Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_115.001 1 pwa_115.040
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Litt. Gesch. S. 417. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0133" n="115"/><lb n="pwa_115.001"/> (LB. 2, 191), einem auf der Batrachomyomachie beruhenden Gedichte, <lb n="pwa_115.002"/> das schön ist in Einzelheiten und ansprechend durch behagliche epische <lb n="pwa_115.003"/> Breite, aber im Ganzen verfehlt, da sich die beiden Elemente nicht <lb n="pwa_115.004"/> gehörig durchdringen und überhaupt die Composition wenig in sich <lb n="pwa_115.005"/> selber abgeschlossen ist<note xml:id="pwa_115_1" place="foot" n="1"><lb n="pwa_115.040"/> Litt. Gesch. S. 417.</note>. Sonst aber begnügte man sich von jetzt <lb n="pwa_115.006"/> an mit einfachen, auf Ein Ereigniss, Eine Situation eingeschränkten <lb n="pwa_115.007"/> Fabeln, jedoch immer noch ohne die äsopische Kürze und immer in <lb n="pwa_115.008"/> Versen; bis endlich Lessing auch dagegen versuchte reformatorisch <lb n="pwa_115.009"/> aufzutreten. Lessing stiess sich an der Geschwätzigkeit, in welche <lb n="pwa_115.010"/> allerdings die Erzählungslust der deutschen Fabeldichter, wie sie noch <lb n="pwa_115.011"/> Gellert (LB. 2, 661) und Lichtwer (LB. 2, 703) eigenthümlich ist, nur <lb n="pwa_115.012"/> zu gern und zu gewöhnlich ausartete; an dem Missverhältniss, welches <lb n="pwa_115.013"/> meistentheils stattfand zwischen der breiten epischen Grundlage <lb n="pwa_115.014"/> und der winzigen Lehre, welche hinterdrein folgte. Er unterwarf vom <lb n="pwa_115.015"/> historischen Standpunkt aus das Wesen der Fabel einer gründlichen <lb n="pwa_115.016"/> Untersuchung, führte dieselbe aber nicht zu Ende, konnte sie auch <lb n="pwa_115.017"/> nicht wohl zu Ende führen, weil der historische Standpunct damals <lb n="pwa_115.018"/> noch nicht gehörig befestigt und von der alten Thiersage, der Mutter <lb n="pwa_115.019"/> der Thierfabel, so gut als nichts bekannt war. So gelangte er nicht <lb n="pwa_115.020"/> über die lehrhafte Fabel hinaus, und da erschien ihm denn die äsopische <lb n="pwa_115.021"/> Art und Weise als das einzig gültige Muster: natürlich bei der <lb n="pwa_115.022"/> Beschränktheit seines historischen Materials und bei der eigenthümlichen <lb n="pwa_115.023"/> Richtung seines Geistes, die überall mehr auf Witz und Kürze <lb n="pwa_115.024"/> und Schärfe gieng als auf episch erwärmtes Leben und phantasiereiche <lb n="pwa_115.025"/> Mannigfaltigkeit. Nur in Einem Stücke musste eben diese Lust <lb n="pwa_115.026"/> an witziger Kürze ihm die äsopische Fabel mangelhaft erscheinen <lb n="pwa_115.027"/> lassen: in Rücksicht des Epimythiums: dessen störende Ueberflüssigkeit <lb n="pwa_115.028"/> erkannte er wohl. Ein Ergebniss dieser seiner historisch-theoretischen <lb n="pwa_115.029"/> Untersuchungen war eine Sammlung eigener Fabeln, die er <lb n="pwa_115.030"/> 1759 herausgab: epische, meistentheils aus der Thierwelt entnommene <lb n="pwa_115.031"/> Situationen als Mittel, irgend einen moralischen Satz zur Anschauung <lb n="pwa_115.032"/> zu bringen; in möglichster Kürze und in Prosa; ohne Epimythium. <lb n="pwa_115.033"/> Einen epischen Verlauf zeigt nur die Geschichte des alten Wolfs <lb n="pwa_115.034"/> (Buch 3, 16–22; LB. 3, 2, 189). Lessings Fabeln bilden in der <lb n="pwa_115.035"/> Geschichte dieser Dichtungsart eine Epoche: seitdem haben in Deutschland <lb n="pwa_115.036"/> auch die, welche bei der metrischen Form blieben, wenigstens <lb n="pwa_115.037"/> die moralische Nutzanwendung in der Regel dem Leser selbst überlassen; <lb n="pwa_115.038"/> andre sind Lessing auch im Gebrauch der Prosa gefolgt. Erst <lb n="pwa_115.039"/> Abraham Emanuel Fröhlich (1825) ist es gelungen, was an der Lessingischen </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [115/0133]
