Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_141.001 pwa_141.014 LB. 2, 1023.Ueber allen Gipfeln Ist Ruh; pwa_141.015 In allen Wipfeln Spürest du pwa_141.016 Kaum einen Hauch; pwa_141.017 Die Vöglein schweigen im Walde. pwa_141.018 Warte nur! balde pwa_141.019 Ruhest du auch. pwa_141.020 pwa_141.024 Wenn im letzten Abendstrahl pwa_141.025 Goldne Wolkenberge steigen, pwa_141.026 Und wie Alpen sich erzeigen, pwa_141.027 Frag' ich oft mit Thränen: pwa_141.028 Liegt wohl zwischen jenen pwa_141.029 Mein ersehntes Ruhethal? pwa_141.030 pwa_141.033 pwa_141.041 pwa_141.001 pwa_141.014 LB. 2, 1023.Ueber allen Gipfeln Ist Ruh; pwa_141.015 In allen Wipfeln Spürest du pwa_141.016 Kaum einen Hauch; pwa_141.017 Die Vöglein schweigen im Walde. pwa_141.018 Warte nur! balde pwa_141.019 Ruhest du auch. pwa_141.020 pwa_141.024 Wenn im letzten Abendstrahl pwa_141.025 Goldne Wolkenberge steigen, pwa_141.026 Und wie Alpen sich erzeigen, pwa_141.027 Frag' ich oft mit Thränen: pwa_141.028 Liegt wohl zwischen jenen pwa_141.029 Mein ersehntes Ruhethal? pwa_141.030 pwa_141.033 pwa_141.041 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0159" n="141"/><lb n="pwa_141.001"/> in der Form des Distichons heraus, denen er 1791 geistreiche und <lb n="pwa_141.002"/> so gut als erschöpfende Anmerkungen über das griechische Epigramm <lb n="pwa_141.003"/> folgen liess, und Göthe dichtete im Jahre 1790 seine Venetianischen <lb n="pwa_141.004"/> Epigramme (LB. 2, 1079). Nach ihrem Vorgange verfassten seitdem <lb n="pwa_141.005"/> auch andre Dichter Epigramme, zunächst Schiller, bei dem jedoch, <lb n="pwa_141.006"/> als einem reflectierenden Dichter, die didactischen Epigramme überwiegen <lb n="pwa_141.007"/> (LB. 2, 1157). Uebrigens hatte Göthe schon früher, aber vor <lb n="pwa_141.008"/> ihm nur wenige andre deutsche Dichter, Epigramme der Empfindung <lb n="pwa_141.009"/> verfasst, nur nicht in Distichen: er nennt sie Lieder, aber ihre zweigliedrige <lb n="pwa_141.010"/> Gestalt, die sich in einfache Exposition und einfache Clausel <lb n="pwa_141.011"/> theilt, macht sie zu Epigrammen. Ein Beispiel der Art ist Wandrers <lb n="pwa_141.012"/> Nachtlied, das an ein Naturbild die dadurch angeregten Empfindungen <lb n="pwa_141.013"/> anknüpft:</p> <p><lg><l><lb n="pwa_141.014"/> Ueber allen Gipfeln Ist Ruh;</l><l><lb n="pwa_141.015"/> In allen Wipfeln Spürest du</l><l><lb n="pwa_141.016"/> Kaum einen Hauch;</l><l><lb n="pwa_141.017"/> Die Vöglein schweigen im Walde.</l><l><lb n="pwa_141.018"/> Warte nur! balde</l><l><lb n="pwa_141.019"/> Ruhest du auch.</l></lg><space dim="horizontal"/>LB. 2, 1023.</p> <p><lb n="pwa_141.020"/> Dergleichen epigrammatische Lieder finden wir seitdem namentlich bei <lb n="pwa_141.021"/> Uhland, der durch seinen dichterischen Character auf das Epigramm <lb n="pwa_141.022"/> der Empfindung angewiesen war. Von den s. g. Liedern gehört hieher <lb n="pwa_141.023"/> z. B. Ruhethal:</p> <lg> <l><lb n="pwa_141.024"/> Wenn im letzten Abendstrahl</l> <l><lb n="pwa_141.025"/> Goldne Wolkenberge steigen,</l> <l><lb n="pwa_141.026"/> Und wie Alpen sich erzeigen,</l> <l><lb n="pwa_141.027"/> Frag' ich oft mit Thränen:</l> <l><lb n="pwa_141.028"/> Liegt wohl zwischen jenen</l> <l><lb n="pwa_141.029"/> Mein ersehntes Ruhethal?</l> </lg> <p><lb n="pwa_141.030"/> Andere Epigramme der Empfindung hat Uhland unter den Sinngedichten <lb n="pwa_141.031"/> eingereiht; sie sind theils in Distichen, theils aber auch in Reimen <lb n="pwa_141.032"/> abgefasst.