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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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des Ereignisses, das den Anstoss und Anlass zu den inneren pwa_142.002
Zuständen, deren Grundlage bildet; lyrisch ist sie der Entwickelung pwa_142.003
eben dieser inneren Zustände wegen, und da diese die Hauptsache pwa_142.004
ist, so gehört sie eben zur epischen Lyrik. Dadurch unterscheidet pwa_142.005
sich die lyrische Gelegenheitsdichtung von der epischen, die wir früher pwa_142.006
besprochen haben (S. 92): in dieser, z. B. in den Hymnen der Homeriden, pwa_142.007
überwog das Epische so sehr, dass daneben das Lyrische beinahe pwa_142.008
verschwand; daher wir die Dichtungen jener Art auch nur haben pwa_142.009
lyrische Epik nennen können. Dennoch schloss sich, wie das auch pwa_142.010
nothwendig und natürlich war, die lyrische Gelegenheitspoesie der pwa_142.011
Griechen, um von dieser zuerst zu reden, eng an ihre epische Gelegenheitspoesie pwa_142.012
an. Und zwar finden wir diese weiter überleitende Zwischengattung, pwa_142.013
die lyrische Gelegenheitspoesie, vorzüglich und so gut pwa_142.014
als ausschliesslich in Gunst und Pflege bei den Doriern, oder wo sie pwa_142.015
von andern geübt wurde, geschah es unter Anwendung der dorischen pwa_142.016
Mundart, während die zuerst besprochene Gattung der epischen Lyrik, pwa_142.017
die Elegie, Sache und Eigenthum der Ionier war. Der bedeutendste pwa_142.018
aber und grösste unter all solchen dorischen Dichtern, die Blüte und pwa_142.019
der Gipfelpunct der dorischen Lyrik ist Pindar, der zugleich auch pwa_142.020
dadurch sich auszeichnet, dass von keinem so viel und in solcher pwa_142.021
Vollständigkeit erhalten ist. Ihn haben wir daher namentlich ins Auge pwa_142.022
zu fassen bei den wenigen Bemerkungen, welche die Betrachtung der pwa_142.023
griechischen Gelegenheitslyrik veranlasst.

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Freilich ist Pindar nur in so fern und nur dadurch der Blütepunct pwa_142.025
der dorischen Lyrik, dass er zugleich über die echt dorische Weise pwa_142.026
schon hinausgeht und sich der reinen Lyrik der Aeolier annähert pwa_142.027
und zum Theil auch schon nach deren Weise dichtet: wie er denn ja pwa_142.028
selbst als Böotier ein Aeolier war und daher auch in die dorische pwa_142.029
Mundart mehr als einen Aeolismus einmischt. Die epische Natur der pwa_142.030
dorisch-pindarischen Lyrik zeigt sich vor Allem aus darin, dass sie pwa_142.031
bestimmt war, religiöse Feierlichkeiten, Nationalfeste u. dgl. zu verherrlichen, pwa_142.032
dass also einmal ihr Anlass in einer bedeutungsvollen pwa_142.033
äusseren Wirklichkeit lag, und dass es sodann die geistigen und die pwa_142.034
politischen Interessen, die Religion und das Staatsleben des gesammten pwa_142.035
Volkes waren, an die sie sich anschloss. Diese allgemeine, pwa_142.036
religiös-nationale Beziehung kehrt Pindar als das Hauptsächliche auch pwa_142.037
da heraus, wo nach unsrer Ansicht und Gewohnheit der epische Stoff pwa_142.038
eher in den beschränkten und einseitigen Verhältnissen einer einzigen pwa_142.039
Person wäre zu suchen gewesen. Wir haben nämlich von ihm fast pwa_142.040
nur Epinikien und Enkomien: Siegeslieder und Lobgesänge, verfasst pwa_142.041
auf die Sieger bei nationalen Festspielen. Diese sind Pindar zwar

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des Ereignisses, das den Anstoss und Anlass zu den inneren pwa_142.002
Zuständen, deren Grundlage bildet; lyrisch ist sie der Entwickelung pwa_142.003
eben dieser inneren Zustände wegen, und da diese die Hauptsache pwa_142.004
ist, so gehört sie eben zur epischen Lyrik. Dadurch unterscheidet pwa_142.005
sich die lyrische Gelegenheitsdichtung von der epischen, die wir früher pwa_142.006
besprochen haben (S. 92): in dieser, z. B. in den Hymnen der Homeriden, pwa_142.007
überwog das Epische so sehr, dass daneben das Lyrische beinahe pwa_142.008
verschwand; daher wir die Dichtungen jener Art auch nur haben pwa_142.009
lyrische Epik nennen können. Dennoch schloss sich, wie das auch pwa_142.010
nothwendig und natürlich war, die lyrische Gelegenheitspoesie der pwa_142.011
Griechen, um von dieser zuerst zu reden, eng an ihre epische Gelegenheitspoesie pwa_142.012
an. Und zwar finden wir diese weiter überleitende Zwischengattung, pwa_142.013
die lyrische Gelegenheitspoesie, vorzüglich und so gut pwa_142.014
als ausschliesslich in Gunst und Pflege bei den Doriern, oder wo sie pwa_142.015
von andern geübt wurde, geschah es unter Anwendung der dorischen pwa_142.016
Mundart, während die zuerst besprochene Gattung der epischen Lyrik, pwa_142.017
die Elegie, Sache und Eigenthum der Ionier war. Der bedeutendste pwa_142.018
aber und grösste unter all solchen dorischen Dichtern, die Blüte und pwa_142.019
der Gipfelpunct der dorischen Lyrik ist Pindar, der zugleich auch pwa_142.020
dadurch sich auszeichnet, dass von keinem so viel und in solcher pwa_142.021
Vollständigkeit erhalten ist. Ihn haben wir daher namentlich ins Auge pwa_142.022
zu fassen bei den wenigen Bemerkungen, welche die Betrachtung der pwa_142.023
griechischen Gelegenheitslyrik veranlasst.

