pwa_176.001 der Geistlichkeit und waren deshalb, freilich nach ganz mittelalterlicher pwa_176.002 Weise, in lateinischer Sprache abgefasst. Diese geistlichen Spiele pwa_176.003 beruhten unzweifelhaft mit auf alten Ueberlieferungen aus den Zeiten pwa_176.004 der römischen Litteratur: aber sie bequemten sich dem Zustande der pwa_176.005 Nationallitteratur des Mittelalters, und so sind auch die im zwölften pwa_176.006 Jahrhundert in Deutschland verfassten noch so roh und ungeschickt pwa_176.007 dramatisiert, in einem so unverschmolzenen, bloss mechanischen Gemische pwa_176.008 von Epik und Lyrik, wie es damals allein noch möglich war, wo pwa_176.009 die deutsche Lyrik selber erst ihren Anfang nahm. Das nationale, pwa_176.010 eigentlich deutsche Drama beginnt erst um das Jahr 1300, also, und pwa_176.011 darauf kommt hier viel an, zu einer Zeit, wo die Epik sowohl als pwa_176.012 die Lyrik sich schon überblüht hatten: die Poesie, die dort nicht mehr pwa_176.013 heimisch war, flüchtete sich nun in ein neues Gebiet, wo sie die pwa_176.014 dort erworbenen Güter zusammenwerfen und Eins in und mit dem pwa_176.015 Andern nützen konnte. Der älteste Versuch eines nationalen deutschen pwa_176.016 Dramas ist der Krieg von Wartburg, ein epischer Stoff lyrisch in pwa_176.017 Form eines Dialogs behandelt. Auch in einigen Aeusserlichkeiten pwa_176.018 weist diese dramatische Dichtung deutlich genug auf beides, die pwa_176.019 Epik und die Lyrik zurück; es sieht in seinen Gesichtszügen zugleich pwa_176.020 dem Vater und der Mutter ähnlich. Von der Lyrik hat es die strophische pwa_176.021 Form, vom Epos die Einmischung einzelner erzählender Stellen. pwa_176.022 In den nächsten Jahrhunderten, dem 14., 15. und 16., kehrt es sich, pwa_176.023 was solche unverschmolzene Einmischungen betrifft, gewissermassen pwa_176.024 um. Während nämlich in den Dramen dieser Zeit die Versform in der pwa_176.025 Regel die epische ist, die der kurzen Reimpaare, treten dazwischen pwa_176.026 häufig lyrische Stellen, lyrisch der Sache und der Form nach, eigentliche pwa_176.027 Lieder. Von da an machte aber die dramatische Kunst immer pwa_176.028 schnellere Fortschritte zur letzten Ausbildung, und wir könnten uns, pwa_176.029 wäre nicht das 16. und das 17. Jahrhundert mit all seiner Unruhe pwa_176.030 und seinem Elend, seinen Entlehnungen aus der Fremde dazwischen pwa_176.031 gekommen, jetzt wahrscheinlich eines vollständig nationalen Dramas pwa_176.032 freuen und rühmen. So aber ist unser jetziges Drama zu einem grossen pwa_176.033 Theile mehr gemacht als geworden, mehr fremd als deutsch.
