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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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dialogischen, dem aus Epik und Lyrik zusammengeschmolzenen übrigen pwa_179.002
Theile des Dramas einnahm.

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Der Chor hieng zwar immer mit den handelnden Personen irgendwie pwa_179.004
zusammen, indem er etwa eine derselben als Gefolg begleitete pwa_179.005
oder aus Einwohnern des Ortes bestand, an welchem die dargestellten pwa_179.006
Begebenheiten vor sich giengen. Dennoch stand er der Regel nach pwa_179.007
ganz ausserhalb der Handlung. Wir finden freilich bei Aeschylus, pwa_179.008
wir finden auch bei Aristophanes den Versuch gemacht, ihn thätig in pwa_179.009
dieselbe eingreifen zu lassen; ein Beispiel sind die Schutzflehenden des pwa_179.010
Aeschylus, wo die Töchter des Danaus, auf denen die ganze Handlung pwa_179.011
dieses Dramas ruht, zugleich den Chor desselben bilden. Aber pwa_179.012
es blieb bei solchen blossen Versuchen: sie scheiterten an der Unmöglichkeit, pwa_179.013
einer so grossen Menge von Personen eine rechte dramatische pwa_179.014
Thätigkeit zu geben: denn das hätte doch eigentlich nur geschehen pwa_179.015
können, indem jede derselben auch einzeln und individuell thätig pwa_179.016
gewesen wäre; sie scheiterten an der immer mehr anreifenden und pwa_179.017
schon bei Aeschylus selbst bereits ziemlich angereiften Idee von der pwa_179.018
höheren Bedeutung, die man dem Chore verleihen könnte. Er stand pwa_179.019
also zwar ausserhalb der Handlung, aber nicht ohne Beziehung auf pwa_179.020
sie, und diese Beziehung war eben eine lyrische oder didactisch pwa_179.021
lyrische. In seinen Gesang legte der Dichter all die sittlichen und pwa_179.022
religiösen Empfindungen nieder, welche die vorübergehende Handlung pwa_179.023
in einem reinen und edeln Gemüthe erregen konnte. In den Worten pwa_179.024
des Chors, wie sie von Zeit zu Zeit die Handlung unterbrachen, pwa_179.025
begleitete der Dichter den Verlauf der Begebenheiten in ähnlicher pwa_179.026
Weise mit lyrischen Betrachtungen, wie auch der Elegiker seine inneren pwa_179.027
Zustände an äussern Motiven entwickelt. Aber grade wie in der pwa_179.028
ersten Periode der Elegie das, was der Elegiker aussprach, entweder pwa_179.029
wirklich Volksstimme war oder doch Volksstimme hätte sein können pwa_179.030
und sein sollen: grade so waren es auch nicht die Empfindungen und pwa_179.031
Meinungen seiner beschränkten Individualität, die der Dramatiker dem pwa_179.032
Chore anvertraute, sondern Worte von allgemeinerer Weihe und Gültigkeit; pwa_179.033
und oft schwebt der Chor in ähnlicher Art hoch über der pwa_179.034
Handlung, wie sich Pindar, der auch nur für den Chor, für das pwa_179.035
repräsentierte Volk dichtete, hoch über das alltägliche Wissen des pwa_179.036
Volkes bis zu leuchtenden Ahnungen der göttlichen Weisheit zu erheben pwa_179.037
pflegt. Schon Aeschylus erscheint in seinen Chören nicht selten pwa_179.038
als ein solches Organ der gottbegeisterten Volksstimme; noch mehr pwa_179.039
Sophocles, den bei der weisen Mässigung, die ihm überhaupt eigen pwa_179.040
ist, selbst der höchste Schwung niemals zu jener Ueberschwänglichkeit pwa_179.041
der Anschauung und der Darstellung dahinreisst, die den Aeschylus

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dialogischen, dem aus Epik und Lyrik zusammengeschmolzenen übrigen pwa_179.002
Theile des Dramas einnahm.

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Der Chor hieng zwar immer mit den handelnden Personen irgendwie pwa_179.004
zusammen, indem er etwa eine derselben als Gefolg begleitete pwa_179.005
oder aus Einwohnern des Ortes bestand, an welchem die dargestellten pwa_179.006
Begebenheiten vor sich giengen. Dennoch stand er der Regel nach pwa_179.007
ganz ausserhalb der Handlung. Wir finden freilich bei Aeschylus, pwa_179.008
wir finden auch bei Aristophanes den Versuch gemacht, ihn thätig in pwa_179.009
dieselbe eingreifen zu lassen; ein Beispiel sind die Schutzflehenden des pwa_179.010
Aeschylus, wo die Töchter des Danaus, auf denen die ganze Handlung pwa_179.011
dieses Dramas ruht, zugleich den Chor desselben bilden. Aber pwa_179.012
es blieb bei solchen blossen Versuchen: sie scheiterten an der Unmöglichkeit, pwa_179.013
einer so grossen Menge von Personen eine rechte dramatische pwa_179.014
Thätigkeit zu geben: denn das hätte doch eigentlich nur geschehen pwa_179.015
können, indem jede derselben auch einzeln und individuell thätig pwa_179.016
gewesen wäre; sie scheiterten an der immer mehr anreifenden und pwa_179.017
schon bei Aeschylus selbst bereits ziemlich angereiften Idee von der pwa_179.018
höheren Bedeutung, die man dem Chore verleihen könnte. Er stand pwa_179.019
also zwar ausserhalb der Handlung, aber nicht ohne Beziehung auf pwa_179.020
sie, und diese Beziehung war eben eine lyrische oder didactisch pwa_179.021
lyrische. In seinen Gesang legte der Dichter all die sittlichen und pwa_179.022
religiösen Empfindungen nieder, welche die vorübergehende Handlung pwa_179.023
in einem reinen und edeln Gemüthe erregen konnte. In den Worten pwa_179.024
des Chors, wie sie von Zeit zu Zeit die Handlung unterbrachen, pwa_179.025
begleitete der Dichter den Verlauf der Begebenheiten in ähnlicher pwa_179.026
Weise mit lyrischen Betrachtungen, wie auch der Elegiker seine inneren pwa_179.027
Zustände an äussern Motiven entwickelt. Aber grade wie in der pwa_179.028
ersten Periode der Elegie das, was der Elegiker aussprach, entweder pwa_179.029
wirklich Volksstimme war oder doch Volksstimme hätte sein können pwa_179.030
und sein sollen: grade so waren es auch nicht die Empfindungen und pwa_179.031
Meinungen seiner beschränkten Individualität, die der Dramatiker dem pwa_179.032
Chore anvertraute, sondern Worte von allgemeinerer Weihe und Gültigkeit; pwa_179.033
und oft schwebt der Chor in ähnlicher Art hoch über der pwa_179.034
Handlung, wie sich Pindar, der auch nur für den Chor, für das pwa_179.035
repräsentierte Volk dichtete, hoch über das alltägliche Wissen des pwa_179.036
Volkes bis zu leuchtenden Ahnungen der göttlichen Weisheit zu erheben pwa_179.037
pflegt. Schon Aeschylus erscheint in seinen Chören nicht selten pwa_179.038
als ein solches Organ der gottbegeisterten Volksstimme; noch mehr pwa_179.039
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ist, selbst der höchste Schwung niemals zu jener Ueberschwänglichkeit pwa_179.041
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/197>, abgerufen am 24.11.2024.