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Freilich ist Pindar nur in so fern und nur dadurch der Blütepunct pwa_142.025
der dorischen Lyrik, dass er zugleich über die echt dorische Weise pwa_142.026
schon hinausgeht und sich der reinen Lyrik der Aeolier annähert pwa_142.027
und zum Theil auch schon nach deren Weise dichtet: wie er denn ja pwa_142.028
selbst als Böotier ein Aeolier war und daher auch in die dorische pwa_142.029
Mundart mehr als einen Aeolismus einmischt. Die epische Natur der pwa_142.030
dorisch-pindarischen Lyrik zeigt sich vor Allem aus darin, dass sie pwa_142.031
bestimmt war, religiöse Feierlichkeiten, Nationalfeste u. dgl. zu verherrlichen, pwa_142.032
dass also einmal ihr Anlass in einer bedeutungsvollen pwa_142.033
äusseren Wirklichkeit lag, und dass es sodann die geistigen und die pwa_142.034
politischen Interessen, die Religion und das Staatsleben des gesammten pwa_142.035
Volkes waren, an die sie sich anschloss. Diese allgemeine, pwa_142.036
religiös-nationale Beziehung kehrt Pindar als das Hauptsächliche auch pwa_142.037
da heraus, wo nach unsrer Ansicht und Gewohnheit der epische Stoff pwa_142.038
eher in den beschränkten und einseitigen Verhältnissen einer einzigen pwa_142.039
Person wäre zu suchen gewesen. Wir haben nämlich von ihm fast pwa_142.040
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[142/0160] pwa_142.001 des Ereignisses, das den Anstoss und Anlass zu den inneren pwa_142.002 Zuständen, deren Grundlage bildet; lyrisch ist sie der Entwickelung pwa_142.003 eben dieser inneren Zustände wegen, und da diese die Hauptsache pwa_142.004 ist, so gehört sie eben zur epischen Lyrik. Dadurch unterscheidet pwa_142.005 sich die lyrische Gelegenheitsdichtung von der epischen, die wir früher pwa_142.006 besprochen haben (S. 92): in dieser, z. B. in den Hymnen der Homeriden, pwa_142.007 überwog das Epische so sehr, dass daneben das Lyrische beinahe pwa_142.008 verschwand; daher wir die Dichtungen jener Art auch nur haben pwa_142.009 lyrische Epik nennen können. Dennoch schloss sich, wie das auch pwa_142.010 nothwendig und natürlich war, die lyrische Gelegenheitspoesie der pwa_142.011 Griechen, um von dieser zuerst zu reden, eng an ihre epische Gelegenheitspoesie pwa_142.012 an. Und zwar finden wir diese weiter überleitende Zwischengattung, pwa_142.013 die lyrische Gelegenheitspoesie, vorzüglich und so gut pwa_142.014 als ausschliesslich in Gunst und Pflege bei den Doriern, oder wo sie pwa_142.015 von andern geübt wurde, geschah es unter Anwendung der dorischen pwa_142.016 Mundart, während die zuerst besprochene Gattung der epischen Lyrik, pwa_142.017 die Elegie, Sache und Eigenthum der Ionier war. Der bedeutendste pwa_142.018 aber und grösste unter all solchen dorischen Dichtern, die Blüte und pwa_142.019 der Gipfelpunct der dorischen Lyrik ist Pindar, der zugleich auch pwa_142.020 dadurch sich auszeichnet, dass von keinem so viel und in solcher pwa_142.021 Vollständigkeit erhalten ist. Ihn haben wir daher namentlich ins Auge pwa_142.022 zu fassen bei den wenigen Bemerkungen, welche die Betrachtung der pwa_142.023 griechischen Gelegenheitslyrik veranlasst. pwa_142.024 Freilich ist Pindar nur in so fern und nur dadurch der Blütepunct pwa_142.025 der dorischen Lyrik, dass er zugleich über die echt dorische Weise pwa_142.026 schon hinausgeht und sich der reinen Lyrik der Aeolier annähert pwa_142.027 und zum Theil auch schon nach deren Weise dichtet: wie er denn ja pwa_142.028 selbst als Böotier ein Aeolier war und daher auch in die dorische pwa_142.029 Mundart mehr als einen Aeolismus einmischt. Die epische Natur der pwa_142.030 dorisch-pindarischen Lyrik zeigt sich vor Allem aus darin, dass sie pwa_142.031 bestimmt war, religiöse Feierlichkeiten, Nationalfeste u. dgl. zu verherrlichen, pwa_142.032 dass also einmal ihr Anlass in einer bedeutungsvollen pwa_142.033 äusseren Wirklichkeit lag, und dass es sodann die geistigen und die pwa_142.034 politischen Interessen, die Religion und das Staatsleben des gesammten pwa_142.035 Volkes waren, an die sie sich anschloss. Diese allgemeine, pwa_142.036 religiös-nationale Beziehung kehrt Pindar als das Hauptsächliche auch pwa_142.037 da heraus, wo nach unsrer Ansicht und Gewohnheit der epische Stoff pwa_142.038 eher in den beschränkten und einseitigen Verhältnissen einer einzigen pwa_142.039 Person wäre zu suchen gewesen. Wir haben nämlich von ihm fast pwa_142.040 nur Epinikien und Enkomien: Siegeslieder und Lobgesänge, verfasst pwa_142.041 auf die Sieger bei nationalen Festspielen. Diese sind Pindar zwar

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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/160>, abgerufen am 21.11.2024.