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(LB. 2, 191), einem auf der Batrachomyomachie beruhenden Gedichte, pwa_115.002
das schön ist in Einzelheiten und ansprechend durch behagliche epische pwa_115.003
Breite, aber im Ganzen verfehlt, da sich die beiden Elemente nicht pwa_115.004
gehörig durchdringen und überhaupt die Composition wenig in sich pwa_115.005
selber abgeschlossen ist 1. Sonst aber begnügte man sich von jetzt pwa_115.006
an mit einfachen, auf Ein Ereigniss, Eine Situation eingeschränkten pwa_115.007
Fabeln, jedoch immer noch ohne die äsopische Kürze und immer in pwa_115.008
Versen; bis endlich Lessing auch dagegen versuchte reformatorisch pwa_115.009
aufzutreten. Lessing stiess sich an der Geschwätzigkeit, in welche pwa_115.010
allerdings die Erzählungslust der deutschen Fabeldichter, wie sie noch pwa_115.011
Gellert (LB. 2, 661) und Lichtwer (LB. 2, 703) eigenthümlich ist, nur pwa_115.012
zu gern und zu gewöhnlich ausartete; an dem Missverhältniss, welches pwa_115.013
meistentheils stattfand zwischen der breiten epischen Grundlage pwa_115.014
und der winzigen Lehre, welche hinterdrein folgte. Er unterwarf vom pwa_115.015
historischen Standpunkt aus das Wesen der Fabel einer gründlichen pwa_115.016
Untersuchung, führte dieselbe aber nicht zu Ende, konnte sie auch pwa_115.017
nicht wohl zu Ende führen, weil der historische Standpunct damals pwa_115.018
noch nicht gehörig befestigt und von der alten Thiersage, der Mutter pwa_115.019
der Thierfabel, so gut als nichts bekannt war. So gelangte er nicht pwa_115.020
über die lehrhafte Fabel hinaus, und da erschien ihm denn die äsopische pwa_115.021
Art und Weise als das einzig gültige Muster: natürlich bei der pwa_115.022
Beschränktheit seines historischen Materials und bei der eigenthümlichen pwa_115.023
Richtung seines Geistes, die überall mehr auf Witz und Kürze pwa_115.024
und Schärfe gieng als auf episch erwärmtes Leben und phantasiereiche pwa_115.025
Mannigfaltigkeit. Nur in Einem Stücke musste eben diese Lust pwa_115.026
an witziger Kürze ihm die äsopische Fabel mangelhaft erscheinen pwa_115.027
lassen: in Rücksicht des Epimythiums: dessen störende Ueberflüssigkeit pwa_115.028
erkannte er wohl. Ein Ergebniss dieser seiner historisch-theoretischen pwa_115.029
Untersuchungen war eine Sammlung eigener Fabeln, die er pwa_115.030
1759 herausgab: epische, meistentheils aus der Thierwelt entnommene pwa_115.031
Situationen als Mittel, irgend einen moralischen Satz zur Anschauung pwa_115.032
zu bringen; in möglichster Kürze und in Prosa; ohne Epimythium. pwa_115.033
Einen epischen Verlauf zeigt nur die Geschichte des alten Wolfs pwa_115.034
(Buch 3, 16–22; LB. 3, 2, 189). Lessings Fabeln bilden in der pwa_115.035
Geschichte dieser Dichtungsart eine Epoche: seitdem haben in Deutschland pwa_115.036
auch die, welche bei der metrischen Form blieben, wenigstens pwa_115.037
die moralische Nutzanwendung in der Regel dem Leser selbst überlassen; pwa_115.038
andre sind Lessing auch im Gebrauch der Prosa gefolgt. Erst pwa_115.039
Abraham Emanuel Fröhlich (1825) ist es gelungen, was an der Lessingischen
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