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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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beschreibende Prosa an die erzählende, während sie auf der anderen pwa_260.002
Seite, da sie keine eigentlich erzählende ist, nicht die bewegte Wirklichkeit pwa_260.003
darstellt, in das Gebiet der lehrhaften, der didactischen hinüberreicht. pwa_260.004
Es wird also die prosaische Beschreibung schon der prosaischen pwa_260.005
Deutlichkeit und Verständlichkeit wegen, es wird auch sie pwa_260.006
gleich der in Gedichten, wo es nur irgend geht und so gut es geht, pwa_260.007
sich successiv zu gliedern suchen. Es ist das freilich nicht überall pwa_260.008
leicht, und am schwersten da, wo die Beschreibung am häufigsten pwa_260.009
gefordert wird, in den Naturwissenschaften. Aber auch hier wird es pwa_260.010
in den meisten Fällen möglich sein, sich dieser Regel eines geordneten, pwa_260.011
gleichsam historischen Fortschrittes wenigstens annäherungsweise zu pwa_260.012
unterwerfen, und je mehr es geschieht, desto förderlicher wird es pwa_260.013
auch den lehrhaften Zwecken sein. Hat also z. B. ein Botaniker eine pwa_260.014
Pflanze zu beschreiben, so wird er nicht jetzt von der Frucht, dann pwa_260.015
von der Wurzel, dann von der Blüte, dann von den Blättern reden, pwa_260.016
sondern er wird das Bild am besten in der Reihenfolge entwerfen, pwa_260.017
in welcher die Pflanze selber sich entwickelt; seine Beschreibung wird pwa_260.018
Schritt für Schritt einen solchen Gang einschlagen, dass man den pwa_260.019
Verlauf der Pflanze von der Wurzel an durch Stengel, Blätter und pwa_260.020
Blüte bis zur Frucht gleichsam geschichtlich verfolgt, dass sie gleichsam pwa_260.021
vor unseren Augen wächst. So auch in der Geographie, in der pwa_260.022
Topographie. Hier wird auch der am anschaulichsten beschreiben, pwa_260.023
den Verstand am besten belehren, der die Einzelheiten des ganzen pwa_260.024
grossen Bildes successiv zu ordnen weiss, der uns, wie ein Führer pwa_260.025
den Wanderer, nach und nach von Berg zu Berg, von Fluss zu Fluss pwa_260.026
geleitet. Ein Muster einer solchen successiven oder progressiven naturhistorischen pwa_260.027
Landbeschreibung liefern E. Pöppigs Reisen in Chile, Peru pwa_260.028
und auf dem Amazonenstrome 1827-1832, überhaupt vielleicht eines pwa_260.029
der besten unter allen neueren Werken dieser Art. Hier soll z. B. pwa_260.030
einmal die südamericanische Gebirgswelt namentlich in Bezug auf ihre pwa_260.031
Vegetation geschildert werden. Es wäre schon progressive Anordnung pwa_260.032
genug gewesen, wenn der Verfasser die Einzelheiten nur aufgezählt pwa_260.033
hätte, wie sie Stufe für Stufe etwa vom Fusse des Berges bis zum pwa_260.034
Gipfel auf einander folgen. Aber er weiss die Anschaulichkeit noch pwa_260.035
zu steigern, indem er wirklich erzählt, wie er eines Tages in die pwa_260.036
Berge hinauf gezogen sei; und nun sehen wir mit ihm und aus seinen pwa_260.037
Augen Eins nach dem Anderen an ihm und an uns vorübergehen, und pwa_260.038
wir können zuletzt die einzelnen Erscheinungen in unserer Erinnerung pwa_260.039
so ununterbrochen zusammenhangend festhalten, als wären wir mit pwa_260.040
ihm gegangen. Nicht minder ausgezeichnet und musterhaft ist Alexander pwa_260.041
von Humboldts Aufsatz Ueber die Steppen und Wüsten (Ansichten

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beschreibende Prosa an die erzählende, während sie auf der anderen pwa_260.002
Seite, da sie keine eigentlich erzählende ist, nicht die bewegte Wirklichkeit pwa_260.003
darstellt, in das Gebiet der lehrhaften, der didactischen hinüberreicht. pwa_260.004
Es wird also die prosaische Beschreibung schon der prosaischen pwa_260.005
Deutlichkeit und Verständlichkeit wegen, es wird auch sie pwa_260.006
gleich der in Gedichten, wo es nur irgend geht und so gut es geht, pwa_260.007
sich successiv zu gliedern suchen. Es ist das freilich nicht überall pwa_260.008
leicht, und am schwersten da, wo die Beschreibung am häufigsten pwa_260.009
gefordert wird, in den Naturwissenschaften. Aber auch hier wird es pwa_260.010
in den meisten Fällen möglich sein, sich dieser Regel eines geordneten, pwa_260.011
gleichsam historischen Fortschrittes wenigstens annäherungsweise zu pwa_260.012
unterwerfen, und je mehr es geschieht, desto förderlicher wird es pwa_260.013
auch den lehrhaften Zwecken sein. Hat also z. B. ein Botaniker eine pwa_260.014
Pflanze zu beschreiben, so wird er nicht jetzt von der Frucht, dann pwa_260.015
von der Wurzel, dann von der Blüte, dann von den Blättern reden, pwa_260.016
sondern er wird das Bild am besten in der Reihenfolge entwerfen, pwa_260.017
in welcher die Pflanze selber sich entwickelt; seine Beschreibung wird pwa_260.018
Schritt für Schritt einen solchen Gang einschlagen, dass man den pwa_260.019
Verlauf der Pflanze von der Wurzel an durch Stengel, Blätter und pwa_260.020
Blüte bis zur Frucht gleichsam geschichtlich verfolgt, dass sie gleichsam pwa_260.021
vor unseren Augen wächst. So auch in der Geographie, in der pwa_260.022
Topographie. Hier wird auch der am anschaulichsten beschreiben, pwa_260.023
den Verstand am besten belehren, der die Einzelheiten des ganzen pwa_260.024
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geleitet. Ein Muster einer solchen successiven oder progressiven naturhistorischen pwa_260.027
Landbeschreibung liefern E. Pöppigs Reisen in Chile, Peru pwa_260.028
und auf dem Amazonenstrome 1827–1832, überhaupt vielleicht eines pwa_260.029
der besten unter allen neueren Werken dieser Art. Hier soll z. B. pwa_260.030
einmal die südamericanische Gebirgswelt namentlich in Bezug auf ihre pwa_260.031
Vegetation geschildert werden. Es wäre schon progressive Anordnung pwa_260.032
genug gewesen, wenn der Verfasser die Einzelheiten nur aufgezählt pwa_260.033
hätte, wie sie Stufe für Stufe etwa vom Fusse des Berges bis zum pwa_260.034
Gipfel auf einander folgen. Aber er weiss die Anschaulichkeit noch pwa_260.035
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Berge hinauf gezogen sei; und nun sehen wir mit ihm und aus seinen pwa_260.037
Augen Eins nach dem Anderen an ihm und an uns vorübergehen, und pwa_260.038
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/278>, abgerufen am 22.11.2024.