende Wirklichkeit pwa_086.008
wird es darum nicht zu sein brauchen, und da das Epos immer aus pwa_086.009
der altüberlieferten Sage schöpft, auch nicht sein können: aber noch pwa_086.010
weniger darf sie ihm so fern liegen, dass er sich fremd fühlt unter pwa_086.011
diesen Personen, unter diesen ihren Thaten und Gesinnungen. Freilich pwa_086.012
gehörte der ganze Zustand der Civilisation, auf welchem die Ilias pwa_086.013
und die Odyssee beruhen, für die Griechen in eine weit entlegene pwa_086.014
Vorzeit: sie fühlten sich aber darum diesen ihren Voreltern noch nicht pwa_086.015
entfremdet: auch sie waren, wenn schon nicht solche Helden, immer pwa_086.016
noch heldenmüthig und hatten ungefähr noch die gleiche Art der pwa_086.017
Kriegsführung und der öffentlichen Volksbelustigungen, wie die Achäer pwa_086.018
der Iliade und die Phäaken der Odyssee. Sie glaubten auch eben so pwa_086.019
willig, was von Ares und der Pallas erzählt wurde, als was erzählt ward pwa_086.020
von Agamemnon und Menelaus; wunderbar und unglaublich war für pwa_086.021
sie noch nicht eins: ihr ganzes, immer noch lebendes Heidenthum pwa_086.022
beruhte ja auf jenen Mythen. Nicht anders im Mittelalter. Man war pwa_086.023
sich keines Unterschiedes bewusst zwischen Geschichte und Sage: kaum pwa_086.024
die Gelehrten ahnten ihn; Ueberreste der Mythologie mischten sich in pwa_086.025
das Epos so viel ein, als man noch glaubte; die Helden der Rittergedichte pwa_086.026
waren Ideale, aber Ideale, die man nicht brauchte für unerreichbar pwa_086.027
zu halten. Und so fand überall, wo das Epos noch auf sich pwa_086.028
selbst bestand, der Epiker bei seinen Lesern alle Fähigkeit und pwa_086.029
Bereitwilligkeit vor, die ihnen dargestellten Anschauungen zu reproducieren.

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Die wahrgenommenen Gesetze sind zu verschiedenen Zeiten und pwa_086.032
bei verschiedenen Völkern von Dichtern beobachtet worden, die sich pwa_086.033
gleichwohl all dieser Gesetze nicht bewusst waren: es machte sich pwa_086.034
von selber so ohne Absicht, ohne willkürliches Zuthun der Dichter. pwa_086.035
Diess giebt uns das volle Recht, sie als organische Gesetze zu betrachten, pwa_086.036
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/104>, abgerufen am 21.11.2024.