</p> <p><lb n="pwa_141.033"/> Blicken wir noch weiter zurück bis ins Mittelalter, so finden wir <lb n="pwa_141.034"/> in der italiänischen Poesie eine eigne Strophenform für das Epigramm, <lb n="pwa_141.035"/> nämlich das Sonett. Seine vierzehn Zeilen lassen die Exposition wie <lb n="pwa_141.036"/> die Clausel in reicherer Fülle entfalten als das antike Epigramm; aber <lb n="pwa_141.037"/> dennoch bleibt der epigrammatische Grundriss, indem zwischen den <lb n="pwa_141.038"/> acht ersten Zeilen und den sechs folgenden eben auch jener Gegensatz <lb n="pwa_141.039"/> von Exposition und Clausel, von epischem Vordersatz und lyrischem <lb n="pwa_141.040"/> Nachsatz besteht.</p> <p><lb n="pwa_141.041"/> Zur subjectiven epischen Lyrik gehört ausser der Elegie und dem <lb n="pwa_141.042"/> Epigramm der Empfindung auch die <hi rendition="#b">lyrische Gelegenheitspoesie.</hi> Auch <lb n="pwa_141.043"/> sie hat ein episches Element, die Gelegenheit, die äussere Wirklichkeit </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [141/0159]
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in der Form des Distichons heraus, denen er 1791 geistreiche und pwa_141.002
so gut als erschöpfende Anmerkungen über das griechische Epigramm pwa_141.003
folgen liess, und Göthe dichtete im Jahre 1790 seine Venetianischen pwa_141.004
Epigramme (LB. 2, 1079). Nach ihrem Vorgange verfassten seitdem pwa_141.005
auch andre Dichter Epigramme, zunächst Schiller, bei dem jedoch, pwa_141.006
als einem reflectierenden Dichter, die didactischen Epigramme überwiegen pwa_141.007
(LB. 2, 1157). Uebrigens hatte Göthe schon früher, aber vor pwa_141.008
ihm nur wenige andre deutsche Dichter, Epigramme der Empfindung pwa_141.009
verfasst, nur nicht in Distichen: er nennt sie Lieder, aber ihre zweigliedrige pwa_141.010
Gestalt, die sich in einfache Exposition und einfache Clausel pwa_141.011
theilt, macht sie zu Epigrammen. Ein Beispiel der Art ist Wandrers pwa_141.012
Nachtlied, das an ein Naturbild die dadurch angeregten Empfindungen pwa_141.013
anknüpft:
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Ueber allen Gipfeln Ist Ruh; pwa_141.015
In allen Wipfeln Spürest du pwa_141.016
Kaum einen Hauch; pwa_141.017
Die Vöglein schweigen im Walde. pwa_141.018
Warte nur! balde pwa_141.019
Ruhest du auch.
LB. 2, 1023.
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Dergleichen epigrammatische Lieder finden wir seitdem namentlich bei pwa_141.021
Uhland, der durch seinen dichterischen Character auf das Epigramm pwa_141.022
der Empfindung angewiesen war. Von den s. g. Liedern gehört hieher pwa_141.023
z. B. Ruhethal:
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Wenn im letzten Abendstrahl pwa_141.025
Goldne Wolkenberge steigen, pwa_141.026
Und wie Alpen sich erzeigen, pwa_141.027
Frag' ich oft mit Thränen: pwa_141.028
Liegt wohl zwischen jenen pwa_141.029
Mein ersehntes Ruhethal?
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Andere Epigramme der Empfindung hat Uhland unter den Sinngedichten pwa_141.031
eingereiht; sie sind theils in Distichen, theils aber auch in Reimen pwa_141.032
abgefasst.
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Blicken wir noch weiter zurück bis ins Mittelalter, so finden wir pwa_141.034
in der italiänischen Poesie eine eigne Strophenform für das Epigramm, pwa_141.035
nämlich das Sonett. Seine vierzehn Zeilen lassen die Exposition wie pwa_141.036
die Clausel in reicherer Fülle entfalten als das antike Epigramm; aber pwa_141.037
dennoch bleibt der epigrammatische Grundriss, indem zwischen den pwa_141.038
acht ersten Zeilen und den sechs folgenden eben auch jener Gegensatz pwa_141.039
von Exposition und Clausel, von epischem Vordersatz und lyrischem pwa_141.040
Nachsatz besteht.
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Zur subjectiven epischen Lyrik gehört ausser der Elegie und dem pwa_141.042
Epigramm der Empfindung auch die lyrische Gelegenheitspoesie. Auch pwa_141.043
sie hat ein episches Element, die Gelegenheit, die äussere Wirklichkeit
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