Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_114.001 1 pwa_114.037 Vgl. LB. 14, 639. 831 (15, 819. 1011); Thomasin Welsch. G. 9, 6; J. Grimm, pwa_114.038 Reinhart Fuchs S. 392 fg. 2 pwa_114.039 Z. B. LB. 14, 619. 633. 953 fgg. (15, 799. 813. 1133 fgg.). 3 pwa_114.040
Vgl. LB. 2, 229; Grimm, K. und H. Märch. No. 60. pwa_114.001 1 pwa_114.037 Vgl. LB. 14, 639. 831 (15, 819. 1011); Thomasin Welsch. G. 9, 6; J. Grimm, pwa_114.038 Reinhart Fuchs S. 392 fg. 2 pwa_114.039 Z. B. LB. 14, 619. 633. 953 fgg. (15, 799. 813. 1133 fgg.). 3 pwa_114.040
Vgl. LB. 2, 229; Grimm, K. und H. Märch. No. 60. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0132" n="114"/><lb n="pwa_114.001"/> noch als zweiter didactischer Theil eine Moral, wie sie jene nicht <lb n="pwa_114.002"/> beschloss. Häufig waren es auch wirklich einheimische Thiersagen, <lb n="pwa_114.003"/> die man so in der neugelernten Weise behandelte und verderbte<note xml:id="pwa_114_1" place="foot" n="1"><lb n="pwa_114.037"/> Vgl. LB. 1<hi rendition="#sup">4</hi>, 639. 831 (1<hi rendition="#sup">5</hi>, 819. 1011); Thomasin Welsch. G. 9, 6; J. Grimm, <lb n="pwa_114.038"/> Reinhart Fuchs S. 392 fg.</note>. <lb n="pwa_114.004"/> Diess Nationalisieren der äsopischen Fabel und das Aesopisieren der <lb n="pwa_114.005"/> nationalen Sage gedieh bald so weit, dass man sogar durchaus unfabelmässige <lb n="pwa_114.006"/> Stoffe, alte Märchen und neue Schwänke so behandelte, als <lb n="pwa_114.007"/> wären sie didactische Fabeln oder Parabeln, d. h. dass man solchen <lb n="pwa_114.008"/> sogar ein moralisches Epimythium nachlaufen liess, hätte mans auch <lb n="pwa_114.009"/> mit Gewalt herbeiziehn müssen. Für all dergleichen didactisch gemeinte <lb n="pwa_114.010"/> Fabeln und Erzählungen besass unser Mittelalter die gemeinsame <lb n="pwa_114.011"/> Benennung <hi rendition="#i">bîspel</hi><note xml:id="pwa_114_2" place="foot" n="2"><lb n="pwa_114.039"/> Z. B. LB. 1<hi rendition="#sup">4</hi>, 619. 633. 953 fgg. (1<hi rendition="#sup">5</hi>, 799. 813. 1133 fgg.).</note> (von <hi rendition="#i">spel</hi> s. v. a. Erzählung), d. i. eine ersonnene <lb n="pwa_114.012"/> Geschichte, bei der noch etwas zu verstehn ist; wir haben daraus mit <lb n="pwa_114.013"/> Veränderung der Laute und des Sinnes <hi rendition="#i">Beispiel</hi> gemacht. Mit Ausgang <lb n="pwa_114.014"/> endlich des Mittelalters hatte auch in diesem Gebiete der Litteratur <lb n="pwa_114.015"/> das Ausländische, das aus der Fremde und dem Alterthum Entlehnte, <lb n="pwa_114.016"/> den Sieg davon getragen über das Einheimische, von den <lb n="pwa_114.017"/> Vätern Ererbte; wenn schon nur einen halben Sieg. Die epische <lb n="pwa_114.018"/> Thiersage gieng unter: sie konnte sich gegenüber der didactischen <lb n="pwa_114.019"/> Thierfabel nicht mehr halten; wenigstens aus der Poesie der Gebildeten <lb n="pwa_114.020"/> verschwand sie: bei dem Volke, bei den Kindern aus dem <lb n="pwa_114.021"/> Volke erhielt sie sich noch länger in Liedern, in prosaisch erzählten <lb n="pwa_114.022"/> Märchen<note xml:id="pwa_114_3" place="foot" n="3"><lb n="pwa_114.040"/> Vgl. LB. 2, 229; Grimm, K. und H. Märch. No. 60.</note>. Aber es blieb die epische Breite der didactischen Fabel, <lb n="pwa_114.023"/> die thatsächliche Belebtheit der Anschauung, die kaum mehr nach <lb n="pwa_114.024"/> dem Epimythium fragen lässt. In dieser zugleich nationalen und fremden, <lb n="pwa_114.025"/> epischen und didactischen Weise ward denn in der zweiten <lb n="pwa_114.026"/> Hälfte des 14. Jahrhunderts der Reinaert und darnach gegen Ende <lb n="pwa_114.027"/> des fünfzehnten Jahrhunderts auch das alte Epos vom Fuchs Reinhart <lb n="pwa_114.028"/> noch einmal auf dem Grunde jenes niederländischen bearbeitet; in <lb n="pwa_114.029"/> niederdeutscher Sprache unter dem Titel Reinke