pwa_176.034 Das griechische Drama hat eben so wie das deutsche seinen pwa_176.035 Ursprung aus der religiösen Gelegenheitspoesie genommen, und zwar pwa_176.036 die ganze dramatische Kunst in ihren verschiedenen Arten aus einer pwa_176.037 und derselben Art solcher Gelegenheitspoesie, nämlich aus dem Dithyrambus. pwa_176.038 Der Dithyrambus gehörte, wie das von den Alten selbst pwa_176.039 mehrfach bezeugt wird, ursprünglich zur Epik als ein dionysischer pwa_176.040 Festgesang, der von den Werken und Wundern des Bacchus erzählte; pwa_176.041 nur in so fern trug er von jeher auch einen Keim der Lyrik in sich,
pwa_176.001 der Geistlichkeit und waren deshalb, freilich nach ganz mittelalterlicher pwa_176.002 Weise, in lateinischer Sprache abgefasst. Diese geistlichen Spiele pwa_176.003 beruhten unzweifelhaft mit auf alten Ueberlieferungen aus den Zeiten pwa_176.004 der römischen Litteratur: aber sie bequemten sich dem Zustande der pwa_176.005 Nationallitteratur des Mittelalters, und so sind auch die im zwölften pwa_176.006 Jahrhundert in Deutschland verfassten noch so roh und ungeschickt pwa_176.007 dramatisiert, in einem so unverschmolzenen, bloss mechanischen Gemische pwa_176.008 von Epik und Lyrik, wie es damals allein noch möglich war, wo pwa_176.009 die deutsche Lyrik selber erst ihren Anfang nahm. Das nationale, pwa_176.010 eigentlich deutsche Drama beginnt erst um das Jahr 1300, also, und pwa_176.011 darauf kommt hier viel an, zu einer Zeit, wo die Epik sowohl als pwa_176.012 die Lyrik sich schon überblüht hatten: die Poesie, die dort nicht mehr pwa_176.013 heimisch war, flüchtete sich nun in ein neues Gebiet, wo sie die pwa_176.014 dort erworbenen Güter zusammenwerfen und Eins in und mit dem pwa_176.015 Andern nützen konnte. Der älteste Versuch eines nationalen deutschen pwa_176.016 Dramas ist der Krieg von Wartburg, ein epischer Stoff lyrisch in pwa_176.017 Form eines Dialogs behandelt. Auch in einigen Aeusserlichkeiten pwa_176.018 weist diese dramatische Dichtung deutlich genug auf beides, die pwa_176.019 Epik und die Lyrik zurück; es sieht in seinen Gesichtszügen zugleich pwa_176.020 dem Vater und der Mutter ähnlich. Von der Lyrik hat es die strophische pwa_176.021 Form, vom Epos die Einmischung einzelner erzählender Stellen. pwa_176.022 In den nächsten Jahrhunderten, dem 14., 15. und 16., kehrt es sich, pwa_176.023 was solche unverschmolzene Einmischungen betrifft, gewissermassen pwa_176.024 um. Während nämlich in den Dramen dieser Zeit die Versform in der pwa_176.025 Regel die epische ist, die der kurzen Reimpaare, treten dazwischen pwa_176.026 häufig lyrische Stellen, lyrisch der Sache und der Form nach, eigentliche pwa_176.027 Lieder. Von da an machte aber die dramatische Kunst immer pwa_176.028 schnellere Fortschritte zur letzten Ausbildung, und wir könnten uns, pwa_176.029 wäre nicht das 16. und das 17. Jahrhundert mit all seiner Unruhe pwa_176.030 und seinem Elend, seinen Entlehnungen aus der Fremde dazwischen pwa_176.031 gekommen, jetzt wahrscheinlich eines vollständig nationalen Dramas pwa_176.032 freuen und rühmen. So aber ist unser jetziges Drama zu einem grossen pwa_176.033 Theile mehr gemacht als geworden, mehr fremd als deutsch.
pwa_176.034 Das griechische Drama hat eben so wie das deutsche seinen pwa_176.035 Ursprung aus der religiösen Gelegenheitspoesie genommen, und zwar pwa_176.036 die ganze dramatische Kunst in ihren verschiedenen Arten aus einer pwa_176.037 und derselben Art solcher Gelegenheitspoesie, nämlich aus dem Dithyrambus. pwa_176.038 Der Dithyrambus gehörte, wie das von den Alten selbst pwa_176.039 mehrfach bezeugt wird, ursprünglich zur Epik als ein dionysischer pwa_176.040 Festgesang, der von den Werken und Wundern des Bacchus erzählte; pwa_176.041 nur in so fern trug er von jeher auch einen Keim der Lyrik in sich,
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der Geistlichkeit und waren deshalb, freilich nach ganz mittelalterlicher pwa_176.002
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Das griechische Drama hat eben so wie das deutsche seinen pwa_176.035
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/194>, abgerufen am 21.11.2024.
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