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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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beinah unvermittelte Mischung von Tragik und Komik war, und zwar pwa_227.002
in der Weise, dass sich die Tragik wiederum auf der mehr epischen, pwa_227.003
die Komik auf der lyrischen Seite hielt: es wird im Cyclops, und es pwa_227.004
ward, so weit unsere Nachrichten gehn, überall im Satyrspiel eine pwa_227.005
ernste aus der Götter- oder Heldensage entlehnte Handlung begleitet pwa_227.006
von den muthwilligen Scherzen eines Satyrchors; eben wie beim Dithyrambus pwa_227.007
der episch erzählende Vorsänger in der Mitte gestanden hatte pwa_227.008
eines ihn umtanzenden Chores von Sängern in Bocksfellen.

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Sodann die neuere Zeit, das letzte Jahrhundert. Man fühlte sich pwa_227.010
getrieben doch auch etwas für die Weiterförderung der Kunst zu thun. pwa_227.011
Eine neue Dichtungsart über das Drama hinaus war aber nicht mehr pwa_227.012
zu erfinden: mit ihm war einmal der Kreis der Entwickelung für immer pwa_227.013
abgeschlossen. Es blieb also nur übrig, dasjenige, was fertig und pwa_227.014
vorhanden da lag, hier zu spalten, dort zu verbinden. Und so ward pwa_227.015
denn auf der einen Seite von der Tragödie das sogenannte Schauspiel pwa_227.016
abgesondert; auf der andern aber mussten Tragik und Komik von pwa_227.017
Neuem in einander fliessen. Wir haben eine solche Verschmelzung pwa_227.018
vorher schon als beinahe unvermeidbar wahrgenommen an einem Theile pwa_227.019
der sogenannten Schauspiele. Es sind jedoch diese nur eine Abart pwa_227.020
des bürgerlichen Trauerspieles, und so überwiegt natürlich in ihnen pwa_227.021
das tragische Element, und das Komische zeigt sich nur mit einer pwa_227.022
gewissen Schüchternheit, oft sogar wider eigenes Wissen und Wollen pwa_227.023
des Dichters. Dem gegenüber nun bildete sich eine andere Mischung, pwa_227.024
in der das Komische die Oberhand behauptet; bildete sich eine Art pwa_227.025
von Lustspiel, bei der es zwar im Ganzen auf Zweck und Wesen der pwa_227.026
Comödie abgesehen ist, in die aber dennoch vorübergehend auch das pwa_227.027
Tragische Eingang gewinnt durch Situationen, die eine Rührung pwa_227.028
erwecken nach Art der tragischen Wehmuth. Es ist diess das rührende pwa_227.029
Lustspiel
1, das wir Deutschen Lessingen verdanken, er den pwa_227.030
Engländern und namentlich Diderot. Natürlich ist es in vielen Fällen pwa_227.031
schwer, das rührende Lustspiel, die tragisch gefärbte Comödie, streng pwa_227.032
zu sondern von dem bürgerlichen Schauspiel, der komisch gefärbten pwa_227.033
Tragödie; wie denn auch Lessings Lustspiel Minna von Barnhelm zuletzt pwa_227.034
ebensowohl zu den Schauspielen könnte gerechnet werden. Sie müssen pwa_227.035
aber leicht in einander laufen und sich vermischen, da sie selber nur pwa_227.036
Mischungen sind. Aus der Litteratur streichen kann man diese bürgerlichen pwa_227.037
Schauspiele, diese rührenden Lustspiele nicht: sie sind einmal pwa_227.038
vorhanden, sind eine Thatsache, die man als solche anerkennen muss. pwa_227.039
Aber es ist Vieles in der Geschichte, das man nicht ableugnen kann,

1 pwa_227.040
Vgl Gellert, Pro comoedia commovente commentatio, Lips. 1751.

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beinah unvermittelte Mischung von Tragik und Komik war, und zwar pwa_227.002
in der Weise, dass sich die Tragik wiederum auf der mehr epischen, pwa_227.003
die Komik auf der lyrischen Seite hielt: es wird im Cyclops, und es pwa_227.004
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ernste aus der Götter- oder Heldensage entlehnte Handlung begleitet pwa_227.006
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der episch erzählende Vorsänger in der Mitte gestanden hatte pwa_227.008
eines ihn umtanzenden Chores von Sängern in Bocksfellen.

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Sodann die neuere Zeit, das letzte Jahrhundert. Man fühlte sich pwa_227.010
getrieben doch auch etwas für die Weiterförderung der Kunst zu thun. pwa_227.011
Eine neue Dichtungsart über das Drama hinaus war aber nicht mehr pwa_227.012
zu erfinden: mit ihm war einmal der Kreis der Entwickelung für immer pwa_227.013
abgeschlossen. Es blieb also nur übrig, dasjenige, was fertig und pwa_227.014
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denn auf der einen Seite von der Tragödie das sogenannte Schauspiel pwa_227.016
abgesondert; auf der andern aber mussten Tragik und Komik von pwa_227.017
Neuem in einander fliessen. Wir haben eine solche Verschmelzung pwa_227.018
vorher schon als beinahe unvermeidbar wahrgenommen an einem Theile pwa_227.019
der sogenannten Schauspiele. Es sind jedoch diese nur eine Abart pwa_227.020
des bürgerlichen Trauerspieles, und so überwiegt natürlich in ihnen pwa_227.021
das tragische Element, und das Komische zeigt sich nur mit einer pwa_227.022
gewissen Schüchternheit, oft sogar wider eigenes Wissen und Wollen pwa_227.023
des Dichters. Dem gegenüber nun bildete sich eine andere Mischung, pwa_227.024
in der das Komische die Oberhand behauptet; bildete sich eine Art pwa_227.025
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Comödie abgesehen ist, in die aber dennoch vorübergehend auch das pwa_227.027
Tragische Eingang gewinnt durch Situationen, die eine Rührung pwa_227.028
erwecken nach Art der tragischen Wehmuth. Es ist diess das rührende pwa_227.029
Lustspiel
1, das wir Deutschen Lessingen verdanken, er den pwa_227.030
Engländern und namentlich Diderot. Natürlich ist es in vielen Fällen pwa_227.031
schwer, das rührende Lustspiel, die tragisch gefärbte Comödie, streng pwa_227.032
zu sondern von dem bürgerlichen Schauspiel, der komisch gefärbten pwa_227.033
Tragödie; wie denn auch Lessings Lustspiel Minna von Barnhelm zuletzt pwa_227.034
ebensowohl zu den Schauspielen könnte gerechnet werden. Sie müssen pwa_227.035
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Schauspiele, diese rührenden Lustspiele nicht: sie sind einmal pwa_227.038
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Vgl Gellert, Pro comoedia commovente commentatio, Lips. 1751.
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/245>, abgerufen am 21.11.2024.