de Vos, später von <lb n="pwa_114.030"/> Göthe ins Hochdeutsche übertragen. Der mittelhochdeutsche Reinhard <lb n="pwa_114.031"/> war nur eine Epopöie gewesen: auch im Reinaert und im Reinke <lb n="pwa_114.032"/> zeigt sich noch derselbe abgerundete Verlauf von Ereignissen, aber <lb n="pwa_114.033"/> jetzo wesentlich nur als Träger der Lehre, und zwar einer satirisch <lb n="pwa_114.034"/> gewendeten, mit Spott und Ironie gefärbten. Dieser Versuch, eine <lb n="pwa_114.035"/> ganze Epopöie didactisch auszuführen, wiederholte sich zu Ende <lb n="pwa_114.036"/> des sechzehnten Jahrhunderts in George Rollenhagens Froschmäuseler </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [114/0132]
pwa_114.001
noch als zweiter didactischer Theil eine Moral, wie sie jene nicht pwa_114.002
beschloss. Häufig waren es auch wirklich einheimische Thiersagen, pwa_114.003
die man so in der neugelernten Weise behandelte und verderbte 1. pwa_114.004
Diess Nationalisieren der äsopischen Fabel und das Aesopisieren der pwa_114.005
nationalen Sage gedieh bald so weit, dass man sogar durchaus unfabelmässige pwa_114.006
Stoffe, alte Märchen und neue Schwänke so behandelte, als pwa_114.007
wären sie didactische Fabeln oder Parabeln, d. h. dass man solchen pwa_114.008
sogar ein moralisches Epimythium nachlaufen liess, hätte mans auch pwa_114.009
mit Gewalt herbeiziehn müssen. Für all dergleichen didactisch gemeinte pwa_114.010
Fabeln und Erzählungen besass unser Mittelalter die gemeinsame pwa_114.011
Benennung bîspel 2 (von spel s. v. a. Erzählung), d. i. eine ersonnene pwa_114.012
Geschichte, bei der noch etwas zu verstehn ist; wir haben daraus mit pwa_114.013
Veränderung der Laute und des Sinnes Beispiel gemacht. Mit Ausgang pwa_114.014
endlich des Mittelalters hatte auch in diesem Gebiete der Litteratur pwa_114.015
das Ausländische, das aus der Fremde und dem Alterthum Entlehnte, pwa_114.016
den Sieg davon getragen über das Einheimische, von den pwa_114.017
Vätern Ererbte; wenn schon nur einen halben Sieg. Die epische pwa_114.018
Thiersage gieng unter: sie konnte sich gegenüber der didactischen pwa_114.019
Thierfabel nicht mehr halten; wenigstens aus der Poesie der Gebildeten pwa_114.020
verschwand sie: bei dem Volke, bei den Kindern aus dem pwa_114.021
Volke erhielt sie sich noch länger in Liedern, in prosaisch erzählten pwa_114.022
Märchen 3. Aber es blieb die epische Breite der didactischen Fabel, pwa_114.023
die thatsächliche Belebtheit der Anschauung, die kaum mehr nach pwa_114.024
dem Epimythium fragen lässt. In dieser zugleich nationalen und fremden, pwa_114.025
epischen und didactischen Weise ward denn in der zweiten pwa_114.026
Hälfte des 14. Jahrhunderts der Reinaert und darnach gegen Ende pwa_114.027
des fünfzehnten Jahrhunderts auch das alte Epos vom Fuchs Reinhart pwa_114.028
noch einmal auf dem Grunde jenes niederländischen bearbeitet; in pwa_114.029
niederdeutscher Sprache unter dem Titel Reinke de Vos, später von pwa_114.030
Göthe ins Hochdeutsche übertragen. Der mittelhochdeutsche Reinhard pwa_114.031
war nur eine Epopöie gewesen: auch im Reinaert und im Reinke pwa_114.032
zeigt sich noch derselbe abgerundete Verlauf von Ereignissen, aber pwa_114.033
jetzo wesentlich nur als Träger der Lehre, und zwar einer satirisch pwa_114.034
gewendeten, mit Spott und Ironie gefärbten. Dieser Versuch, eine pwa_114.035
ganze Epopöie didactisch auszuführen, wiederholte sich zu Ende pwa_114.036
des sechzehnten Jahrhunderts in George Rollenhagens Froschmäuseler
1 pwa_114.037
Vgl. LB. 14, 639. 831 (15, 819. 1011); Thomasin Welsch. G. 9, 6; J. Grimm, pwa_114.038
Reinhart Fuchs S. 392 fg.
2 pwa_114.039
Z. B. LB. 14, 619. 633. 953 fgg. (15, 799. 813. 1133 fgg.).
3 pwa_114.040
Vgl. LB. 2, 229; Grimm, K. und H. Märch. No. 60.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |